Der verspätete Notruf – und die Garantenstellung der anderen Spice-Konsumenten

Gemeinsame Drogenkonsumenten sind, wenn einer von ihnen aufgrund des Konsums zusammenbricht, keine Garanten für das Leben des Geschädigten.

Der verspätete Notruf – und die Garantenstellung der anderen Spice-Konsumenten

Eine Garantenstellung ergibt sich weder aus der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft noch aus einem pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhalten und auch nicht aus der Schaffung oder Unterhaltung einer Gefahrenquelle.

Garantenstellung wegen Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft

Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann gegenseitige Hilfspflichten und damit eine Garantenstellung begründen, wenn darüber hinaus erkennbar eine Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus der Gruppe übernommen wird1. Davon abzugrenzen sind lose Zusammenschlüsse etwa von Zechkumpanen2 oder auch von Rauschgiftkonsumenten3, bei denen es regelmäßig an der Übernahme einer Beistandspflicht fehlen wird. Auch dass sich mehrere Personen zufällig in derselben Gefahrensituation befinden, begründet noch nicht die Annahme einer gegenseitigen rechtlichen Pflicht zur Unterstützung4. Erforderlich ist auch hier die tatsächliche Übernahme einer Schutzfunktion, wobei diese noch nicht darin liegt, dass jemand in Erfüllung seiner Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB einem Hilfsbedürftigen beisteht5.

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kommt die Annahme einer Garantenstellung nicht in Betracht. Dies betrifft sämtliche Zeitpunkte, an denen mögliche Unterlassungsvorwürfe anknüpfen könnten.

Das bloße Zusammenstehen in nächtlicher Runde und auch das gemeinsame Rauchen einer Zigarette lässt – vergleichbar der Rechtsprechung zu Zech- oder Konsumgemeinschaften – noch keine Gefahrengemeinschaft entstehen, die die Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge in bestimmten Gefahrenlagen einschließt. Dies gilt ungeachtet des erkennbaren Zustands des Geschädigten, dessen Wahrnehmung allenfalls eine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB, aber keine strafrechtliche Haftung im Sinne von § 13 StGB auslöst.

Dass in dieser Runde schließlich der den Wirkstoff 5FADB (ein synthetisches Cannabinoid, das um Vieles wirksamer ist als normales THC) enthaltende Joint geraucht wurde, ändert an dieser Einschätzung nichts. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die Rauchenden darauf beschränkten, selbst einige Züge zu nehmen, und es ablehnten, den Geschädigten selbst rauchen zu lassen. Es handelt sich bei der zusammenstehenden Gruppe allenfalls um eine bloße Konsumgemeinschaft, die Garantenpflichten nicht begründen kann.

Der Umstand, dass die Angeklagten es ablehnten, dem Geschädigten den Joint zum Rauchen zu überlassen, stellt sich nicht als Übernahme von Verantwortung dar, die weitergehende Schutzpflichten auslösen könnte. Es handelt sich bei der Zurückweisung dieses Ansinnens lediglich um ein von der Rechtsordnung anderweit gefordertes Verhalten, das in diesem Augenblick der Vermeidung einer strafrechtlichen Haftung aus Ingerenz bzw. einer Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle dient. Hätten die Angeklagten dem Geschädigten den Joint überlassen, hätten sie sich mit Blick auf dieses Verhalten nach diesen Grundsätzen zu verantworten gehabt. Aus ihm lassen sich aber keine Rückschlüsse ziehen, dass die Angeklagten damit weitergehende Verantwortung für den Geschädigten übernehmen wollten.

