Die Revision der Nebenklage – und das Strafmaß

Bei einer unbegründeten Revision der Nebenklage erstreckt sich die aus § 301 analog StPO folgende Kontrollbefugnis des Revisionsgerichts auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf den Rechtsfolgenausspruch1.

Die Revision der Nebenklage – und das Strafmaß

Die Frage, ob das Revisionsgericht bei einem unbegründeten Rechtsmittel der Nebenklage berechtigt ist, den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils entsprechend § 301 StPO auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten zu überprüfen, wird von der Rechtsprechung nicht einhellig beantwortet2.

Eine aus einer entsprechenden Anwendung des § 301 StPO abgeleitete – auf den Rechtsfolgenausspruch erstreckte ? Kontrollbefugnis des Revisionsgerichts kann bei einer unbegründeten Nebenklage nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO abgeleitet werden. Hingegen sprechen die Entstehungsgeschichte und die durch § 400 Abs. 1 StPO limitierte Rechtsmittelbefugnis der Nebenklage dagegen, die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts auch bei einer unbegründeten Nebenklage auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch zu erstrecken. Auch der Zweck der Regelung des § 301 StPO vermag eine derartige Erweiterung der Prüfungskompetenz nicht zu rechtfertigen.

Eine alle möglichen Rechtsmittel der Nebenklage umfassende Verweisung auf § 301 StPO findet sich in den Vorschriften zur Nebenklage nicht. Lediglich § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO besagt, dass bei alleiniger Berufung des Nebenklägers bei dessen Ausbleiben oder des ihn vertretenden Rechtsanwalts die Berufung „unbeschadet der Vorschrift des § 301 StPO sofort zu verwerfen ist.“ Wenngleich dieser, schon vor der Neuregelung der Befugnisse der Nebenklage durch das Erste Gesetz zur Verbesserung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.19863 bestehende, allgemeine Verweis trotz seines auf das Berufungsverfahren beschränkten Wortlauts eine entsprechende Anwendung des § 301 StPO auch für das Revisionsverfahren eröffnet4, besagt er zunächst nichts über den daraus resultierenden Prüfungsumfang.

Weiterlesen:
Tanken ohne zu bezahlen

Vielmehr spricht die Neukonzeption der Nebenklage durch Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 maßgeblich gegen eine derartige umfassende Kontrollbefugnis des Revisionsgerichts, die sich über § 301 StPO auch auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch erstreckt. Der Gesetzgeber hat mit dem Opferschutzgesetz ausdrücklich von der bisherigen Parallelität von Neben- und Privatklage Abstand genommen und die „weitgespannte selbständige Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers als eines bloßen Zusatzbeteiligten im Offizialverfahren“ eingeschränkt5. Die für das Rechtsmittel des Privatklägers in § 390 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgesehene Verweisung auf § 301 StPO, die nach § 397 Abs. 1 StPO in der Fassung vom 07.01.1975 bis zur Änderung durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 auch für das Rechtsmittel der Nebenklage galt, hat er in § 400 StPO gerade nicht übernommen6. Dies spricht jedenfalls dafür, dass der Gesetzgeber den bis dahin umfassenden Anwendungsbereich des § 301 StPO im Bereich der Nebenklagerevision beschränken wollte7.

Auch die Gesetzessystematik spricht dagegen, den Kontrollumfang nach § 301 StPO bei einer unbegründeten Revision der Nebenklage zugunsten des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch zu erstrecken.

Die in entsprechender Anwendung von § 301 StPO erfolgende Kontrolle des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist ein Annex der Nebenklagerevision. Systematisch drängt sich daher auf, dass sich diese an dem durch die Regelungen des § 400 Abs. 1 StPO eröffneten Kontrollumfang orientiert8.

