Die akustische Überwachung der Telekommunikation eines Gefangenen stellt einen erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich -namentlich die Vertrauchlichkeit des gesprochenen Wortes- sowohl des Gefangenen als auch seines Gesprächspartners dar. Stellt die einschränkende Maßnahme auch einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG dar, bedarf es einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine Beschränkung der Telekommunikation unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Ordnung im Vollzug gefordert wird

So war aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht war die Verfassungsbeschwerde eines Untersuchungsgefangenen gegen die Überwachung von Telefonaten mit seinen Eltern erfolgreich. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich dabei ausschließlich gegen die haftgrundbezogene Beschränkung in Form der Anordnung der akustischen Überwachung der Telefonate mit seinen Eltern.
Die Maßstäbe zur Beurteilung haftgrundbezogener Beschränkungen in der Untersuchungshaft sind in zahleichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt worden1. So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die akustische Besuchsüberwachung einen erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers darstellt2. Nichts Anderes gilt für die akustische Überwachung der Telekommunikation, die gleichfalls die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes zwischen dem Untersuchungsgefangenen und seinen Gesprächspartnern berührt3.
Die in der Literatur und Rechtsprechung geäußerte Auffassung, an die Verhältnismäßigkeit der Überwachung der Telekommunikation seien weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die akustische Überwachung von Besuchen4, weil im ersteren Fall nicht einmal kontrolliert werden könne, mit wem diese Telefonate geführt würden, verfängt jedenfalls im hier entschiedenen Fall nicht, da dem Untersuchungsgefangenen – soweit ersichtlich – ohnehin lediglich die Erlaubnis zu Telefonaten mit seinen Eltern erteilt worden ist.
In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. Die Vorschrift des § 119 Abs. 1 StPO bietet grundsätzlich eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des Untersuchungsgefangenen und – gemäß § 119 Abs. 6 Satz 1 StPO – auch des Strafgefangenen, für den die nach § 116b Satz 2 StPO nachrangig zu vollstreckende Untersuchungshaft angeordnet ist5. Die Auslegung der Vorschriften zur Untersuchungshaft hat allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf6. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prägt daher den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße7.
Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage von § 119 StPO ist eine reale Gefährdung der in der Bestimmung bezeichneten Haftzwecke8, der durch die Inhaftierung allein nicht ausreichend entgegengewirkt werden kann. Das Gericht muss deshalb stets prüfen, ob für das Vorliegen einer solchen Gefahr im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte bestehen9. Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbraucht, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 1 StPO nicht aus, um Beschränkungen anzuordnen10.
Stellt die einschränkende Maßnahme auch einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG dar, bedarf es einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine Besuchsbeschränkung unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Ordnung im Vollzug gefordert wird11. Nichts anderes kann für eine Beschränkung der Telekommunikation mit engen Familienangehörigen gelten, wenn diese für den Betroffenen – wie hier – eine der wenigen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Kontakts mit seiner Familie darstellt. Bei der Anordnung von Beschränkungen in der Untersuchungshaft ist stets zu beachten, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Norm im Haftvollzug besondere Bedeutung zukommt12.
Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Begründungstiefe des Beschlusses des Landgerichts München I13, der vom Oberlandesgericht München nicht beanstandet wurde14, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen angesichts der insbesondere auf Grund der Anordnungsdauer der Beschränkungsmaßnahme schwerwiegend betroffenen Grundrechte des Untersuchungsgefangenen nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob die in Streit stehenden Beschränkungen der Untersuchungshaft auch in verfassungsgemäßer Weise hätten angeordnet werden können.