Soweit der Geschädigte im Folgenden einem der Geschädigten den Joint abnahm und anschließend einige Züge rauchte, begründet auch dies unter dem Gesichtspunkt einer Verantwortlichkeit für den Geschädigten keine Garantenstellung der Angeklagten. Drittverhalten ist insoweit nicht geeignet, eine Einstandspflicht der Angeklagte mit Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge entstehen zu lassen. An dieser Bewertung ändert auch nichts der Umstand, dass der Geschädigte anschließend als Folge des Rauchens zusammengebrochen ist, das Bewusstsein verloren und sich erbrochen hat. Grund für eine Garantenstellung ist das Einstehenmüssen aufgrund einer tatsächlichen Übernahme von Verantwortung, an der es fehlt. Diese Voraussetzungen werden nicht ersetzt durch die bloße Kenntnis von Hilfsbedürftigkeit, die lediglich Pflichten nach § 323c StGB begründet. Soweit eine besondere Kenntnis über den Grad und das Ausmaß der Gefahr besteht, hat dies lediglich Einfluss auf das Maß dessen, was der nach § 323c StGB Hilfeleistungspflichtige zu unternehmen hat.

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Schließlich ist der Umstand, dass die Angeklagten Maßnahmen zur Rettung des Geschädigten unternommen haben und noch einmal nach Verlassen der Spielothek zu ihm zurückgekehrt sind, um nach ihm zu schauen, nicht geeignet, Garantenpflichten auszulösen. In der ersten Hilfeleistung liegt keine konkludente Zusage, sich weiter um den Geschädigten zu kümmern, wenn sich sein Zustand nicht bessert. Bei dem Tun der Angeklagten handelt es sich vielmehr allein um die (ungenügende) Erfüllung der ihnen aus § 323c StGB obliegenden Pflicht, nicht um die Übernahme der Obhut. Allein daraus, dass jemand einem Hilfsbedürftigen beisteht, ergibt sich – jedenfalls dann, wenn damit wie hier keine wesentliche Veränderung der Situation des Hilfsbedürftigen eingetreten ist6 – noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung7. Wollte man dies anders beurteilen, bedeutete dies eine nicht nachvollziehbare Schlechterstellung desjenigen, der immerhin Maßnahmen zur Rettung ergreift, mögen sie auch letztlich ungenügend sein, gegenüber demjenigen, der gar nicht erst tätig wird.

Garantenstellung aus pflichtwidrigem gefährdendem Vorverhalten

Eine Garantenstellung kann sich auch aus einem pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhalten ergeben. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist allgemein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein pflichtwidriges Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht8. Im Zusammenhang mit der Abgabe von Betäubungsmitteln bzw. der Unterstützung des Konsums von Rauschgift durch einen Dritten hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass dies jedenfalls dann pflichtwidrig ist, soweit dies strafbar ist9. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit (auch im Sinne einer Ingerenzhaftung) entfällt bei eigenverantwortlich gewollter und verwirklichter Selbstgefährdung. Dies wird grundsätzlich nicht von den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts erfasst, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungsoder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist10.

Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. verletzung und einer – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdgefährdung oder verletzung eines anderen ist damit die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungshandlung nicht allein bei dem Gefährdeten, sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein11. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft kann einem Täter gleichwohl dann zuwachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses beeinträchtigt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen (Fach)Wissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, insbesondere dann, wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist12. Trotz eigenverantwortlicher Selbstgefährdung kann sich eine Garantenpflicht ergeben, wenn das an sich pflichtwidrige Vorverhalten, etwa das strafbare Überlassen eines Heroingemischs, die dann z.B. mit einer Bewusstlosigkeit eintretende Gefahrenlage herbeiführt. Die Straflosigkeit eines Tuns/Unterlassens bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung schließt es nicht aus, Garantenpflichten für den Zeitpunkt zu begründen, in dem sich das Risiko erkennbar verwirklicht13.

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An dieser Rechtsprechung gemessen liegt im hier entschiedenen Streitfall eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht vor. Es ist – vor dem Konsum durch den Geschädigten als maßgeblichem Zeitpunkt für eine Unterlassensstrafbarkeit – kein pflichtwidriges Vorverhalten gegeben, das mit der naheliegenden Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs des Todes verbunden gewesen wäre.

