Eine gerichtliche Überprüfung der Frage, ob die Gewährung einer vollzugsöffnenden Maßnahme sorgfaltswidrig war, hat den der Vollzugsbehörde zustehenden Beurteilungsspielraum und das ihr eingeräumte Ermessen zu berücksichtigen und die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen.

Gewährte Vollzugslockerungen und hierzu erteilte Weisungen sind im Allgemeinen stichprobenartig auf ihre Einhaltung zu überprüfen. Frequenz, Art und Ausmaß solcher Kontrollen unterliegen als Annex zur getroffenen Prognoseentscheidung demselben Beurteilungs- und Ermessensspielraum wie die Grundentscheidung über die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen.
Zur Vorhersehbarkeit im Sinne des Fahrlässigkeitstatbestandes bei komplexen Geschehensabläufen, insbesondere bei selbst- und fremdgefährdendem Verhalten eines Dritten.
Der Ausgangssachverhalt
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall lag den angeklagten Justizvollzugsbeamten zur Last, als Bedienstete in den Justizvollzugsanstalten Wi. und Di. dem Strafgefangenen K. pflichtwidrig vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt zu haben. Das Landgericht hat hierzu im Einzelnen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der rechtskräftig verurteilte K. zum Strafvollzug in die JVA Wi. wurde am 29.08.2013 aufgenommen, nachdem er sich wenige Tage zuvor selbst zum Haftantritt gestellt hatte. Er war vielfach wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, teilweise in Tateinheit mit anderen Verkehrsdelikten, vorbestraft und hatte bereits Jugend- und Freiheitsstrafen verbüßt. Gegenstand der neuerlichen Strafvollstreckung waren Urteile des Amtsgerichts Andernach wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Freiheitsstrafe von neun Monaten) und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit u.a. mit Urkundenfälschung, Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (Freiheitsstrafe von einem Jahr) sowie des Amtsgerichts Simmern wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Freiheitsstrafe von sechs Monaten). Mit den entsprechenden Aufnahmeersuchen ging jeweils eine Ausfertigung der drei genannten Urteile der JVA Wi. zu, die zur Gefangenenpersonalakte des Verurteilten genommen wurden. Ebenfalls Bestandteil der Gefangenenpersonalakte war eine Auskunft des Bundeszentralregisters vom 16.07.2013 mit 26 Einträgen.
Die Angeklagte D. war zu diesem Zeitpunkt stellvertretende Anstaltsleiterin der JVA Wi. und als Vollzugsabteilungsleiterin für den Verurteilten zuständig. Am 5.09.2013 führte der erst seit kurzer Zeit im Justizvollzug tätige frühere Mitangeklagte R. ein Zugangsgespräch mit dem Verurteilten, aufgrund dessen er sich wegen der hohen Anzahl einschlägiger Delikte gegen die Verlegung des Strafgefangenen in den offenen Vollzug aussprach. Der Zeuge P., Sozialarbeiter in der JVA Wi., sprach am 14.10.2013 ebenfalls mit dem Strafgefangenen, dokumentierte seine Erkenntnisse ausführlich in einem dafür vorgesehenen Formular und empfahl die Verlegung des Verurteilten in den offenen Vollzug. Diese Empfehlung erfolgte aufgrund seiner Abwägung der für eine weitere Delinquenz des Verurteilten sprechenden Gesichtspunkte, wie
- „erhebliche, auch einschlägige strafrechtliche Vorbelastung,
- Bewährungsversager,
- immense Hafterfahrung (14 Jahre),
- kriminelle Verwandtschaft im eigenen Haus […],
- hohe Verschuldung“
und gegen eine weitere Delinquenz sprechenden Faktoren, wie
- „abgeschlossene Berufsausbildung und Zusatzqualifikationen, viel Berufserfahrung und optimistische Aussichten auf dem Arbeitsmarkt,
- sozialer Rückhalt bei der eigenen Familie,
- Ehefrau, die kein weiteres kriminelles Handeln duldet,
- Verantwortung für zwei Stiefkinder,
- Einsicht in die Schuld- und Fehlerhaftigkeit des eigenen Tuns,
- Tatreflexion durchgeführt,
- Wiedererlangung des Führerscheins ist geplant,
- arbeits- und leistungswillig“.
