Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert eine mehrstufige Prüfung.

- Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist.
- Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein.
Hierzu ist das Tatgericht für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem psychiatrischen Befund wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat1.
Diesen Anforderungen war in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Revisionsverfahren das landgerichtliche Urteil nicht gerecht geworden. Es hat schon keine Feststellungen zum Ausmaß der Intoxikation und damit zu deren Krankheitswert getroffen. Das Gleiche gilt für die Frage, wie sich der Konsum von Alkohol und Kokain auf die soziale Anpassungsfähigkeit und die psychische Funktionsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt hat. Schließlich hat die Strafkammer auch nicht dargelegt, in welcher Weise die festgestellte Störung seine Handlungsmöglichkeiten in der konkreten Tatsituation beeinflusst haben soll.
Eine sorgfältige Darlegung wäre umso notwendiger gewesen, als der psychiatrische Sachverständige „keine Hinweise“ für eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch den Drogenkonsum festgestellt und eine derartige Einschränkung auch unter Berücksichtigung eines die Wirkung des Kokains verstärkenden Alkoholkonsums „als unwahrscheinlich“ bewertet hat. Der Angeklagte musste zudem erst von seinem Freund von der Tatbegehung „überzeugt“ werden. Außerdem war ihm das Führen eines der Tatfahrzeuge – soweit aus den Urteilsgründen ersichtlich – ohne Einschränkung möglich.
Angesichts dieser Darlegungsdefizite kann der Bundesgerichtshof nicht nachprüfen, ob die Annahme der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht.
Das Urteil weist insoweit einen weiteren Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat im Zusammenhang mit der Frage der Erheblichkeit der von ihm angenommenen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausgeführt, es sei „unter Anwendung des Zweifelssatzes“ zugunsten des Angeklagten „von dem Vorliegen des möglichen und nicht ausschließbaren Sachverhalts“ auszugehen gewesen, dass „infolge einer akuten Intoxikation zur Zeit der Tat seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert“ gewesen sei. Hierzu hat es sich auf das von ihm als „überzeugend“ bewertete Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, der eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit durch die Mischintoxikation von Kokain und Alkohol zwar als unwahrscheinlich bewertet habe, aber auch nicht habe ausschließen können.
Diese Ausführungen sind in zweierlei Hinsicht rechtlich fehlerhaft. Zum einen hat das Landgericht verkannt, dass es sich bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung im Sinne des § 21 StGB „erheblich“ ist, um eine Rechtsfrage handelt, die dem Zweifelssatz nicht zugänglich ist2. Zum anderen enthebt die Äußerung eines Sachverständigen, dass er einen bestimmten Sachverhalt nicht ausschließen könne, das Tatgericht nicht von der eigenständigen Prüfung, welche Gründe für und gegen das Vorliegen einer im Sinne von § 21 StGB rechtlich relevanten Berauschung zur Tatzeit sprechen3. Erst wenn dem Tatgericht im Anschluss daran nicht behebbare Zweifel verbleiben, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustands beziehen, ist die Anwendung des Zweifelssatzes gerechtfertigt4.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. November 2022 – 5 StR 347/22
- st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2022 – 3 StR 19/22, NStZ-RR 2022, 168 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.08.2004 – 1 StR 293/04, NStZ-RR 2004, 329[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.08.2014 – 4 StR 163/14 Rn. 29, NJW 2014, 3382, 3384[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335[↩]
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- Alkohol: Michal Jarmoluk