Weiterlesen:
Strafzumessung bei Tatserien - und die Folgen für das Opfer

Für die – aus § 400 Abs. 1 StPO folgende – Kontrollbefugnis hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgeführt, dass sich diese weder auf den Strafausspruch, noch auf Taten, die den Nebenkläger nicht zum Anschluss berechtigen, erstreckt9. Hierdurch wird gewährleistet, dass sich für die Nebenklage nicht mittelbar die durch § 400 Abs. 1 StPO verschlossene Möglichkeit eröffnet, ohne Schuldspruchänderung eine andere, dem Angeklagten nachteilige Rechtsfolge zu erreichen10. Denn der Nebenklage kommt aus Sicht des Gesetzgebers kein legitimes Interesse an der Höhe der den Angeklagten treffenden Strafe zu11, nachdem durch das Opferschutzgesetz die frühere Vorstellung von der im Nebenklageverfahren „doppelt besetzten Anklagerolle“ aufgegeben wurde12.

Eine Stütze erfährt dieser Gedanke darin, dass dem Nebenkläger nach der Konzeption des Opferschutzgesetzes verwehrt ist, ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einzulegen13. Denn von der Schaffung einer solchen ? in § 296 Abs. 2 StPO bzw. § 390 Abs. 1 Nr. 3 StPO vorgesehenen ? Möglichkeit hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen14. Es erscheint indes systemwidrig, diese dem Nebenkläger nicht eröffnete Möglichkeit, über die – uneingeschränkte – entsprechende Anwendung von § 301 StPO mittelbar herbeizuführen.

Auch der Zweck des § 301 StPO kann eine von dem Rechtsmittelerfolg der Nebenklage unabhängige, den Rechtsfolgenausspruch umfassende, Prüfungskompetenz zugunsten des Angeklagten nicht rechtfertigen. Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass es mit der Stellung und Funktion eines Rechtsmittelgerichts in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht vereinbar wäre, wenn dieses an der Abänderung erkannter Fehler zum Nachteil eines Angeklagten gehindert wäre15. Dies setzt indes voraus, dass dem Revisionsgericht die Kontrolle des Rechtsfolgenausspruchs als eine vom Schuldspruch unabhängige – auf diesen aufbauende ? Rechtsfrage16 überhaupt durch die Nebenklagerevision eröffnet ist. Denn nur in diesem Fall ist es in die Lage versetzt, bei der Prüfung des Rechtsmittels der Nebenklage auch etwaige Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten zu erkennen.

Weiterlesen:
Der doppelte Anstiftervorsatz - und die Vorstellung von der Haupttat

Eine Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs ist dem Revisionsgericht auf das – unbegründete ? Rechtsmittel der Nebenklage durch die Restriktion des § 400 StPO aber gerade verschlossen. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten würden mithin nicht bei einer ohnehin erfolgenden Kontrolle aufgrund der Nebenklagerevision erkannt, sondern lediglich aufgrund der – vorherigen – Erweiterung der Prüfungskompetenz über § 301 StPO.

Nach alledem erstreckt sich die aus § 301 StPO folgende Kontrollbefugnis des Revisionsgerichts bei einer unbegründeten Revision der Nebenklage nicht auf den Rechtsfolgenausspruch.

Der hier erkennende 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gibt seine gegenteilige Rechtsprechung17 auf. Die Entscheidung des 5. Strafsenats18 steht dieser Rechtsaufassung nicht entgegen. In der Entscheidung hat der 5. Strafsenat zwar auf eine unbegründete Revision der Nebenklage den Gesamtstrafenausspruch gemäß § 301 StPO auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten kontrolliert. Die Überprüfung blieb jedoch ohne Auswirkung auf seine, die Revision des Nebenklägers verwerfende, Entscheidung, da der dortige Angeklagte durch einen möglichen Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung jedenfalls nicht beschwert war. Der Umfang der Anwendbarkeit des § 301 StPO bei einer unbegründeten Revision des Nebenklägers war damit nicht Grundlage (Aufhebungs- oder Verwerfungsgrund) der damaligen Entscheidung19. Dementsprechend wäre die frühere Entscheidung auch unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung zum gleichen Ergebnis gekommen20.