Am 16.10.2013 fand eine Konferenz zur Erstellung des Vollzugs- und Eingliederungsplans für den Verurteilten statt, die von R. zu Ausbildungszwecken geleitet wurde; er und der Zeuge vertraten dabei unterschiedliche Ansichten zur weiteren Vollzugsgestaltung. Im Anschluss daran schilderte R. klagten D. seiner Vorgesetzten, der Ange, die nicht an der Konferenz teilgenommen hatte, deren Verlauf und legte seinen Entwurf eines Vollzugs- und Eingliederungsplanes vor, der einen Verbleib des Verurteilten im geschlossenen Vollzug vorsah. D. sprach sich u.a. aufgrund der Stellungnahme des Zeugen und der beim Hauptdelikt des Verurteilten (Fahren ohne Fahrerlaubnis) nicht hoch einzuschätzenden Allgemeingefahr für eine Verlegung des Strafgefangenen in den offenen Vollzug und für die Gewährung unbegleiteter Vollzugslockerungen aus. Sie wies R. an, seinen Entwurf entsprechend zu ändern, und unterzeichnete sodann den Vollzugs- und Eingliederungsplan.
Am 22.10.2013 wurde der Verurteilte in den offenen Vollzug der JVA Wi. verlegt. Ab dem Folgetag wurden ihm nahezu täglich mehrstündige unbegleitete Dauerausgänge und periodisch auch ein Langzeitausgang gewährt. Beanstandungen gab es nicht. Auch sonst fiel er im Vollzug nicht negativ auf.
Am 12.11.2013 wurde der Verurteilte in die JVA Di. 10 verlegt. Dort kam er in die Abteilung für den offenen Vollzug, die von dem Angeklagten W. geleitet wurde. Ab dem Folgetag wurden ihm auch hier im Anschluss an die hierzu in der JVA Wi. getroffenen Entscheidungen unbegleitete Dauerausgänge gewährt, über die keine Beanstandungen bekannt wurden. Unter Leitung des W. fand am 19.11.2013 die Zugangskonferenz für den Verurteilten statt, an der auch Bedienstete teilnahmen, die den Strafgefangenen bereits aus einem vormaligen Haftaufenthalt im offenen Vollzug der JVA Di. kannten. W. fertigte darüber einen Vermerk, mit dem der Vollzugs- und Eingliederungsplan der JVA Wi. vom 16.10.2013 ergänzt wurde. Dem Verurteilten wurden darin u.a. dreimal vier Stunden Regelausgang pro Woche und zwei Tage Langzeitausgang pro Monat gewährt. Ihm wurden die Weisungen erteilt, zunächst in den Gärten der JVA zu arbeiten, keine Kraftfahrzeuge zu führen und an Alkoholkontrollen teilzunehmen.
Aufgrund des weiterhin unauffälligen Vollzugsverhaltens und der Bewährung in der Außenbeschäftigung der JVA wurden ihm in der Vollzugskonferenz vom 28.01.2014 zunächst Langzeitausgänge an vier Tagen im Monat, in der Vollzugskonferenz vom 20.05.2014 sogar Langzeitausgänge an acht Tagen im Monat gewährt und die Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses genehmigt. Die entsprechenden Vollzugspläne unterzeichnete W.
In der Zeit vom 21.11.2013 bis zum 27.01.2015 nahm der Verurteilte an 223 Tagen Dauerausgänge sowie an 89 Tagen Langzeitausgänge wahr. Den Beschäftigten der JVA Di. wurden in diesem Zeitraum keine Regelverstöße bekannt. Während die Arbeit des Verurteilten bei seinem auswärtigen Arbeitgeber stichprobenartig kontrolliert wurde, fanden Kontrollen während seiner unbegleiteten Dauer- und Langzeitausgänge, auch hinsichtlich der Einhaltung der Weisung, kein Kraftfahrzeug zu führen, nicht statt. Es fiel niemandem auf, dass sich an dem vom Verurteilten bei seiner Rückkehr in die JVA jeweils an der Pforte abgegebenen Schlüsselbund auch ein Pkw-Schlüssel befand.
Von den Bediensteten der JVA Di. unbemerkt nahm der Verurteilte während der ihm gewährten Lockerungen „regelmäßig“, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teil. Für das amtlich nicht zugelassene Kraftfahrzeug bestand keine Haftpflichtversicherung. An dem Fahrzeug hatte der Verurteilte ein Kennzeichen montiert, das er unter nicht aufklärbaren Umständen erlangt hatte und das als entwendet gemeldet worden war. In der Regel besuchte der Verurteilte seine Ehefrau in der ca. 50 km entfernt gelegenen und ohne Pkw nur schwer erreichbaren Ehewohnung und stellte das Fahrzeug danach auf einem nahe der JVA Di. gelegenen Parkplatz eines Schnellrestaurants ab.
