Die neue Droge

Wer Betäubungsmittel besitzt, die erst nach deren Erwerb in die Anlagen zum BtMG aufgenommen wurden, macht sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes strafbar, wenn er zum Zeitpunkt des Besitzes keine Erlaubnis hat. Dagegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes in nicht geringer Menge aus, wenn zum Zeitpunkt des Erwerbs keine Erlaubnispflicht nach § 3 Abs. 1 BtMG bestand.

Die neue Droge

Nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG macht sich nur derjenige strafbar, der Betäubungsmittel besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 BtMG erlangt zu haben. Hieran fehlt es.

Das in der Medizin zur Behandlung von Schlafstörungen verwendete Nitrazepam wurde durch die 2. BtMÄndVO1 vom 23.07.1986 mit Wirkung vom 01.08.1986 in die Anlage III zum BtMG aufgenommen. Bei Cathin (B-Norpseudoephedrin) handelt es sich um den Wirkstoff der in Afrika heimischen KathPflanze. Cathin wurde durch die 3. BtMÄndVO2 vom 28.02.1991 mit Wirkung vom 15.04.1991 in die Anlage III zum BtMG eingefügt. Somit wurden die Substanzen, als der Angeklagte sie im Jahr 1973 erwarb, noch nicht vom Betäubungsmittelgesetz vom 22.12.1971 erfasst.

Die Nennung der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BtMG im Straftatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG stellt eine Rechtsgrundverweisung dar. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BtMG müssen deshalb ebenfalls vorliegen. Zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte die Stoffe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erwerben wollte, waren sie aber keine Betäubungsmittel, weil sie in den Anlagen zum BtMG nicht aufgeführt waren, so dass § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nicht erfüllt ist. Es liegt auch kein Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Herstellen ausgenommener Zubereitungen) vor. Somit hat sich der Angeklagte nicht wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmittel in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Das Auslegungsergebnis steht im Einklang mit der Überlegung, dass es überzogen erscheint, die Tat desjenigen, der Stoffe auch nach ihrer Aufnahme ins Betäubungsmittelgesetz in nicht geringer Menge in seinem Besitz behält, als Verbrechen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr oder im minder schweren Fall von drei Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden.

Weiterlesen:
Pseudoephedrin - als Grundstoff für Methamphetamin

Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte jedoch eines Vergehens des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG schuldig. Nach der Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein. Im Gegensatz zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verweist die Vorschrift nicht auf § 3 Abs. 1 BtMG. Vielmehr stellt sie mit dem Wort „zugleich“ klar, dass die schriftliche Erlaubnis für den Erwerb zum Zeitpunkt des Besitzes der Betäubungsmittel vorliegen muss. Damit folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass es nicht darauf ankommt, ob der Stoff bereits zum Zeitpunkt seines willentlichen Erwerbs durch den Angeklagten ein Betäubungsmittel war.

Für die vom Senat vorgenommene Auslegung der Vorschrift spricht auch der Sinn der Einbeziehung von Stoffen durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber in das Betäubungsmittelgesetz. Er besteht darin, den Stoff aufgrund seiner Gefahren für die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen und der mit dem Stoff verbundenen Risiken, davon abhängig zu werden, einem Erlaubnisvorbehalt zu unterstellen3. Diese Gefahren gehen auch von den bei Inkrafttreten der jeweiligen Änderungsvorschrift schon im Umlauf befindlichen Stoffmengen aus. Der von der Verteidigung angenommene „Besitzstandsschutz“ für Stoffe, die vor ihrer Aufnahme in das Betäubungsmittelgesetz erworben wurden, verträgt sich damit nicht.

Weiterlesen:
Anhörungsrüge - und die weiteren Verfahrensrügen

Weiter hat der Verordnungsgeber in der 2. BtMÄndVO vom 23.07.1986 in § 40a Abs. 1 BtMG und in der 3. BtMÄndVO vom 28.02.1991 in Artikel 2 Abs. 1 für beide Stoffe Übergangsvorschriften erlassen. Darin ist jeweils bestimmt, dass derjenige, der am Vortag des Inkrafttretens der Verordnung mit dem Stoff am Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes teilnimmt, dazu noch für drei Monate (Nitrazepam) bzw. 2,5 Monate (Cathin) berechtigt bleibt. Beantragt er bis zum Ablauf der Frist eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes, so dauert die Berechtigung bis zur unanfechtbaren Ablehnung des Antrages fort. Daraus folgt, dass die Aufnahme der Stoffe in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes auch die bereits im Umlauf befindlichen Stoffmengen erfasst. Ohne Bedeutung ist dabei, dass die Übergangsvorschrift in der 3. BtMÄndVO nach Art. 3 der Verordnung am 31.12.1992 außer Kraft getreten ist; dies ist ersichtlich dem Wegfall des Überleitungsbedürfnisses durch Zeitablauf geschuldet. Bei der Anwendung der Übergangsvorschriften liegt es nahe, auch den bloßen Besitz des Stoffes als Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG aufzufassen, auch wenn diese Umgangsform in § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nicht besonders aufgeführt ist. Andernfalls wäre die leichteste Form des Umgangs mit Betäubungsmitteln übergangslos mit Inkrafttreten der Vorschriften erlaubnisbedürftig geworden.

Diesem Auslegungsergebnis des Oberlandesgerichts steht das Rückwirkungsverbot in Artikel 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht entgegen. Dieses knüpft an die Begehung der Tat an. Nach § 8 StGB ist eine Tat zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat. Tathandlung ist hier die Ausübung des Betäubungsmittelbesitzes durch den Angeklagten von Dezember 2009 bis zum 2.04.2011. Sie wurde nach dem Inkrafttreten der beiden Änderungsverordnungen vorgenommen. Über eine Genehmigung zum Erwerb von Betäubungsmitteln verfügte der Angeklagte in diesem Zeitraum nicht, weshalb er des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG schuldig ist.

Weiterlesen:
Herstellung von Amphetamin

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 18. Juni 2012 – 2 Ss 154/12

  1. BGBl I 1986, 1099[]
  2. BGBl I 1991, 712[]
  3. vgl. BGHSt 42, 1 ff.[]