Das Landgericht München I, das die vom Amtsgericht München angeordnete Beschränkung15 mit einer den veränderten Umständen entsprechenden, modifizierten Begründung aufrechterhalten hat, führt nur unzureichend zur Gefährdung der Haftzwecke im Falle einer Aufhebung der Beschränkungsmaßnahme aus. Eine Gefährdung des Haftzwecks der Fluchtgefahr wird lediglich behauptet, die Annahme einer Verdunkelungsgefahr nicht hinreichend begründet. Konkrete Anhaltspunkte für letztere erblickt das Landgericht in einer möglichen Einwirkung des Untersuchungsgefangenen auf seine Eltern, deren „Angaben zur psychischen Verfassung des Angeklagten vor und während der Tatzeit Bedeutung für das weitere Verfahren erlangen könnten“, und dem Umstand, dass er bereits angeordnete Überwachungsmaßnahmen erfolgreich umgangen habe. Angesichts des Umstands, dass die einmalige Umgehung der Überwachungsmaßnahme im Ermittlungsverfahren, als dem Untersuchungsgefangenen der telefonische Kontakt zu seinen Eltern vollständig untersagt war, und vor Rechtskraft des Schuldspruchs erfolgte, hätte die Einschätzung, daraus unverändert eine grundsätzliche Bereitschaft des Untersuchungsgefangenen zur gezielten Manipulation seiner Eltern abzuleiten, jedenfalls näherer Erläuterung bedurft. Zudem hat das Landgericht nicht plausibel dargelegt, inwiefern eine vom Untersuchungsgefangenen beeinflusste Aussage der Eltern im jetzigen Verfahrensstadium eine substantielle Veränderung des Rechtsfolgenausspruchs hin zur Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bewirken könnte. Der Schuldspruch ist nach einem Geständnis des Untersuchungsgefangenen bereits rechtskräftig, und die Möglichkeit seiner Unterbringung nach § 63 StGB war bereits zu Verfahrensbeginn nicht zuletzt deswegen Gegenstand gutachterlicher Beurteilung, weil er derzeit nach § 63 StGB untergebracht ist. Ferner lässt die Befassung des Landgerichts mit den betroffenen Grundrechtspositionen des Untersuchungsgefangenen keine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Wertentscheidung genügende Abwägung erkennen. Die betroffenen Grundrechte werden lediglich abstrakt benannt, ohne dass die familiäre Situation des Untersuchungsgefangenen, die Haftbedingungen und insbesondere die Dauer der seit Dezember 2019 währenden Überwachung der Telefonate erkennbar näher gewürdigt worden wären. Die Feststellung, die angeordneten Beschränkungen erschienen „weiterhin als erforderlich und verhältnismäßig“, lässt nicht erkennen, ob das Landgericht sich der Dauer der angeordneten Beschränkungsmaßnahme bewusst war, und bezieht das insoweit zunehmende Gewicht des Eingriffs nur unzureichend ein.
Durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist dieser Begründungsmangel nicht behoben worden. Die knappe Feststellung, „das durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Interesse des Angeklagten an vertraulicher innerfamiliärer Kommunikation [habe] unter den gegebenen Umständen hinter dem staatlichen Interesse an einer Meidung missbräuchlicher Einwirkungen auf die neue Verhandlung über den Rechtsfolgenausspruch zurückzustehen“, bleibt hinsichtlich der abzuwägenden Grundrechtspositionen ebenfalls abstrakt und lässt eine substantielle Auseinandersetzung mit der Angemessenheit beziehungsweise Zumutbarkeit der Überwachung der Telefonate, insbesondere mit Blick auf die fortgeschrittene Dauer der Maßnahme, vermissen.
Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des Untersuchungsgefangenen verletzt worden sind, kann angesichts des festgestellten Grundrechtsverstoßes dahinstehen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. November 2022 – 2 BvR 1139/22
- vgl. zur Besuchsüberwachung BVerfG, Beschluss vom 30.10.2014 – 2 BvR 1513/14; Beschluss vom 20.06.1996 – 2 BvR 634/96, juris; Beschluss vom 31.08.1993 – 2 BvR 1479/93, juris; zur Verweigerung von Telefonaten mit dem Verteidiger vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.2012 – 2 BvR 988/10; zur Beschränkung des Besuchsverkehrs BVerfGE 34, 384 zur Postkontrolle BVerfGK 19, 140 m.w.N.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 31.08.1993 – 2 BvR 1479/93 12; Beschluss vom 20.07.1996 – 2 BvR 634/96 8[↩]
- vgl. Schultheis, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl.2019, § 119 Rn. 27; Gärtner, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl.2019, § 119 Rn. 38[↩]
- vgl. dazu Schultheis, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl.2019, § 119 Rn. 27; Krauß, in: BeckOK StPO, § 119 Rn. 30 [Oktober 2022]; und OLG Hamm, Beschluss vom 09.02.2010 – 3 Ws 45/10 23[↩]
- vgl. BVerfGE 34, 369 34, 384 35, 307 35, 311 57, 170 BVerfG, Beschluss vom 30.10.2014 – 2 BvR 1513/14, Rn. 18[↩]
- vgl. BVerfGE 15, 288 34, 369 42, 95 BVerfGK 13, 163 [↩]
- vgl. BVerfGE 34, 369 35, 5 35, 307 [↩]
- vgl. BVerfGE 15, 288 34, 369 [↩]
- vgl. BVerfGE 35, 5 42, 234 57, 170 [↩]
- vgl. BVerfGE 35, 5 BVerfG, Beschluss vom 25.07.1994 – 2 BvR 806/94 23; Beschluss vom 20.06.1996 – 2 BvR 634/96 8; Beschluss vom 10.01.2008 – 2 BvR 1229/07, Rn. 17[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.08.1993 – 2 BvR 1479/93 15[↩]
- vgl. BVerfGE 42, 95 BVerfG, Beschluss vom 25.07.1994 – 2 BvR 806/94 16[↩]
- LG München I, Beschluss vom 26.04.2022 – 20 KLs 458 Js 161197/19[↩]
- OLG München, Beschluss vom 25.05.2022 – 2 Ws 283/22[↩]
- AG München, Beschluss vom 28.06.2019 – ER VII Gs 1920/19[↩]