Am 28.01.2015 geriet der Verurteilte während eines Dauerausgangs auf der Autobahn in eine polizeiliche Verkehrskontrolle, weil das gestohlene Fahrzeugkennzeichen aufgefallen war. Zunächst folgte er den Aufforderungen der Polizeibeamten, fuhr auf einen Parkplatz und verringerte seine Geschwindigkeit, so dass die Beamten davon ausgingen, er werde anhalten und sich kontrollieren lassen. Dann jedoch fuhr der Verurteilte, um der Feststellung seiner Identität, der Aufklärung der neuen Straftaten und dem Verlust seiner Privilegien im offenen Strafvollzug zu entgehen, mit erheblicher Beschleunigung über einen angrenzenden Grünstreifen und eine Autobahnausfahrt auf die Bundesstraße in Fahrtrichtung L. , allerdings entgegen der Verkehrsführung auf der Gegenfahrbahn. Nachdem zuvor ein „Rammversuch“ eines zivilen Polizeifahrzeuges gescheitert war, wurde er von zwei zivilen Polizeifahrzeugen verfolgt, die ebenfalls entgegen der Fahrtrichtung auf die Bundesstraße aufgefahren waren. Als „Geisterfahrer“ passierte der Verurteilte mehrere entgegenkommende Fahrzeuge, die dadurch zu Brems- und Ausweichmanövern gezwungen wurden. Schließlich stieß er mit einem Fahrzeug zusammen, das von einer 21jährigen Frau gelenkt wurde, die dabei ums Leben kam. K. wurde wegen dieser Tat u.a. wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Landgericht Limburg (Lahn) hat D. und W. wegen fahrlässiger Tötung jeweils zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt1. Den Mitangeklagten R. hat es freigesprochen; insoweit ist das Urteil rechtskräftig. D. habe pflichtwidrig den vobestraften Verurteilten in den offenen Vollzug verlegt und ihm unbegleitete Vollzugslockerungen gewährt. W. habe den Verurteilten sorgfaltswidrig im offenen Vollzug aufgenommen und ihm ebenfalls unbegleitete Vollzugslockerungen gewährt. Auch habe er die Anordnung von Kontrollen unterlassen. Auf die Revision der beiden verurteilten Justizvollzugsbediensteten hob der Bundesgerichtshof das landgerichtliche Urteil auf und sprach bei frei:
Die Revision der D.
Die Verurteilung der Justizvollzugsbeamtin ist rechtsfehlerhaft, weil die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB nicht tragen. Die Strafkammer hat zu Unrecht eine Sorgfaltspflichtverletzung der Justizvollzugsbeamtin darin gesehen, dass sie den Verurteilten in den offenen Vollzug verlegt und ihm unbegleitete Vollzugslockerungen gewährt hat.
Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat2. Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind3.
Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass sich das Maß der von Entscheidungsträgern des Justizvollzugs anzuwendenden Sorgfalt im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des rheinland-pfälzischen Justizvollzugsgesetzes (LJVollzG) für die Unterbringung im offenen Vollzug (§ 22 Abs. 2 LJVollzG) und für die Gewährung von Vollzugslockerungen (§ 45 Abs. 2 LJVollzG) in der Fassung vom 08.05.20134 bestimmt. Die maßgeblichen Vorschriften lauten wie folgt:
§ 22 Abs. 2 LJVollzG: „Die Strafgefangenen sollen im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, namentlich nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden.“
§ 45 Abs. 2 LJVollzG: „Die Lockerungen dürfen gewährt werden, wenn verantwortet werden kann zu erproben, dass die Strafgefangenen und die Jugendstrafgefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe oder der Jugendstrafe nicht entziehen und die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen werden. (…)“.
Daraus ergibt sich ein bedingtes Recht der Strafgefangenen auf vollzugsöffnende Maßnahmen als Teil des verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchs auf Resozialisierung, der die Justizvollzugsanstalt berechtigt, bei Vollzugslockerungen vertretbare Risiken einzugehen. Auch die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen hin auszurichten. Der Gefangene hat aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung genügt wird5. Allerdings besteht zwischen dem rechtsstaatlichen Interesse, die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Freiheitsstrafen sicherzustellen und die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen, und dem Resozialisierungsinteresse des Gefangenen ein Spannungsverhältnis6. Der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen sind Grenzen dort gesetzt, wo die Befürchtung besteht, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder eine Lockerung des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen7.
Das Gesetz räumt den Vollzugsbehörden bei Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug und über die Gewährung von Vollzugslockerungen ein Ermessen ein8. Die Vollzugsbeamten begehen kein strafwürdiges Unrecht durch Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen, wenn sie sich an die Vorgaben halten, die nach dem Gesetz dafür bestehen.
Das Gesetz macht die Gewährung davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht eingreift. Bei diesem Versagungsgrund handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für dessen Anwendung der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum eröffnet ist, in dessen Rahmen sie insbesondere unter Berücksichtigung des Resozialisierungsanspruchs des Strafgefangenen mehrere – jeweils gleichermaßen rechtlich vertretbare – Entscheidungen treffen kann9.
