Die neu durchgeführte Hauptverhandlung – und die nicht erneut verlesene Anklageschrift

Gemäß § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO ist nach der Vernehmung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen der Anklagesatz zu verlesen.

Die neu durchgeführte Hauptverhandlung – und die nicht erneut verlesene Anklageschrift

Dies erfüllt unter anderem den Zweck, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Schöffen, aber auch die Öffentlichkeit über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten1 und ihnen zu ermöglichen, ihr Augenmerk auf die Umstände zu richten, auf die es in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ankommt2. Auf die Verlesung kann daher auch nicht verzichtet werden3.

Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch nach Zurückverweisung der Sache durch ein Rechtsmittelgericht, wobei nur insoweit Einschränkungen durch eine eingetretene Teilrechtskraft oder vorgenommene Beschränkungen oder Erweiterungen des Verfahrensgegenstandes nach § 154a Abs. 2 und 3 StPO zu berücksichtigen sind4.

Nur bei Zurückverweisung der Sache allein im Strafausspruch sind statt des Anklagesatzes insoweit das Ausgangsurteil und die zurückverweisende Revisionsentscheidung zu verlesen.

Vorliegend betraf die Aufhebung der ersten Entscheidung auch den Schuldspruch, weshalb der entsprechende Teil des Anklagesatzes zu verlesen war. Die Verlesung des Anklagesatzes gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO, deren Einhaltung gemäß § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann5. Nachdem das Sitzungsprotokoll hierzu schweigt, muss der Bundesgerichtshof davon ausgehen, dass der Anklagesatz in der neuen Hauptverhandlung nicht verlesen wurde.

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Die Verlesung des Anklagesatzes ist ein so wesentliches Verfahrenserfordernis, dass die Unterlassung im Allgemeinen die Revision begründet6. Allenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen der Zweck der Verlesung des Anklagesatzes durch die Unterlassung nicht beeinträchtigt worden ist, kann ein Beruhen des Urteils auf der Nichtverlesung des Anklagesatzes unter Umständen ausgeschlossen werden7.

Auch wenn Teile des Revisionsbeschlusses und des angefochtenen Urteils in der Hauptverhandlung zur Verlesung kamen, reichte dies zur Information der Prozessbeteiligten, welche den Akteninhalt nicht kannten, erst recht nicht zur Information der Öffentlichkeit aus. Der Bundesgerichtshof vermag daher nicht auszuschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. April 2018 – 1 StR 481/17

  1. BGH, Urteil vom 28.04.2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649, 650[]
  2. Gorf in BeckOK/StPO, 29. Ed., § 243 StPO Rn. 17[]
  3. LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 39[]
  4. LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 51; Gorf in BeckOK/StPO, 29. Ed., § 243 StPO Rn. 25[]
  5. BGH, Urteil vom 13.12 1994 – 1 StR 641/94, NStZ 1995, 200, 201[]
  6. BGH, Beschluss vom 07.12 1999 – 1 StR 494/99, NStZ 2000, 214[]
  7. BGH, Beschluss vom 07.12 1999 – 1 StR 494/99, aaO[]