Unter den Straftatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ kann auch die Flucht mit einem Fahrzeug vor der Polizei gehören.

So hat das Oberlandesgericht Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall eines Autofahrers entschieden, der eine Verkehrskontrolle vermeiden wollte und mit seinem Fahrzeug vor der Polizei geflohen ist. Am 1. Mai 2018 gegen vier Uhr flüchtete er in Lichtenstein-Honau mit seinem PKW vor einer Streifenwagenbesatzung der Polizei, welche ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollte und ihm deshalb Haltesignal anzeigte. Nach Erkennen des Streifenwagens und des Haltesignals beschleunigte er sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die ihn nun mit Blaulicht, Martinshorn und dem Haltesignal „Stopp Polizei“ verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitend und unter Missachtung der Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort Engstingen. Die Gegenfahrbahn nutzend fuhr er über eine „Rot“ anzeigende Ampel und setzte seine Fahrt durch Engstingen bei erlaubten 50 km/h mit mindestens 145 km/h fort, wobei er von einer Geschwindigkeitsmessanlage „geblitzt“ wurde. Nach dem Ortsausgang fuhr er auf der teils kurvenreichen und unübersichtlichen Bundesstraße 313 – bei partieller Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h – mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 180 km/h. Hierbei schnitt er an unübersichtlichen Stellen die Kurven; ihm waren allein um des schnelleren Fortkommens willen die Belange anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig. Die ihn verfolgenden Polizeibeamten konnten die Distanz zum Fahrzeug des Angeklagten nicht verringern, weil dies ohne erhebliches Risiko für sie und andere Verkehrsteilnehmer nicht möglich war, und mussten daher die Verfolgung abbrechen.
Wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens ist der Angeklagte vom Amtsgericht Münsingen1 zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt worden. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein wurde eingezogen. Zudem wurde eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte die sogenannte „Sprungrevision“ zum Oberlandesgericht eingelegt.
In § 315 d StGB ist festgelegt, dass jemand, der ich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart hat das Amtsgericht Münsingen fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies verlangt nicht die Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren. Ausreichend ist vielmehr das Abzielen auf eine relative, eine nach den Sicht-, Straßen- und Verkehrsverhältnissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchstgeschwindigkeit. Auf diese Absicht hat das Amtsgericht Münsingen aus der Gesamtschau der Umstände rechtsfehlerfrei geschlossen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Vielmehr kann auch in Fällen der „Polizeiflucht“ eine Strafbarkeit nach § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelfall – wie hier – festgestellt werden können. Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Begründung sprechen dafür, auch die „Polizeiflucht“ als tatbestandsmäßig anzusehen. Schließlich ist sie von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liegt auf der Hand. Es wäre vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift und der intendierten Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter – und damit abstrakt höherem Gefährdungspotential – und bloßen Geschwindigkeitsüberschreitungen auch sinnwidrig, für eine Strafbarkeit – bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage – allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben oder begleiten.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart deckt die erhobene Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19
- AG Münsingen, Urteil vom 2.10.2018 – 1 Cs 26 Js 12585/18[↩]
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