Zwar bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht von vornherein Bedenken gegen die strafprozessrechtlichen Kostenregelungen einschließlich des darin verankerten Veranlassungsprinzips [1]. Eine außergewöhnlich hohe Kostenbelastung kann jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Tatfolge im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden [2].

Wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist, bieten bei Geldstrafen § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren § 74, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie allgemein § 10 der Kostenverfügung (KostVfG), die landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung (vorliegend § 123 Abs. 3 JustizG NRW) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 der Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen hinreichend Möglichkeit, von der Kostenauferlegung oder ‑beitreibung abzusehen [3].
Hiernach erweist es sich in dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall als unverhältnismäßig (Art.20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), dass der Verurteilte zur Tragung von Verfahrenskosten in Höhe von 30.781 € herangezogen wird, ohne in erkennbarer Weise zu berücksichtigen, dass die Kostenbelastung die vom Verteilten bereits erfüllte Geldauflage (Bewährungsauflage) in Höhe von 23.400 € erheblich übersteigt.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl hat das Amtsgericht Düsseldorf gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat es dem Verurteilten auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 € in 36 Monatsraten zu je 650 € zugunsten der Staatskasse zu zahlen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB). Die Geldauflage dient der Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und stellt eine strafähnliche Sanktion dar [4]. Wie die Höhe der Geldauflage von 23.400 € und die Zahlungserleichterung zustande kamen, ist in der beigezogenen Strafakte nicht dokumentiert.
Die Verfahrenskosten in Höhe von 30.711 € übersteigen die Geldauflage in Höhe von 23.400 € erheblich und gehen in ihrer Belastungswirkung weit darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Verurteilten nachgelassen worden war, die Geldauflage in 36 Monatsraten zu je 650 € zu erbringen. Mit derselben – offenbar seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden – Ratenhöhe müsste der Verurteilte die Verfahrenskosten in weiteren 48 Monatsraten abzahlen, sodass sich seine Zahlungsverpflichtungen auf insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren – erstrecken würden.
Bereits das Amtsgericht hätte daher bei der Bemessung der Geldauflage in den Blick nehmen und gegebenenfalls dokumentieren können, ob die Geldauflage auch in Ansehung der diese erheblich übersteigenden Verfahrenskosten eine zumutbare Anforderung an den Verurteilten stellt (§ 56b Abs. 1 Satz 2 StGB). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die außergewöhnlich hohe Kostenbelastung im Strafbefehlsverfahren in Erwägung gezogen, geschweige denn berücksichtigt worden wäre. Weder aus dem Strafbefehl selbst, noch aus dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft oder sonst aus der beigezogenen Akte ist ansatzweise ersichtlich, dass das Gericht oder die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen wären oder zumindest die Möglichkeit bedacht hätten, dass die von der Staatsanwaltschaft bezahlte Rechnung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über 30.711 € als Sachverständigenvergütung Teil der vom Verurteilten zu tragenden Verfahrenskosten werden würde.
Dem Verurteilten kann in diesem Zusammenhang nicht vorgehalten werden, dass er den Strafbefehl hat rechtskräftig werden lassen und auch während der Bewährungszeit nicht darauf hingewirkt hat, die Geldauflage zu ändern (§ 56e StGB) und so die (drohende) Kostenbelastung zu verringern. Es ist nicht ersichtlich, dass er Grund zur Annahme hatte, dass ihm nach beanstandungsfreiem Ablauf der Bewährungszeit, insbesondere pünktlicher und vollständiger Zahlung der Geldauflage, eine zusätzliche Kostenbelastung in einer erheblichen, die Geldauflage sogar übersteigenden Höhe drohen würde. Aus der beigezogenen Akte ergibt sich vielmehr, dass dem Verurteilten die Rechnung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus dem Jahr 2013 über 30.711 € erst auf die im August 2018 erhobene Erinnerung im September 2018 von der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt wurde.
Der Verurteilte kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass sein Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht auf die Rechnung hätte aufmerksam werden können. Denn die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten [5], besteht unabhängig von der Frage, ob eine Obliegenheit des verteidigten Angeklagten bestand, die Akte auf Rechnungen Dritter zu durchsuchen und deren mögliche kostenrechtliche Einordnung zu überprüfen.
Da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldauflage die spätere erheblich höhere Kostenbelastung berücksichtigt hätte, hätten sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Kostenansatzes, spätestens aber die Gerichte auf die Erinnerung und die Beschwerde des Verurteilten mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob von dem Ansatz oder der Einziehung der Kosten – zumindest teilweise – abzusehen ist, um eine in Betracht kommende unverhältnismäßige Belastung des Verurteilten abzuwenden. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, die einfachrechtlichen Vorschriften über die Kostenberechnung schematisch anzuwenden, ohne sich mit der – vom Verurteilten ausdrücklich aufgeworfenen – Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung unter Berücksichtigung der bereits bezahlten Geldauflage auseinanderzusetzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festgestellt, dass die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Düsseldorf den Verurteilten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG verletzt, und den Beschluss unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Landgericht wird nunmehr unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Beschwerde und gegebenenfalls über die Zulassung der weiteren Beschwerde zu entscheiden haben.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Dezember 2020 – 2 BvR 211/19
- vgl. BVerfGE 18, 302 <304> 31, 137 <139> BVerfGK 8, 285 <292 ff.> m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGK 8, 285 <290, 297> Stöckel, in: KMR, Kommentar zur StPO, vor § 464 Rn. 32 m.w.N.; Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl.2019, S. 251[↩]
- vgl. BVerfGK 8, 285 <290 f., 297 f.>[↩]
- vgl. BGHSt 59, 172 <174 Rn. 12> Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl.2019, § 56b Rn. 2[↩]
- vgl. BVerfGK 8, 285 <297 f.>[↩]
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