Nach § 33a Satz 1 StPO versetzt ein Gericht, das in einem Beschluss das Recht eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt hat, das Verfahren in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hatte, wenn der Beteiligte noch beschwert ist und wenn ihm kein anderer Rechtsbehelf zusteht. Die Vorschrift dient dem Zweck, dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, einem Gehörsverstoß selbst abhelfen zu können1. Für das Beschwerde- und das Revisionsverfahren stellen § 311a und § 356a StPO vorrangige Sonderregelungen der Anhörungsrüge dar2.

Tauglicher Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO ist grundsätzlich nur ein Beschluss2. Im vorliegenden Fall jedoch ist die Anhörungsrüge ausnahmsweise auch gegen ein (amtsgerichtliches) Urteil statthaft.
Wird ein Adhäsionsantrag gestellt und erweist sich dieser als zulässig und begründet, so hat das Gericht dem Adhäsionskläger die geltend gemachte Forderung in dem Strafurteil zuzusprechen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ist der Antrag unzulässig oder stellt sich das Strafgericht auf den Standpunkt, dass die geltend gemachte Forderung nicht begründet sei, so hat es nach Hinweis und Anhörung des Adhäsionsklägers (§ 406 Abs. 5 Satz 1 StPO) von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Diese Entscheidung ist durch Beschluss zu treffen (§ 406 Abs. 5 Satz 2 StPO). Gegen eine der Form nach korrekte, ausdrückliche Absehensentscheidung durch Beschluss ist sodann, bis zur instanzabschließenden Entscheidung, zunächst die sofortige Beschwerde3 und im Anschluss die Anhörungsrüge statthaft.
Das Bundesverfassungsgericht betrachtete eine Anhörungsrüge auch dann als statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft. Es hänge nicht von der Bezeichnung ab, ob eine Entscheidung hinsichtlich der statthaften Rechtsbehelfe als Urteil oder als Beschluss anzusehen sei; maßgeblich seien vielmehr der Inhalt der Entscheidung und die Gründe, auf denen sie beruhe4.
Die dieser Kammernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Erwägungen sind übertragbar mit der Folge, dass die Anhörungsrüge auch in der vorliegenden Fallkonstellation statthaft ist. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich von dem Sachverhalt, über den das Bundesverfassungsgericht bereits zu entscheiden hatte, nur dahingehend, als das Amtsgericht vorliegend nicht ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absah. Es sprach keine explizite Absehensentscheidung aus, sondern überging den Adhäsionsantrag stillschweigend. Dieses Vorgehen hat der Sache nach aber den gleichen Inhalt und die gleiche Wirkung wie eine ausdrücklich durch Urteil ausgesprochene Absehensentscheidung. Das Gericht enthält sich nämlich einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag. Ebenso wie im Falle einer ausdrücklichen Absehensentscheidung im Urteil ist auch die sofortige Beschwerde wegen des Abschlusses der Instanz ausgeschlossen (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). In beiden Fallkonstellationen kann der Adhäsionskläger seine Forderung zwar grundsätzlich im Rahmen einer Berufungsinstanz weiterverfolgen. Er kann jedoch eine Entscheidung, etwa wenn die Berufung, wie vorliegend, zurückgenommen wird, nicht erzwingen5. Beide Fallkonstellationen unterscheiden sich daher nicht wesentlich voneinander. Ist die Anhörungsrüge statthaft, wenn das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, so muss das erst recht gelten, wenn es dies nur stillschweigend tut.
Die sofortige Beschwerde ist demgegenüber nicht mehr Teil des Rechtsweges, da die Instanz mit dem Strafurteil beendet wurde (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der verfassungsprozessuale Subsidiaritätsgrundsatz nicht dazu führt, dass die Beschwerdeführerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann6.
Im hier entschiedenen Fall war das anwaltliche Schreiben der Beschwerdeführerin als Anhörungsrüge zu werten. Die Beschwerdeführerin ließ darin sinngemäß rügen, dass ihr Adhäsionsantrag ohne zureichende Gründe übergangen worden sei. Nach der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten hat das Amtsgericht über diese Anhörungsrüge erneut zu entscheiden; die Beschwerdeführerin hat vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf eine solche Entscheidung hinzuwirken.
In der vorliegenden Sache spricht, so das Bundesverfassungsgericht weiter, aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen sehr viel dafür, dass das Amtsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzte.
103 Abs. 1 GG garantiert die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten7. Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen8. Das Gericht hat das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei seiner Entscheidung darf das Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu rechnen braucht. Es darf auch keine Tatsachen zugrunde legen, zu denen nicht Stellung genommen werden konnte9. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben10. Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist11.
Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen weisen deutlich darauf hin, dass das Amtsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben dürfte. Das Amtsgericht Montabaur überging den Adhäsionsantrag vollständig; auch schnitt es der Beschwerdeführerin die Möglichkeit ab, sich im Rahmen der Hauptverhandlung als Adhäsionsklägerin zu äußern. Dies alles ergibt sich schon daraus, dass das Amtsgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung erklärte, ein Adhäsionsantrag sei ihm nicht bekannt, obwohl es zuvor auf mehrere Sachstandsanfragen, die einen Verweis auf diesen Antrag enthalten hatten, geantwortet hatte. Selbst wenn die ursprüngliche Antragsschrift nicht bei dem Gericht eingegangen sein sollte – die Beschwerdeführerin legte keinen Zugangsnachweis vor, hätten die Sachstandsanfragen doch Anlass geben müssen, diesbezüglich nachzufragen und frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eine Antragsschrift nicht eingegangen sei, zumal ein Adhäsionsantrag auch noch im Rahmen der Hauptverhandlung gestellt werden kann.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. März 2023 – 2 BvR 1810/22
- vgl. Schneider-Glockzin, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl.2023, § 33a, Rn. 1; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl.2023, § 33a, Rn. 1[↩]
- vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl.2023, § 33a, Rn. 3[↩][↩]
- vgl. Grau, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl.2019, § 406, Rn. 17[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 BvR 2054/19, Rn. 30[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 BvR 2054/19, Rn. 27-29[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 BvR 2054/19, Rn. 27 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 55, 1 <6>[↩]
- vgl. BVerfGE 19, 32 <36>[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 275 <278> 55, 1 <6>[↩]
- vgl. BVerfGE 149, 86 <109 Rn. 63>[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 293 <295> 70, 288 <293> 86, 133 <145 f.> stRspr[↩]