Eine Versagung von vollzugsöffnenden Maßnahmen darf die Justizvollzugsanstalt dabei nicht auf pauschale Wertungen oder den abstrakten Hinweis auf eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr stützen. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, die geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr zu konkretisieren. Das mit jeder Vollzugslockerung grundsätzlich verbundene Risiko eines Entweichens aus der Haft oder eines Missbrauchs zu Straftaten muss im konkreten Fall der Versagung von Vollzugslockerungen unvertretbar erscheinen10.
Auch eine gerichtliche Überprüfung der Frage, ob die Gewährung einer vollzugsöffnenden Maßnahme sorgfaltswidrig war, hat den der Vollzugsbehörde zustehenden Beurteilungsspielraum und das ihr eingeräumte Ermessen zu berücksichtigen und die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen11. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als „falsch“ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist12.
Danach waren die Entscheidungen der D., den Verurteilten K. in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm unbegleitete Vollzugslockerungen zu gewähren, nicht sorgfaltswidrig und deshalb nicht fahrlässig im Sinne von § 222 StGB.
Die Justizvollzugsbeamtin ist nicht von einer in strafrechtlich relevanter Weise unvollständigen oder unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Ihr standen zur Beurteilung der Vordelinquenz lediglich die drei Einweisungsurteile sowie die Auskunft des Bundeszentralregisters vom 16.07.2013 zur Verfügung. Die Erwägung des Landgerichts, die Justizvollzugsbeamtin hätte den Sachverhalt auch durch Beiziehung von Vorstrafenakten des Verurteilten, aus denen sich gewichtige Umstände für die anzustellende Gesamtprognose der JVA ergeben hätten, weiter aufklären müssen, überspannt die Sorgfaltsanforderungen.
Die Justizvollzugsbeamtin war nach der zu den Entscheidungszeitpunkten geltenden Rechtslage nicht verpflichtet, Akten oder Urteile zu Vorverurteilungen über den Strafgefangenen beizuziehen. So schreibt § 13 Abs. 3 Satz 2 LJVollzG lediglich vor, in das Diagnoseverfahren neben den Unterlagen aus der Vollstreckung und dem Vollzug vorangegangener Freiheitsentziehungen insbesondere Erkenntnisse der Gerichts, Jugendgerichts- und Bewährungshilfe sowie der Führungsaufsichtsstelle einzubeziehen. Urteile, die zu Vorstrafen geführt hatten, werden hier ebenso wenig erwähnt wie in Ziff. 30 der damals geltenden Vollzugsgeschäftsordnung (VGO) in der Fassung vom 23.10.200813. Diese ordnet ebenfalls nur an, dass bei Strafgefangenen im geschlossenen Vollzug mit einer Vollzugsdauer von mindestens einem Jahr zu prüfen sei, ob das Bedürfnis bestehe, die letzte Personalakte des Gefangenen über einen Vollzug in einer Einrichtung des geschlossenen Vollzuges von mindestens einem Jahr beizuziehen. Dem entspricht, dass auch die Strafvollstreckungsbehörde nicht verpflichtet ist, über einen höchstens sechs Monate alten Auszug aus dem Bundeszentralregister hinaus Einzelheiten zu Vorstrafen des Verurteilten mitzuteilen (§ 30 Abs. 2, § 31 StVollstrO; Ziff. 7 Abs. 1 VGO).
Zwar kann im Einzelfall die Sorgfaltspflicht bestehen, die den Vorstrafen des Verurteilten zu Grunde liegende Kriminalität über das in den genannten Vorschriften gebotene Maß hinaus aufzuklären14. Anhaltspunkte dafür, dass besondere Umstände vorlagen, die zur weiteren Sachaufklärung gedrängt hätten, weil sie erkennbar Einfluss auf die sich daran anschließende Prognoseentscheidung hätten haben können, sind aber nicht festgestellt.
Auch die Auffassung des früheren Mitangeklagten R., wonach der Verurteilte für vollzugsöffnende Maßnahmen nicht geeignet sei, gab hierzu keinen Anlass, weil es sich lediglich um eine abweichende Bewertung handelte, die auf derselben Tatsachengrundlage beruhte.
Die Justizvollzugsbeamtin hat ihre Entscheidung auch nicht auf eine pflichtwidrig unrichtige Bewertung der festgestellten Tatsachen gestützt. Die Auffassung des Landgerichts, die Justizvollzugsbeamtin habe ihrer Prognose „eine tief in der Persönlichkeit verwurzelte Neigung“ des Strafgefangenen zur „wiederholte[n] Begehung entsprechender Polizeifluchten“ als Maß drohender Gefahr zugrunde legen müssen, geht fehl.