Weiterlesen:
Verfahrensmangel - und die fehlende Beschwer

Auch eine Überprüfung und Aufhebung des Maßregelausspruchs ist dem Bundesgerichtshof damit verwehrt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. Februar 2022 – 2 StR 41/21

  1. Aufgabe der bisherigen BGH-Rechtsprechung; Beschluss vom 16.02.2001 – 2 StR 501/00[]
  2. vgl. einerseits BGH, Beschluss vom 16.02.2001 – 2 StR 501/00, Rn. 4, vgl. auch BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 117/14 15; BGH, Beschluss vom 14.04.2020 ? 5 StR 644/19 13 f.; andererseits ? nicht tragend ? BGH, Beschluss vom 23.04.2002 – 3 StR 106/02 2; Urteil vom 30.07.2015 – 4 StR 561/14 18; Beschluss vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20 10; ebenso Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 400 Rn. 7; MünchKomm-StPO/Valerius, 1. Aufl., § 400 Rn. 28; KK-StPO/Walther, 8. Aufl., § 400 Rn. 5; Senge in Festschrift für Rissingvan Saan, 2011, S. 657, 660 ff.[]
  3. BGBl. I S. 2496[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2010 – 4 StR 589/09, NStZ 2010, 512; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.08.1995 – 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130, jeweils den Schuldspruch betreffend[]
  5. vgl. BT-Drs. 10/5305, S. 14, 15; vgl. zur alten Rechtslage auch BGH, Urteil vom 22.10.1986 – 3 StR 377/86 4[]
  6. vgl. KK-StPO/Walther, aaO, Rn. 5; Senge, aaO[]
  7. ebenso BGH, Urteil vom 30.07.2015 – 4 StR 561/14, aaO[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20, NJW 2021, 1173, 1174; Urteil vom 30.07.2015 – 4 StR 561/14 18[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2019 – 2 StR 554/18 29; BGH, Beschlüsse vom 20.07.2021 – 4 StR 31/21 7; vom 09.02.2021 – 3 StR 382/20, NStZ-RR 2021, 138; vom 17.05.2018 – 3 StR 622/17, NStZ-RR 2018, 272; vom 23.08.2011 – 1 StR 153/11 52; Urteil vom 25.11.2010 – 3 StR 364/10, NStZ-RR 2011, 73, 74; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.02.2018 – 1 StR 351/17 11; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO[]
  10. vgl. BGH, Urteile vom 21.02.2018 – 1 StR 351/17, aaO; vom 25.11.2010 – 3 StR 364/10, aaO[]
  11. vgl. BT-Drs. 10/5305, S. 15; Senge, aaO, S. 661; vgl. auch BGH, Urteil vom 30.07.2015 – 4 StR 561/14 18[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 01.09.2020 – 3 StR 214/20, BGHSt 65, 145, 148 mwN[]
  13. vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.1990 – 4 StR 247/90, NJW 1990, 2479[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.1990 – 4 StR 247/90, aaO; KK-StPO/Walther, aaO, Rn. 5[]
  15. vgl. SSW-StPO/Hoch, 4. Aufl., § 301 Rn. 1; BeckOK-StPO/Cirener, 42. Ed., § 301 Rn. 1; SK-StPO/Frisch, 6. Aufl., § 301 Rn. 1[]
  16. vgl. SK-StPO/Frisch, 6. Aufl., Vor § 296 Rn. 288[]
  17. BGH, Beschluss vom 16.02.2001 – 2 StR 501/00 4[]
  18. BGH, Beschluss vom 14.04.2020 – 5 StR 644/19 14[]
  19. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 06.04.1955 – 5 StR 471/54, BGHSt 7, 314 f.; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 6; Rönnau, StraFo 2014, 265 f.[]
  20. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26.03.1954 – 1 StR 161/53, BGHSt 6, 41, 46; BGH, Beschluss vom 06.10.1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271, 278; BGH, Urteil vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 132 Rn. 4[]
Weiterlesen:
(Zweiter) Verwertungswiderspruch