Die Herstellung und Weitergabe des Joints stellt schon kein pflichtwidriges Verhalten dar. Er gab dabei den Hinweis, dass es sich um „starkes Zeug“ handele; der Konsum von Spice mit dem Wirkstoff 5FADB war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mit Strafe belegt, so dass sich hieraus jedenfalls die Pflichtwidrigkeit nicht ergeben kann. Dass mit dem Konsum von Rauschmitteln grundsätzlich Gefahren verbunden sind, vermag allein die Pflichtwidrigkeit des Handelns nicht zu begründen. Ungeachtet dessen war mit der weit im Vorfeld des späteren Tatgeschehens erfolgten Übergabe des Joints auch keine nahe Gefahr des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs verbunden.

Soweit einer der Beteiligten auf dem Gelände der Kreisrealschule den Joint herausholte, von diesem einige Züge nahm und den Joint auch seinem Bruder zum Konsum überreichte, stellt auch dies – insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Angeklagten als Konsumenten frei verantwortlich und ohne Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit handelten – noch kein pflichtwidriges Handeln dar. Auch insoweit lag keine nahe Gefahr des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs (des Todes) vor. Die in diesem Zusammenhang erfolgende Wegnahme des Joints durch den Geschädigten stellt sich (trotz seiner vorangegangenen Frage nach dem Joint) als ein überraschendes und nicht vorhersehbares Tun dar, das den Angeklagten nicht zuzurechnen ist14. Überdies kann ein nicht pflichtwidriges Verhalten, das zwar kausal eine Gefahr herbeiführt, die unmittelbar aber erst durch das verantwortungsvolle Handeln eines Dritten begründet wird, nicht zu einer Garantenstellung führen15. Die Strafrechtsordnung verlangt grundsätzlich nur, dass jeder sein Verhalten so einrichtet, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber auch darauf, dass andere dies nicht tun.

Weiteres (positives) Tun vor der Wegnahme bzw. dem Konsum des Joints durch den Geschädigten liegt nicht vor. Selbst wenn man die Ablehnung der Übergabe des Joints als positives Tun verstehen würde, ist insoweit jedenfalls kein pflichtwidriges Verhalten anzunehmen. Diese Verweigerung dient insoweit gerade der Vermeidung einer Ingerenzhaftung, die anzunehmen wäre, hätten die Angeklagten dem alkoholisierten Geschädigten von sich aus oder auf Aufforderung hin den Joint überlassen bzw. übergeben.

Das nachfolgende Verhalten, etwa die Nichtverhinderung der Wegnahme oder ein mögliches Herausgabeverlangen, stellt sich nicht als positives Tun dar, sondern lediglich als ein Unterlassen. Es könnte insoweit nur von strafrechtlicher Relevanz sein, wenn schon zu diesem Zeitpunkt eine Garantenstellung (aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt) bestünde. Dies ist aber nicht der Fall.

Weiteres Verhalten der bis zu diesem Zeitpunkt nicht pflichtwidrig handelnden Angeklagten nach dem Konsum bzw. dem Zusammenbruch des Geschädigten führt zu keiner Garantenstellung aus Ingerenz. Soweit dieses zwar pflichtwidrig ist, weil die Angeklagten ihrer Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB nicht genügen, vermag dies eine Ingerenzhaftung nicht (mehr) zu begründen16.

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Garantenstellung aus der Schaffung oder Unterhaltung einer Gefahrenquelle

In Abgrenzung zu einer Unterlassensstrafbarkeit aus Ingerenz, die ein pflichtwidriges Vorverhalten voraussetzt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat17. Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. In welchem Umfang die Erfolgsabwendungspflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind18.

An diesen Grundsätzen gemessen fehlt es auch insoweit an einer Garantenstellung der anderen SpiceKonsumenten. Keiner von ihnen hat – insoweit unterscheidet sich der zu entscheidende Fall grundlegend von jüngerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den sog. „Gamma-Butyrolacton“ – (GBL) Fällen19, in denen die Angeklagten jeweils eine ihnen bekannte Gefahrenquelle geschaffen hatten – zum maßgeblichen Tatzeitpunkt eine Gefahrenquelle geschaffen bzw. unterhalten.