In die Prognoseentscheidung der Missbrauchsgefahr sind die von dem Verurteilten im Missbrauchsfalle drohenden Straftaten und die im Falle eines Rückfalls bedrohten Rechtsgüter einzustellen15.
Zwar ergibt sich aus dem der Justizvollzugsbeamtin vorliegenden Einweisungsurteil des Amtsgerichts Andernach vom 15.07.2013, dass sich der Verurteilte im Rahmen einer Verkehrskontrolle strafbar gemacht hatte. Er war, als eine Polizeibeamtin an die Beifahrerseite seines Fahrzeugs getreten war, rückwärts weg- und sodann vorwärts auf diese Polizeibeamtin zugefahren, um sich einen Fluchtweg zu erzwingen; die Polizeibeamtin konnte zur Seite ausweichen und der Verurteilte seine Flucht – verfolgt von einem zivilen Einsatzfahrzeug der Polizei – alkoholisiert auf einer Autobahn fortsetzen, auf der er beim Fahrstreifenwechsel den Vorrang eines anderen Fahrzeugs missachtete und dieses zum Ausweichen zwang. Das Amtsgericht Andernach hatte dieses Verhalten mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit u.a. mit Urkundenfälschung, Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs geahndet.
Allein aus der Auskunft des Bundeszentralregisters vom 16.07.2013 war es für die Justizvollzugsbeamtin nicht ersichtlich, dass es sich auch bei den Urteilen des Amtsgerichts Laufen aus 1993 und des Amtsgerichts Altötting aus dem Jahr 1999 zugrundeliegenden Taten um Fluchtfahrten des Verurteilten vor Polizeikontrollen gehandelt hatte. Aus den Einträgen ergab sich jeweils nur die Tatsache der Verurteilung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Eine Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte findet sich im Registervermerk nur zum Urteil des Amtsgerichts Altötting vom 19.04.1999. Welche konkreten Feststellungen diesen Urteilen zugrunde lagen, konnte die Justizvollzugsbeamtin den Einträgen nicht entnehmen. Ihr lagen vielmehr mit dem Einweisungsurteil des Amtsgerichts Andernach vom 03.04.2013 auch solche Feststellungen vor, wonach der Verurteilte anlässlich einer polizeilichen Verkehrskontrolle ordnungsgemäß angehalten hatte, so dass für sie im Übrigen hier auch keine Veranlassung bestand, allein wegen dieser Hinweise in der Registerauskunft auf weitere Straftaten des Verurteilten aus der Vergangenheit diese Akten vor ihrer Entscheidung beizuziehen.
Aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Informationen war die Bewertung der Justizvollzugsbeamtin, dass von dem Verurteilten keine hohe Gefährdung der Allgemeinheit zu befürchten sei, nicht pflichtwidrig.
Danach bewegte sich die von der Justizvollzugsbeamtin getroffene Entscheidung, den Verurteilten in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm unbegleitete Vollzugslockerungen zu gewähren, entgegen der Auffassung des Landgerichts im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums und war – ex ante betrachtet – fachlich und rechtlich vertretbar. Indem das Landgericht die Lockerungsentscheidungen der Justizvollzugsbeamtin als „offensichtlich grob falsch“ und den Verbleib des Verurteilten im geschlossenen Vollzug wegen „offenkundige[r] erhebliche[r] Missbrauchsgefahr“ als „einzig folgerichtig“ bezeichnet, hat es rechtsfehlerhaft den der Justizvollzugsbeamtin zustehenden Beurteilungsspielraum nicht in seine Erwägungen einbezogen und die Prognoseentscheidung der Justizvollzugsbeamtin durch eine eigene – ihrerseits teilweise von unzutreffenden Erwägungen getragene – Prognose ersetzt.
Entscheidend ist allein, dass die Justizvollzugsbeamtin alle relevanten für und gegen eine Missbrauchsgefahr sprechenden Aspekte in ihre Gesamtabwägung, die sich aus dem von ihr unterzeichneten Vollzugs- und Eingliederungsplan vom 16.10.2013 ergeben, eingestellt hat. Aufgrund der ihr vorliegenden Informationen musste sie nicht mit einer allgemeinen Rückfallgefahr rechnen, die über die im Urteil des Amtsgerichts Andernach vom 15.07.2013 abgeurteilten Taten hinausging.
Die Justizvollzugsbeamtin hat ferner für die von ihr gewährten Vollzugslockerungen Weisungen nach § 47 Satz 1 LJVollzG erteilt, um ein gegebenenfalls noch bestehendes Missbrauchsrisiko zu reduzieren. Ihre Prognoseentscheidung, dass der Verurteilte seine Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung unbegleiteter Lockerungen nicht zur Begehung erneuter Straftaten missbrauchen werde, lag im Rahmen des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums und ist deshalb aus strafrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Ob auch eine andere Bewertung innerhalb der Gesamtabwägung vertretbar gewesen wäre, muss der Bundesgerichtshof nicht entscheiden. Ein Sachverhalt, wonach nur der Verbleib des Verurteilten im geschlossenen Vollzug und die Versagung unbegleiteter Lockerungen in Betracht gekommen wäre, war jedenfalls nicht gegeben.
