Das zuerst noch ausgeraubte arg- und wehrlose Mordopfer

Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt.

Das zuerst noch ausgeraubte arg- und wehrlose Mordopfer

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall belegten die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nicht, dass die Geschädigten in dem grundsätzlich dafür maßgebenden Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, also des Eintritts des Tötungsdelikts in das Versuchsstadium, arglos waren1. Die Annahme der Strafkammer, die Angeklagten hätten bereits mit der Überwältigung der in die Halle gelockten Tatopfer unmittelbar zu der Begehung des von ihnen bereits zu diesem Zeitpunkt ins Auge gefassten Mordes im Sinne von § 22 StGB angesetzt, trifft nicht zu. Denn nach dem Tatplan waren jeweils zunächst weitere Zwischenakte zu tatbestandsfremden Zwecken (Raub, Erpressung) vorgesehen; auch fehlte es beim ersten Zugriff auf die Tatopfer an dem erforderlichen engen räumlichen und situativen Zusammenhang mit dem Tötungsgeschehen2. Vielmehr waren in dem Zeitpunkt als sich der die Tat unmittelbar ausführende Angeklagte den Geschädigten annäherte, um sie zu erdrosseln, diese aufgrund der gegen sie angewandten Gewalt und der Todesdrohungen nicht mehr arglos. Der Bundesgerichtshof bejahte gleichwohl einen Heimtückemord:

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Zulässigkeit einer Organisationshaft

Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat kann das Heimtückische im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB jedoch gerade auch in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken3. Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war. Ausreichend ist, dass der Täter das Tatopfer unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit im Vorbereitungsstadium der Tat in eine wehrlose Lage bringt, er bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt und die so geschaffene Wehrlosigkeit bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht4. Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehrmöglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungsvolles mehr entgegenzusetzen vermag5. Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer in eine Situation gebracht wird, in der es gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder den Täter durch verbale Einwirkung noch von seinem Plan abzubringen6.

Diese Voraussetzungen waren in den beiden hier entschiedenen Fällen erfüllt:

Der ahnungslose Geschädigte H. wurde unter Einsatz der Mittels „Lockvogel“ in den abgedunkelten Vorraum der Halle gelockt und dort unter Ausnutzung seiner dadurch bedingten Wehrlosigkeit von den ihm auflauernden Angeklagten Ta. und G. überwältigt. Anschließend wurde er mit Kabelbindern gefesselt und ins Untergeschoss der Halle geführt. Nachdem ihm mitgeführtes Geld abgenommen worden und ein Erpressungsversuch fehlgeschlagen war, verbrachten ihn die Angeklagten gefesselt in das Tatfahrzeug und töteten ihn dort ihrem Tatplan entsprechend. Danach war der Geschädigte H. , nachdem er in die Falle gelockt worden war, ohne Unterbrechung nicht nur physisch außerstande, sich gegen die Angeklagten zu wehren. Die Feststellungen ergeben auch hinreichend deutlich, dass der von Anfang an bestehende Tatentschluss der Angeklagten so gefestigt war, dass der Geschädigte keine Möglichkeit mehr hatte, sie von ihrem Tötungsplan abzubringen.

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Verständigung im Strafverfahren - und die Aussetzung des Verfahrens

Die Überwältigung des ebenfalls ahnungslosen Geschädigten To. erfolgte nach dem gleichen Muster. Trotz der sich über zwei Tage hinziehenden Gefangenschaft war auch der Geschädigte To. bis zu seiner Tötung nicht mehr in der Lage, den Angeklagten G. und Ta. etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen. Aufgrund seiner Gefangenschaft (im Untergeschoss der präparierten Lagerhalle bei ständiger Bewachung, gefesselt im Transporter) war er durchgängig physisch außerstande, selbst Gegenwehr zu leisten, obgleich er sich in der Überwältigungssituation zunächst als wehrhaft erwiesen hatte. Der Umstand, dass er zeitweilig – unter Todesdrohungen – mit Angehörigen telefonieren konnte, um Geld beizubringen, hat nicht dazu geführt, dass er deshalb seine Wehrlosigkeit verloren hätte. Ein aussichtsreicher Hilferuf war angesichts der ständigen Präsenz der bewaffneten Angeklagten Ta. und G. und der von ihnen ausgehenden Steuerung der Gesprächsinhalte erkennbar nicht möglich. Auch ergeben die tatsachenfundierten Feststellungen hier hinreichend deutlich, dass der von Anfang an bestehende Tatentschluss der Angeklagten so gefestigt war, dass der Geschädigte keine Möglichkeit mehr hatte, sie von ihrem Plan abzubringen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. März 2020 – 4 StR 134/19

  1. st. Rspr.; vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 31.07.2018 – 5 StR 296/18, NStZ 2018, 654, 655; Urteil vom 09.01.1991 – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; Urteil vom 04.07.1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; Schauf, NStZ 2019, 585; MünchKommStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 170; jew. mwN[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2001 – 3 StR 303/01, NJW 2002, 1057 f.; Urteil vom 20.03.2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447, 448[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 31.07.2018 – 5 StR 296/18, NStZ 2018, 654, 655; Beschluss vom 06.11.2014 – 4 StR 416/14, NStZ 2015, 31, 32 m. Anm. Engländer; Urteil vom 10.02.2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450, 451; Beschluss vom 07.04.1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364, 365; Urteil vom 04.07.1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384; Urteil vom 17.01.1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; Urteil vom 14.06.1960 – 1 StR 73/60, S. 14 f. [insoweit in BGHSt 14, 339; NJW 1960, 1582 und MDR 1960, 863 nicht abgedruckt]; Rissing-van Saan/Zimmermann in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 211 Rn. 96 ff.; Sinn in Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Aufl., § 211 Rn. 45; Küper, JuS 2000, 740, 743; ablehnend Schauf, NStZ 2019, 585, 590 ff.; Zorn, Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB, 2013, S. 28[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 07.04.1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364, 365; siehe dazu auch Urteil vom 21.12.1977 – 2 StR 452/77, BGHSt 27, 322, 324; Urteil vom 17.01.1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; sowie die Darstellungen bei Bosch/Schindler, JURA 2000, 77, 80; Schauf, NStZ 2019, 585, 587; und Zorn, Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB, 2013, S. 27 mwN[]
  5. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016 – 5 StR 465/15, NStZ 2016, 405, 406; MünchKommStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 182 mwN[]
  6. st. Rspr.; vgl. BGH (GrS), Beschluss vom 02.12.1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Beschluss vom 28.06.2016 – 3 StR 120/16, NJW 2016, 2899 Rn. 12 [Flucht]; Beschluss vom 19.06.2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Beschluss vom 07.04.1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364, 365; Urteil vom 22.01.1952 – 1 StR 485/51, NJW 1952, 834, 835; Urteil vom 21.12.1951 – 1 StR 675/51, BGHSt 2, 60, 61; MünchKommStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 182 mwN[]
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Die Richterin war doch nicht verhandlungsfähig!