Der Angeklagte S. H. hat im hier entschiedenen Streitfall weder eine Gefahrenquelle geschaffen noch hat er sie unterhalten. Sein Verhalten erschöpfte sich in seiner bloßen Anwesenheit auf dem Gelände der Kreisrealschule und in der kurzfristigen Übernahme des Joints, von dem er einige Züge nahm. Er hatte diesen längst an seinen Bruder K. H. zurückgegeben, der selbst noch mal daran zog, bevor ihm der Geschädigte M. diesen wegnahm und selbst zwei Züge davon nahm. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit über § 323c StGB für den durch eine eigene Handlung des Geschädigten verursachten Tod hinaus lässt sich daraus nicht ableiten.

Der Angeklagte A. hat zwar ursprünglich eine Gefahrenquelle geschaffen, indem er den Joint mit dem Wirkstoff 5FADB hergestellt und diesen durch Weitergabe an den Mitangeklagten K. H. in den Verkehr gebracht hat. Dabei hatte er allerdings – wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist – den Mitangeklagten K. und S. H. mitgeteilt, dass es sich um „Spice“ und „starkes Zeug“ handele, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, welche tatsächlichen Gefahren mit dem Genuss des Joints verbunden sein können. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich zum Tatzeitpunkt um einen Stoff gehandelt hat, der weder vom Betäubungsmittelnoch vom Arzneimittelgesetz erfasst war, und dass deshalb der Umgang mit ihm nicht unter Strafe stand. Eine generelle Verpflichtung des Eigentümers eines solchen Mittels, besondere Vorkehrungen gegen selbstschädigenden Missbrauch zu treffen, führte zur Auferlegung von Verpflichtungen, die die freie Verfügbarkeit konterkarieren20. Insoweit hat der Angeklagte A. im Augenblick der Übergabe an K. H. die einerseits notwendigen, aber auch ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um andere vor Schaden zu bewahren. Eine nahe liegende Gefahr, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden könnten, wurde deshalb mit der Übergabe des Joints an K. H. nicht begründet.

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Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass beide am Tatabend den Onkel des Angeklagten K. H. , den Zeugen B. , aufgesucht hatten und diesen an einem Joint mit dem Wirkstoff Spice rauchen ließen. Die Mitteilung von K. H. an seinen Onkel, er habe „bombiges Zeug, echt gutes Gras, keine synthetische Scheiße“ dabei, beschreibt mit anderen Worten, dass es sich insoweit um ein hochwirksames Rauschmittel handelt, und stellt grundsätzlich – auch vor dem Hintergrund, dass es hier um eine aktive Weitergabe des Joints an eine dritte Person geht – einen hinreichenden Hinweis auf die Gefährlichkeit des Rauschmittels dar21. Jedenfalls ergab sich für den Angeklagten A. aus dem Besuch des Zeugen B. keine Pflicht zu weiterreichenden Vorkehrungen zum Schutz anderer dritter Personen, zumal beide Angeklagten von den tatsächlich eingetretenen Wirkungen des Stoffes bei diesem nichts mitbekommen hatten.

