Vor dem Bundesverfassungsgericht war aktuell eine Verfassungsbeschwerde teilweise erfolgreich, die sich gegen ermittlungsrichterliche Untätigkeiten wegen Nichtbescheidung eines Eilantrags richtete:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ermittlungsrichterliche Untätigkeiten beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten.
Die Beschwerdeführerin betreibt ein Online-Nachrichtenportal, das über tagespolitische Geschehnisse berichtet. Wegen des Vorwurfs von strafbewehrten Verstößen gegen das Parteiengesetz führt die Staatsanwaltschaft gegen zwei Beschuldigte jeweils ein selbstständiges Ermittlungsverfahren. Im Rahmen dieser Verfahren erwirkte die Staatsanwaltschaft im August 2022 gestützt auf § 103 StPO ermittlungsrichterliche Beschlüsse, in denen die Durchsuchung näher bezeichneter Räumlichkeiten angeordnet wurde, für die der Geschäftsführer der Portalbetreiberin als Verantwortlicher eines Vereins zuständig war. Am 28.09.2022 wurden die Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Teile des durchsuchten Objekts nutzt die Portalbetreiberin nach ihren Angaben als Redaktionsraum. Im Rahmen der Durchsuchung stellten die Beamten ein Kuvert mit darin enthaltenem digitalen Datenträger (USB-Stick) sicher, der sich zuvor in einem Safe befand. Diesen öffnete der Geschäftsführer der Portalbetreiberin nach Ankündigung durch die Beamten, diesen anderenfalls aufzubrechen.
Mit Schriftsätzen vom 01.11.2022 beantragte die Portalbetreiberin in beiden Ermittlungsverfahren beim Amtsgericht eine ermittlungsrichterliche Entscheidung, wonach die Sicherstellung aufzuheben und das bezeichnete Kuvert inklusive des USB-Sticks an sie herauszugeben sei („Hauptantrag“). Darüber hinaus beantragte sie die sofortige Versiegelung des Kuverts inklusive des USB-Sticks bis zur Herausgabe an sie, jedenfalls bis zur richterlichen Entscheidung („Eilantrag“). Zur Begründung führte sie aus, dass die Durchsuchung des Redaktionsraums von den Durchsuchungsbeschlüssen nicht gedeckt gewesen sei. Zudem sei nicht beachtet worden, dass die Daten auf dem USB-Stick dem journalistischen Quellenschutz unterlägen. Der sichergestellte Datenträger sei bei alledem noch nicht einmal versiegelt worden, was umgehend nachzuholen sei. Telefonische Nachfragen der Portalbetreiberin vom 09.11.2022 blieben nach ihrem Vortrag ergebnislos. Auf Sachstandsanfragen, die sie schriftlich unter dem 4.01.2023 in beiden Ermittlungsverfahren anbrachte, erfolgte keine Antwort. Eine unter dem 23.01.2023 erhobene und unter Verweis auf eine ermittlungsrichterliche Untätigkeit begründete Dienstaufsichtsbeschwerde wurde dahingehend beantwortet, dass diese bearbeitet werde.
Mit ihrer beim Bundesverfassungsgericht am 15.03.2023 eingegangenen und mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde rügt die Portalbetreiberin eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art.19 Abs. 4 GG). Das Amtsgericht habe trotz der ersichtlichen und auch ausdrücklich geltend gemachten Eilbedürftigkeit nicht über die gestellten Anträge vom 01.11.2022 entschieden. Mit Beschluss vom 20.03.2023 hat das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG erlassen und die ermittlungsführende Staatsanwaltschaft angewiesen, das sichergestellte Kuvert inklusive des darin enthaltenen USB-Sticks einstweilen versiegelt bei dem Amtsgericht zu hinterlegen und von einer Auswertung oder sonstigen Verwertung der sichergestellten Gegenstände und der Datensicherung einstweilen Abstand zu nehmen. Unter dem 5.04.2023 hat das Amtsgericht Tiergarten die Anträge der Portalbetreiberin vom 01.11.2022 auf ermittlungsrichterliche Entscheidung in einem der beiden in Rede stehenden Ermittlungsverfahren beschieden. In dem weiteren Ermittlungsverfahren steht eine Entscheidung über die unter dem 1.11.2022 gestellten Anträge der Portalbetreiberin weiterhin aus.
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit der Ermittlungsrichter den Eilantrag der Portalbetreiberin in dem zweiten Verfahren nicht beschieden hat. Ihre Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Portalbetreiberin aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerden maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist.
Die Verfassungsbeschwerde ist zum Teil unzulässig.
Soweit die Portalbetreiberin weiterhin auch im Hinblick auf das erste Verfahren eine verfassungswidrige Untätigkeit rügt, obwohl das Amtsgericht zwischenzeitlich in diesem Verfahren über ihre Anträge vom 01.11.2022 entschieden hat, fehlt ihr das in jeder Lage des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis1. Ein solches liegt (nur) vor, solange der Rechtsschutzsuchende (noch) gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann2. Daran fehlt es hier, nachdem das Amtsgericht den Beschluss vom 05.04.2023 gefasst hat. Ein trotz Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung3 hat die Portalbetreiberin nicht in einer den § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise geltend gemacht.