Die Justizvollzugsbeamtin hat somit im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraumes den Versagungsgrund der Missbrauchsgefahr vertretbar verneint, ohne dass dies auf einer Aufklärungspflichten verletzenden unvollständigen oder unzutreffenden Tatsachengrundlage oder auf unrichtiger Bewertung der festgestellten Tatsachen beruht. Eine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne des Fahrlässigkeitstatbestands liegt nicht vor.
Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatrichterlicher Prüfung ist nicht geboten. Der Bundesgerichtshof kann durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO)16. Er schließt aus, dass bei einer Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung Tatsachen festgestellt werden könnten, die eine Verurteilung tragen könnten. Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Annahme einer relevanten Pflichtverletzung der Justizvollzugsbeamtin, die für die Tötung des Unfallopfers hätte ursächlich werden können, kommt nicht in Betracht, nachdem die Justizvollzugsbeamtin zurzeit der Tat des Verurteilten auch nicht mehr für die ihm dann gewährten Vollzugslockerungen verantwortlich war.
Die Revision des W.
Das Rechtsmittel des Justizvollzugsbeamten W. führt mit der Sachrüge ebenfalls zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung auch dieses Justizvollzugsbeamten. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung kommt weder mit Blick auf die vom Justizvollzugsbeamten gewährten vollzugsöffnenden Maßnahmen noch wegen einer möglichen Verletzung ihm obliegender Kontrollpflichten in Betracht.
Das Landgericht hat aufgrund der getroffenen Feststellungen zu Unrecht eine Sorgfaltspflichtverletzung des Justizvollzugsbeamten darin gesehen, dass er den Verurteilten in den offenen Vollzug aufgenommen und ihm ebenfalls in zunehmendem Umfang unbegleitete Vollzugslockerungen gewährt hat. Auch insoweit hat es den zur Überprüfung der vom Justizvollzugsbeamten getroffenen Prognoseentscheidung geltenden Maßstab verkannt.
Da sich die im Vollzugs- und Eingliederungsplan der JVA Wi. vom 16.10.2013 enthaltenen Entscheidungen der Justizvollzugsbeamten D. als vertretbar und nicht als Überschreitung der Grenzen des ihr zur Beurteilung eröffneten Spielraums darstellen, vermag auch die Ansicht des Landgerichts, der Justizvollzugsbeamte habe es pflichtwidrig unterlassen, den Vollzugs- und Eingliederungsplan der JVA Wi. als „rechtswidrige Maßnahme“ und die darin enthaltenen Entscheidungen für eine Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung unbegleiteter Vollzugslockerungen wegen „erkennbar bestehende[r] Missbrauchsgefahr“ nach § 101 Abs. 2 LJVollzG zurückzunehmen, eine Sorgfaltswidrigkeit des Justizvollzugsbeamten nicht zu begründen.
Ob eine dem Justizvollzugsbeamten vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung darin liegen könnte, dass er seinen Kontrollpflichten nicht ausreichend nachgekommen ist, er deshalb eine Missbrauchsgefahr in unvertretbarer Weise verneint und dem Verurteilten trotz Vorliegens dieses Versagungsgrundes vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt hat, muss der Bundesgerichtshof nicht abschließend entscheiden.
Anhaltspunkte für eine Sorgfaltspflichtverletzung könnten den Feststellungen allerdings insoweit zu entnehmen sein, als der Justizvollzugsbeamte die dem Strafgefangenen gewährten Dauer- und Langzeitausgänge nicht daraufhin überprüft hat, ob dieser sich auch während der Ausgänge an die ihm erteilte Weisung hielt, kein Kraftfahrzeug zu führen.
Alle vollzugsöffnenden Maßnahmen dienen u.a. der weitergehenden Erprobung des Verurteilten sowie der Vorbereitung einer – gegebenenfalls bedingten – Entlassung. Lockerungsbegleitende Weisungen (§ 47 LJVollzG) sollen als Verhaltensanordnungen den Gefangenen zur erfolgreichen Bewältigung befähigen und etwaig bestehende Restrisiken für die Allgemeinheit reduzieren. Festgestellte Weisungsverstöße können sodann Grundlage für Disziplinarmaßnahmen und Widerrufsentscheidungen sein (vgl. § 97 Abs. 1 Nr. 7 LJVollzG und § 101 Abs. 3 Nr. 3 LJVollzG).