An dieser Ausgangslage änderte sich für den Angeklagten A. auch nichts, als sie auf dem Gelände der Kreisrealschule auf den Geschädigten M. trafen. Er bemerkte zwar wie die anderen Angeklagten auch dessen Alkoholisierung. Es gab für ihn allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mitangeklagten den Joint an eine dritte Person außerhalb des unmittelbaren Familienoder Freundeskreises weiterreichen könnten. Vielmehr konnte der Angeklagte A. , der den Joint ja selbst nicht mehr im Besitz und insoweit keinen unmittelbaren Zugriff auf diesen hatte, feststellen, dass die Mitangeklagten dem Ansinnen des Geschädigten M. entgegentraten und der Angeklagte K. , an dem Joint rauchen zu wollen, H. ihm diesen angesichts seines erkennbar alkoholisierten Zustands nicht übergab. Dass der Geschädigte den Joint nunmehr eigenmächtig an sich nehmen würde, war angesichts des bisherigen Geschehensablaufs und trotz der Bemerkung von M. „Kindergarten“ nicht vorhersehbar. In diesem Augenblick realisierte sich damit nicht die Gefährlichkeit einer Gefahrenquelle oder eines gefährlichen Vorverhaltens, sondern das eigenmächtige Handeln des Tatopfers22. Der Angeklagte A. hatte somit mit seinen Hinweisen auf die Wirksamkeit des in dem Joint erforderlichen Stoffs alle diejenigen Maßnahmen ergriffen, die ein verständiger und umsichtiger Mensch in dieser Situation für ausreichend und notwendig halten durfte, um andere vor Schaden zu bewahren. Es war insoweit nicht mit Blick auf den Schutz des Lebens eines Dritten von der Rechtsordnung geboten, weitere, über die später getroffenen hinausreichenden Maßnahmen zur Rettung des Geschädigten zu ergreifen, nachdem dieser in Eigenmacht den Joint ergriffen und zwei Züge von ihm genommen hatte. Insoweit liegt lediglich ein Unglücksfall vor, der nach § 323c StGB zur Hilfe verpflichtet.

Diese Würdigung gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass die im Vergleich zu THC stärkeren Nebenwirkungen des Wirkstoffs 5FADB, insbesondere auch der Umstand, dass sich diese in Verbindung mit Alkohol nochmals drastisch verschärfen, nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls den Angeklagten nicht bekannt waren. Wäre dies der Fall gewesen, hätten sich daraus in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Anforderungen an den für eine Gefahrenquelle Zuständigen um so höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind, schon im Vorfeld des eigentlichen Tatgeschehens eine grundsätzlich erhöhte Erfolgsabwendungspflicht ergeben. Ob angesichts einer solchen, im Zeitpunkt des Geschehens auf dem Gelände der Kreisrealschule fortbestehenden Pflicht weiterreichende Maßnahmen des Angeklagten A. auch nach der Ansichnahme und dem Genuss des Joints durch den Geschädigten M. hätten ergriffen werden müssen, braucht der Bundesgerichtshof aber hier nicht zu entscheiden. Denn angesichts des Umstands, dass der Geschädigte den Joint nach der Ablehnung, ihm diesen zur Verfügung zu stellen, eigenmächtig und unangekündigt zum Zwecke des Rauchens an sich nahm, waren hier weitere Sicherungsmaßnahmen des Angeklagten A. (im Vorfeld) nicht geboten. Der Zugriff des Geschädigten auf den Joint bei K. H. stellt keine Realisierung einer durch die ursprüngliche Herstellung des Joints begründeten „nahe liegenden Gefahr“ dar.

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Der Angeklagte K. H. befand sich auf dem Gelände der Kreisrealschule im Besitz des Joints mit dem Wirkstoff 5FADB. Er unterhielt damit keine Gefahrenquelle im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dass er einen objektiv gefährlichen Gegenstand im öffentlichen zugänglichen Bereich einer Schule in der Nacht in den Händen hielt, macht den Joint, den er lediglich seinem Bruder zum Rauchen überließ, noch nicht zu einer „Gefahrenquelle“ für weitere Personen, auch wenn der Geschädigte daneben stand. Die Eröffnung der Gefahrenquelle muss die „nahe liegende Gefahr“ hervorrufen, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden. Daran fehlt es, wenn – anders als in den Fällen der BGH-Entscheidungen vom 21.12.2011 und vom 05.08.201523 – eine eingeräumte unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den an sich gefährlichen Gegenstand nicht besteht, der Zugriff im Gegenteil sogar verweigert wird und im Übrigen nicht voraussehbar ist, dass ein anderer den Gegenstand gleichwohl an sich nehmen wird. Mit der Eigenmächtigkeit eines Dritten, hier des Geschädigten, brauchten die Angeklagten nicht zu rechnen. Bei dieser Sachlage bestand auch keine Rechtspflicht im Sinne von § 13 StGB, den Geschädigten unmittelbar nach dessen Eigenmacht vor dem Joint zu warnen. Es ist schon fraglich, ob diese Warnung den Genuss des Joints durch den Geschädigten noch hätte verhindern können. Jedenfalls bestand keine Verantwortlichkeit des K. H. für eine Gefahrenquelle mit dem für Rechtsgüter Dritter erforderlichen Gefahrenpotential. Auch das Wissen um die Hochwirksamkeit des in dem Joint enthaltenen Stoffs kann dies nicht ersetzen. Die erkennbare Gefährlichkeit einer Handlung lässt nach der Rechtsprechung des BGH bei entsprechender Steigerung von Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität die Anforderungen an den für eine Gefahrenquelle Verantwortlichen steigen24, setzt damit aber die Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle voraus und kann sie nicht erst begründen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. September 2019 – 2 StR 563/18

