Der übermäßige Genuss von Rauschmitteln – und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint1.

Der übermäßige Genuss von Rauschmitteln – und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Dies lag in dem hier vom Bundesgerichtshof beurteilten Fall den Urteilsgründen zufolge in Bezug auf den Angeklagten nahe: Danach begann der im August 2003 geborene Angeklagte bereits im Jahr 2016 mit dem Konsum von Rauschmitteln. Er trank zunächst am Wochenende zwei oder drei Bier und rauchte gelegentlich Joints. Ab November 2019 intensivierte er seinen Konsum und trank regelmäßig größere Mengen hochprozentigen Alkohols; zweimal musste er aufgrund einer Alkoholintoxikation stationär behandelt werden. Cannabis konsumierte er zu dieser Zeit alle zwei bis drei Tage. Zu Beginn seiner Inhaftierung litt er unter Schlafstörungen, zitterte und schwitzte vermehrt. Durch die Intensivierung seines Alkohol- und Cannabiskonsums versuchte der Angeklagte, einer bereits im Jahr 2017 bei ihm diagnostizierten und nach wie vor bestehenden Anpassungsstörung zu begegnen.

Selbst wenn das Konsumverhalten des Angeklagten diagnostisch als „Problem mit Bezug auf die Lebensführung, Konsum von Alkohol und Cannabinoiden (ICD-10: Z 72.0)“ einzustufen sein mag und die Kriterien einer „auf psychische Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen für die Suchtstoffe Alkohol und Cannabinoide (ICD-10, Kapitel F1) im Sinne eines schädlichen Gebrauchs oder eines Abhängigkeitssyndroms noch nicht voll erfüllt“ sind, belegt dies nicht nur eine – auch von der Jugendkammer bejahte – Neigung des Angeklagten zum Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum, sondern lässt auch eine mitursächlich auf seine Konsumgewohnheiten zurückzuführende soziale Gefährdung bzw. Gefährlichkeit des noch jugendlichen Angeklagten naheliegend erscheinen.

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Auch die Erwägung des Landgerichts, dass die Straffälligkeit des Angeklagten nicht auf seinen Rauschmittelkonsum, sondern seine Persönlichkeitsproblematik zurückgehe, erweist sich als nicht tragfähig. Der von § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzte symptomatische Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat liegt schon dann vor, wenn der Hang neben anderen Ursachen zur Tat beigetragen hat2. Das war hier der Fall, weil der Angeklagte den Urteilsgründen zufolge bei der Tat jedenfalls auch rauschmittelbedingt enthemmt war.

Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss daher über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 10.04.1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); er hat die unterbliebene Anwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Der Strafausspruch konnte ebenfalls nicht bestehen bleiben, weil mit Blick auf § 5 Abs. 3 JGG nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt von einer Ahndung durch eine Jugendstrafe abgesehen hätte.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Februar 2021 – 6 StR 17/21

  1. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 07.04.2020 – 6 StR 28/20 mwN[]
  2. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 08.10.2020 – 6 StR 270/20 mwN[]
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