Daraus ergibt sich, dass gewährte Vollzugslockerungen und hierzu erteilte Weisungen im Allgemeinen stichprobenartig auf ihre Einhaltung zu überprüfen sind. Frequenz, Art und Ausmaß solcher Kontrollen unterliegen als Annex zur getroffenen Prognoseentscheidung demselben Beurteilungs- und Ermessensspielraum wie die Grundentscheidung über die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen; in die vorzunehmende Gesamtschau sind neben den dort relevanten Aspekten u.a. auch der Zweck der vollzugsöffnenden Maßnahme und der gegebenenfalls erteilten Weisung sowie die Bewährung des Verurteilten in anderen Lockerungen einzustellen.
Dies bedarf keiner Vertiefung. Jedenfalls war der für die Geschädigte tödliche Zusammenstoß, der vom Verurteilten als „Geisterfahrer“ bei seiner Flucht vor der Polizei verursacht wurde, für den Justizvollzugsbeamten nicht voraussehbar.
Welche Umstände noch innerhalb des Bereichs des Voraussehbaren liegen, kann bei der Vielgestaltigkeit des täglichen Lebens nicht allgemein gesagt werden. Diese Beurteilung muss der sachgemäßen tatrichterlichen Prüfung des Einzelfalles überlassen bleiben. Immer aber wird auch der Revisionsrichter bei ausreichenden Feststellungen des Tatrichters eine Grenze zwischen dem Bereich der nach der Lebenserfahrung noch voraussehbaren und dem Kreis der nicht mehr voraussehbaren Umstände ziehen können und müssen. Denn die Frage danach, womit nach der Lebenserfahrung gerechnet werden kann und muss, ist nicht nur Tat, sondern auch Rechtsfrage17. Insoweit ist der Bundesgerichtshof berufen, auf der Grundlage der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen selbst zu entscheiden.
Im Sinne des Fahrlässigkeitstatbestands voraussehbar ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können18. Bei der Beurteilung der Voraussehbarkeit muss auch berücksichtigt werden, was im Einzelnen tatsächlich geschehen ist, weil nicht die Gefährdung allein schon die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Täters wegen einer Fahrlässigkeitstat nach sich zieht. Nicht nur der Erfolg, sondern auch die Art und Weise, wie der Erfolg zustande gekommen ist, muss auf der Linie der Befürchtungen liegen, welche die Verletzung einer Sorgfaltspflicht begründen19.
Danach brauchen Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs nicht vorhersehbar zu sein20. Die Verantwortlichkeit des Täters entfällt aber für solche Ereignisse, die so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegen, dass der Täter auch bei der nach den Umständen des Falles gebotenen und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen zuzumutenden Sorgfalt nicht mit ihnen zu rechnen braucht21.
Tritt der Erfolg erst durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, so müssen auch diese Umstände für den Täter erkennbar sein, weil nur dann der Erfolg für ihn voraussehbar ist22. Eingetretene Folgen können außerhalb der Lebenserfahrung liegen, wenn sich in den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolg bewusste oder unbewusste Handlungen dritter Personen einschalten23. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Beitrag anderer Personen zum Geschehen in einem gänzlich vernunftwidrigen Verhalten besteht24.
Daran gemessen lag der komplexe Geschehensablauf, der zum Tod der Geschädigten geführt hatte, außerhalb der Lebenserfahrung und war für den Justizvollzugsbeamten nicht voraussehbar.
Dies ergibt sich jedenfalls aus der Kumulation von besonderen Umständen, die jeweils zum Tod der Verkehrsteilnehmerin im Gegenverkehr mit beigetragen haben. Der Verurteilte hatte während eines ihm gewährten Ausgangs aus der JVA ohne Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug geführt, das er mit falschen Kennzeichen ausgestattet hatte. Deshalb war er in eine Polizeikontrolle geraten. Dann war er vor der Polizei geflüchtet, die ihn nachdrücklich verfolgt hat. Daraufhin hat der Verurteilte sein Fahrzeug bewusst auf die Gegenfahrspur einer Kraftfahrstraße gelenkt und Polizeibeamte waren ihm auch dorthin gefolgt. Bei dieser bewusst gewählten Fahrt auf der Gegenfahrspur der Kraftfahrstraße hat der Verurteilte als „Geisterfahrer“ den Tod der Geschädigten verursacht. Dieser Verlauf der Verkehrskontrolle war bei Gesamtbetrachtung der Umstände völlig atypisch, das Verhalten des Verurteilten „gänzlich vernunftswidrig“ und in dieser Dimension des verwirklichten Unrechts auch nicht mit Blick auf die frühere Delinquenz des Verurteilten für den Justizvollzugsbeamten vorhersehbar. Der Justizvollzugsbeamte musste nicht damit rechnen, dass der Gefangene bei einer Polizeikontrolle und einer nachdrücklichen Verfolgung bewusst eine „Geisterfahrt“ mit deren extrem hohen Gefährdungspotential für alle Verkehrsteilnehmer, einschließlich seiner selbst, unternehmen und dadurch die Tötung einer Verkehrsteilnehmerin verursachen würde.
