Die Agententätigkeit des iranischen Botschaftsrats

Für einen in einem anderen EU-Staat akkreditierten Botschaftsrat, gegen den in Deutschland wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit für eine ausländische Macht ermittelt wird, besteht keine diplomatische Immunität gemäß aus Art. 40 Abs. 1 WÜD.

Die Agententätigkeit des iranischen Botschaftsrats

Diplomatische Immunität wirkt nach Völkergewohnheitsrecht nicht in allen Staaten (erga omnes), sondern allein in dem Empfangsstaat, also dem Staat, in dem die diplomatische Mission des Entsendestaats errichtet ist, zu der der Diplomat gehört1. In Art. 40 WÜD sind völkervertragsrechtlich zugunsten von Personen mit Immunität Ausnahmen zu diesem Grundsatz geregelt, indem unter bestimmten Voraussetzungen der Schutz auf Drittstaaten ausgedehnt wird2.

Die Auslegung und Anwendung dieser über das Völkergewohnheitsrecht hinausgehenden – aufgrund Zustimmungsgesetzes vom 06.08.19643 als einfaches Bundesrecht geltenden – Ausnahmevorschriften obliegt originär dem Bundesgerichtshof als Fachgericht; denn es sind keine zugunsten des Beschuldigten wirkenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beurteilen, aufgrund derer gemäß Art. 100 Abs. 2 GG das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung berufen sein könnte4.

Nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD genießt ein Diplomat auch in einem Drittstaat Immunität, wenn er ihn durchreist, um „sein Amt anzutreten oder um auf seinen Posten oder in seinen Heimatstaat zurückzukehren“, oder wenn er sich zu einem dieser Zwecke bereits in dem Drittstaat befindet5. Dass die Regelung in der zweiten Alternative („sich befindet“) nicht an jeden beliebigen Aufenthalt im Drittstaat anknüpft, sondern nur an einen solchen, der dazu dient, das Amt anzutreten oder auf den Posten oder in den Entsendestaat zurückzukehren, ergibt sich deutlicher aus der englischen und französischen Fassung der Norm6.

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Abs. 1 Satz 1 WÜD schützt somit lediglich die Durchreise durch das Hoheitsgebiet des Drittstaats zu einem der benannten Zwecke. Umfasst sind die erste Anreise zur Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat, die Reisen während der Zeit der Beschäftigung sowie die endgültige Abreise nach Dienstbeendigung. Dies gilt jedoch nur für Reisen vom Entsende- in den Empfangsstaat und umgekehrt. Geschützt sind nur Reisen durch einen Drittstaat, deren Zweck ausschließlich der Transit mit dem Ziel ist, den Empfangs- oder Entsendestaat zu erreichen7. Nach allgemeiner Meinung fällt ein privater Urlaub in einem Drittstaat nicht darunter8. Bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat zu touristischen Zwecken kann die geplante Ausreise in den Empfangsstaat demnach keinen diplomatischen Schutz begründen.

Es entspricht dem Zweck des Art. 40 WÜD, seine Anwendung auf dasjenige zu beschränken, was notwendig ist, um einen ungestörten diplomatischen Verkehr zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat zu ermöglichen. Private Urlaubsreisen des Diplomaten in das Hoheitsgebiet eines anderen Staats zählen hierzu nicht. Der Drittstaat hat der Tätigkeit des Diplomaten, der dort keinerlei Aufgaben zu erfüllen hat, nicht zugestimmt9; für diesen Staat besteht keine Möglichkeit, eine Beendigung der dienstlichen Tätigkeit durch eine Erklärung zur persona non grata nach Art. 9 WÜD zu erzwingen, weil die Vorschrift ausdrücklich nur den Empfangsstaat berechtigt10.

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Diesem Verständnis des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD steht auch nciht das vom Auswärtigen Amt verfasste Rundschreiben vom 15.09.2015 („Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland“) entgegen, mit dem die einschlägigen internationalen und nationalen Regeln zusammengefasst sowie Anwendungshilfen bekanntgemacht worden sind11. Es bindet die Gerichte im Hinblick auf Rechtsfragen ohnehin nicht12. Darüber hinaus bestätigt das Rundschreiben gerade die hier dargelegte Auslegung: Nach Teil 1 B.02.6 Abs. 1 Satz 2 des Rundschreibens gelten zugunsten des Diplomaten die „für seine sichere Durchreise oder Rückkehr erforderlichen Vorrechte und Befreiungen“ auch dann, „wenn er in den Heimaturlaub fährt oder aus dem Urlaub an seine Dienststelle zurückkehrt“. Mit der Rückkehr „aus dem Urlaub“ ist die Rückkehr aus dem Urlaub im Entsendestaat gemeint; das ergibt sich insbesondere daraus, dass das Rundschreiben dem Wort „Heimaturlaub“ folgend den bestimmten Artikel „dem“ anstatt den unbestimmten Artikel „einem“ verwendet, der sich damit – im Sinne von „diesem“ – auf Heimaturlaub bezieht13. Zudem stellt Teil 1 B.02.6 Abs. 2 Satz 4 des Rundschreibens klar, dass ein „mehrtägiger Aufenthalt, etwa zu touristischen Zwecken …, … nicht als Transit im Sinne von Artikel 40 WÜD anerkannt werden“ kann.

Danach waren im hier entschiedenen Fall die Voraussetzungen des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD nicht gegeben. Eine von dieser Vorschrift erfasste Durchreise zwischen dem Entsendestaat, der Islamischen Republik Iran, und dem Empfangsstaat lag nicht vor. Vielmehr trat der Beschuldigte eine nicht privilegierte private Urlaubsreise in weitere mitteleuropäi- sche Staaten an, die ihn wieder dorthin zurückführen sollte.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – StB 43/18

  1. vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.06.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 87 f.; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 597[]
  2. vgl. BVerfG aaO, S. 88[]
  3. BGBl. I, S. 957[]
  4. s. hierzu BVerfG aaO, S. 79 f. mwN[]
  5. vgl. Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, 1994, S. 124[]
  6. s. BGBl.1964 II, S. 986[]
  7. vgl. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 609; ferner SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 18 GVG Rn. 9[]
  8. vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.1983 – XII10/83, EuGRZ 1983, 440, 447; Denza, Diplomatic Law – Commentary on the Vienna Convention on Diplomatic Relations, 4. Aufl. [2016], S. 371 ff.; Kreicker aaO; Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl. [2010], Art. 40 WÜD Nr. 2; Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, 1994, S. 124[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.06.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 87[]
  10. vgl. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 596[]
  11. vgl. hierzu SK-StPO/Frister, 5. Aufl., Vor §§ 1821 GVG Rn. 11[]
  12. vgl. SK-StPO/Frister aaO, Rn. 43; zur Bedeutung von Äußerungen des Auswärtigen Amts zu tatsächlichen Fragen diplomatischer Tätigkeit s. OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.11.1982 – 4 Ss 106/82, Die Justiz 1983, 133, 134; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 18 GVG Rn. 7a[]
  13. s. auch Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl., Art. 40 WÜD Nr. 3. b[]
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