Im Hinblick auf das zweite Verfahren besteht das Rechtsschutzbedürfnis zwar fort, eine mögliche Grundrechtsverletzung hat die Portalbetreiberin aber nicht aufgezeigt, soweit sie eine Nichtbescheidung ihres Hauptantrags rügt. Dieser auf § 110, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Antrag lässt anders als der Eilantrag weder aufgrund des Vorbringens der Portalbetreiberin noch aufgrund der Umstände eine besondere Eilbedürftigkeit erkennen, die das Amtsgericht in einer Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzenden Weise missachtet haben könnte.
Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die fortbestehende ermittlungsrichterliche Untätigkeit betreffend den Eilantrag in dem Verfahren 237 Js 536/22 verletzt die Portalbetreiberin in Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgt effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt4. Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen5. Hierbei bedeutet wirksamer Rechtsschutz auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass Eilrechtsschutz soweit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können6.
Diesen Anforderungen wird der Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren 237 Js 536/22 nicht gerecht. Sein Umgang mit dem Eilantrag der Portalbetreiberin verletzt deren Anspruch auf effektiven Rechtschutz.
In ihrem Schriftsatz vom 01.11.2022 hat sie ausdrücklich folgenden Antrag gestellt: „Ich beantrage ferner die sofortige Versiegelung des „Kuverts […]“ inkl. des darin enthaltenen USB-Sticks (1 TB) bis zur Herausgabe an meine Mandantin, jedenfalls bis zur richterlichen Entscheidung.“ In der Antragsbegründung kritisierte die Portalbetreiberin, dass die Durchsuchungsbeamten „noch nicht einmal“ den sichergestellten Datenträger versiegelt hätten, was nunmehr – so ausdrücklich – umgehend nachgeholt werden müsse.
Unbeschadet dieser unmissverständlichen Formulierungen musste sich dem Ermittlungsrichter auch deshalb die Eilbedürftigkeit dieses Antrags aufdrängen, weil dieser erkennbar darauf ausgerichtet war, vollendete Zustände zu verhindern. Mit ihrem Hauptantrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung bezweckte die Portalbetreiberin – wie ebenfalls von ihr ausdrücklich benannt – die Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe des Kuverts inklusive des darin befindlichen USB-Sticks. Sie berief sich im Weiteren auf ihre besondere Stellung als Presseorgan, weshalb jede Einsichtnahme der Ermittlungsbehörden in die auf dem USB-Stick gespeicherten Daten verhindert werden soll. Vor diesem Hintergrund war klar, dass der Entscheidung über den Hauptantrag und damit dem durch das Fachrecht vorgesehenen Rechtsbehelf nach § 110 Abs. 4, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO praktisch keine Bedeutung mehr zukommt, sobald die Ermittlungsbehörden den USB-Stick ausgewertet haben. Um daher einem solchen irreversiblen Zustand zuvorzukommen, hat die Portalbetreiberin einen Eilantrag formuliert. Damit hatte sie einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf dessen seiner Dringlichkeit entsprechenden Bescheidung.
Ein Zurückstellen der Entscheidung über den Eilantrag seit nunmehr über acht Monaten ist hiermit unvereinbar. Ein dies rechtfertigender Grund folgt auch – worauf das Land Berlin in seiner Stellungnahme gedrungen hat – nicht daraus, dass der Ermittlungsrichter zunächst vor Entscheidung über die Anträge der Portalbetreiberin vom 01.11.2022 abwarten durfte, wie über eine durch den Geschäftsführer der Portalbetreiberin im eigenen Namen angebrachte Beschwerde entschieden wird. Ein solches am Gedanken der Prozessökonomie ausgerichtetes Vorgehen kann allenfalls rechtfertigen, dass die Entscheidung über den Hauptantrag vom 01.11.2022 zurückgestellt wird, um divergierende Sachentscheidungen zu vermeiden. Dies gilt für den Eilantrag vom 01.11.2022 hingegen nicht, weil die Portalbetreiberin mit diesem keine Entscheidung in der Sache, sondern nur eine vorläufige Sicherung ihrer geltend gemachten Rechtsposition begehrt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2023 – 1 BvR 491/23
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.08.2017 – 1 BvR 571/16, Rn. 17[↩]
- vgl. BVerfGE 104, 220 <232> BVerfGK 7, 87 <104> 11, 262 <266>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.08.2022 – 1 BvR 1072/17, Rn. 12, m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 51, 176 <185> 67, 43 <58> 101, 106 <122 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 106 <123>[↩]
- vgl. BVerfGE 37, 150 <151 ff.> 65, 1 <70> BVerfG, Beschlüsse vom 09.02.und 25.05.2022 – 2 BvR 167/22, Rn. 2 bzw. Rn.20, m.w.N.[↩]
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