Weitere Feststellungen, die einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung oder einer anderen noch verfolgbaren Tat tragen könnten, sind von einer erneuten Hauptverhandlung nicht zu erwarten. Der Bundesgerichtshof hat deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entschieden und den Justizvollzugsbeamten ebenfalls freigesprochen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. November 2019 – 2 StR 557/18
- LG Limburg (Lahn), Urteil vom 07.06.2018 – 3 Js 11612/16 5 KLs[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58; BGH, Urteil vom 26.05.2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 04.09.2014 – 4 StR 473/13, NJW 2015, 96, 98; BGH, Urteil vom 01.02.2005 – 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN[↩]
- GVBl. S. 79[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 01.07.1998 – 2 BvR 441, 493/90, 618/92, 212/93 und 2 BvL 17/94, BVerfGE 98, 169, 200[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.06.1983 – 2 BvR 539, 612/80, BVerfGE 64, 261, 276[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.04.1998 – 2 BvR 1951/96, NStZ 1998, 430[↩]
- vgl. zum Hafturlaub BVerfG, Beschluss vom 26.02.1985 – 2 BvR 1145/83, BVerfGE 69, 161, 169[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.09.2019 – 2 BvR 1165/1920; vom 21.09.2018 – 2 BvR 1649/17 28; und vom 01.04.1998 – 2 BvR 1951/96, aaO, NStZ 1998, 430, 431 [zu Vollzugslockerungen]; vom 02.05.2017 – 2 BvR 1511/16 6 [zur Verlegung in den offenen Vollzug]; BGH, Beschluss vom 22.12.1981 – 5 AR (VS) 32/81, BGHSt 30, 320, 324 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21.09.2018 – 2 BvR 1649/17, aaO, Rn. 26; vom 01.04.1998 – 2 BvR 1951/96, aaO, NStZ 1998, 430, 431[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2003 – 5 StR 327/03, BGHSt 49, 1, 6; Schöch in Festschrift für Ventzlaff, 2006, S. 317, 319[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2003 – 5 StR 327/03, aaO, BGHSt 49, 1, 6; Schöch, aaO, S. 319; Pollähne NStZ 1999, 53, 54[↩]
- JBl. S. 132[↩]
- vgl. zu Anforderungen bei besonderen Gefahrenlagen: BGH, Urteil vom 25.09.1990 – 5 StR 187/90, BGHSt 37, 184, 189 mwN[↩]
- vgl. KG, Beschluss vom 22.08.2011 – 2 Ws 258 und 260/11 54; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.03.2009 – 1 Ws 292/08, StV 2009, 595, 596; Schatz, NStZ 2003, 581, 582[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 19.01.1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564; vom 26.10.1978 – 4 StR 429/78, BGHSt 28, 162, 164[↩]
- BGH, Urteil vom 03.01.1957 – 4 StR 440/56, BGHSt 10, 121, 123[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 12.09.2019 – 5 StR 325/19 14; vom 17.03.1992 – 5 StR 34/92, NJW 1992, 1708, 1709; vom 02.12.1980 – 1 StR 568/80 5[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.11.1975 – 3 StR 166/75 5; BGH, Urteil vom 10.07.1958 – 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08, aaO, BGHSt 53, 55, 58; BGH, Urteil vom 26.05.2004 – 2 StR 505/03, aaO, BGHSt 49, 166, 174[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2019 – 5 StR 325/19, aaO 14; BGH, Urteil vom 20.03.1997 – 5 StR 617/96, NStZ-RR 1997, 269, 270; BGH, Urteil vom 17.03.1992 – 5 StR 34/92, aaO, NJW 1992, 1708, 1709; BGH, Urteil vom 26.11.1975 – 3 StR 166/75, aaO 5; BGH, Urteil vom 10.07.1958 – 4 StR 180/58, aaO, BGHSt 12, 75, 78; BGH, Urteil vom 29.08.1952 – 2 StR 330/52, BGHSt 3, 62, 63 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2008 – 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1; BGH, Beschluss vom 10.05.2001 – 3 StR 45/01 [nicht veröffentlicht]; BGH, Urteil vom 22.11.2000 – 3 StR 331/00, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 5[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.08.1952 – 2 StR 330/52, aaO, BGHSt 3, 62, 63 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1958 – 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78; BGH, Urteil vom 23.04.1953 – 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187[↩]
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