  1. vgl. BGH, Urteil vom 04.12 2007 – 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277 mwN zur Rspr.[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.1954 – 1 StR 612/53, NJW 1954, 1047, 1048[]
  3. vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 182[]
  4. vgl. Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 13, Rn. 24[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 05.12 1974 – 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 39[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1993 – 1 StR 264/93, NJW 1993, 2628[]
  7. so ausdrücklich schon BGH, Urteil vom 05.12 1974 – 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 39[]
  8. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84; BGH, Urteil vom 16.02.2000 – 2 StR 582/99, StV 2001, 616[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 09.11.1984 – 2 StR 257/84, BGHSt 33, 66; BGH, Urteil vom 27.06.1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452; siehe auch BGH, Urteil vom 29.04.2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 291[]
  10. grundlegend BGH, Urteil vom 14.02.1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; BGH, Urteil vom 11.12 2003 – 3 StR 120/03, NJW 2004, 1055[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2003 – 3 StR 120/03, NJW 2004, 1055 zur Übergabe von Heroin; siehe auch BGH, Urteil vom 14.02.1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262 zur Besorgung einer für den Konsum von Heroin benötigten Spritze; ferner zur Überlassung von Heroin statt Kokain BGH, Urteil vom 29.04.2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288[]
  12. BGH, Beschluss vom 11.01.2011 – 5 StR 491/10, BGH NStZ 2011, 341; siehe ferner BGH, Urteil vom 29.04.2009 _ 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; Urteil vom 27.11.1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266[]
  13. BGH, Urteil vom 27.06.1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452; BGH, Urteil vom 09.11.1984 – 2 Str 257/84, NJW 1985, 690, 691[]
  14. vgl. zur Ablehnung einer nahen Gefahr durch nicht vorhersehbares Verhalten eines Mittäters bei pflichtwidrigem Vorverhalten BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998; Beschluss vom 23.05.2000 – 4 StR 157/00, NStZ 2000, 83, 583; Urteil vom 24.09.1998 – 4 StR 272/98, NJW 1999, 69, 72[]
  15. BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84[]
  16. vgl. BGH, Urteil vom 10.06.1952 – 2 StR 180/52, BGHSt 3, 65, 67; BGH, Urteil vom 26.10.1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351[]
  17. BGH, Urteil vom 13.11.2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f; siehe auch BGH, Urteil vom 21.12 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319 m. Anm. Murmann NStZ 2012, 387; BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 m. krit. Anm. Jäger, JA 2016, 392; Schiemann, NJW 2016, 178; Puppe, ZIS 2013, 46; BGH, Urteil vom 22.11.2016 – 1 StR 354/16; NStZ 2017, 223, 225[]
  18. BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 mwN[]
  19. vgl. BGH, Urteil vom 21.12 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319; BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 24[]
  20. vgl. dazu auch Murmann, NStZ 2012, 387, 388[]
  21. vgl. BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 25[]
  22. vgl. dazu auch im Zusammenhang mit dem sog. „Gamma-Butyrolacton“Fall des BGH: Brüning ZJS 2012, 691, 693[]
  23. BGH, Urteil vom 21.12 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319; BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21[]
  24. vgl. BGH, Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23[]
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