Im Anwendungsbereich der Bußgeldkatalogverordnung zwingt die Amtsaufklärungspflicht das Tatgericht nur dann dazu, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen festzustellen, wenn in Bezug auf diese konkrete Anhaltspunkte für Besonderheiten vorliegen oder das Tatgericht ein Abweichen von der Regelgeldbuße auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen stützt. Die Amtsaufklärungspflicht des Tatrichters bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse wird regelmäßig erst durch eigenen Sachvortrag des Betroffenen ausgelöst1.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat; insoweit ist die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren2.
Grundlage für die Bemessung der Geldbuße sind gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG zuvorderst die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen kommen bei der Bemessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur „in Betracht“ und bleiben bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten sogar regelmäßig unberücksichtigt. Sie spielen mithin bei der Bußgeldzumessung nur eine untergeordnete Rolle3. Diese untergeordnete Rolle der wirtschaftlichen Verhältnisse findet bei Verkehrsordnungswidrigkeiten dadurch ihren Ausdruck, dass sich die Höhe der Bußgelder, deren Regelsätze durch den Verordnungsgeber in der Bußgeldkatalogverordnung aus Gründen der Vereinfachung sowie insbesondere auch der Anwendungsgleichheit festgelegt sind, in Übereinstimmung mit § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG an der Bedeutung des Verkehrsverstoßes und dem Tatvorwurf orientiert4. Den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung liegen gewöhnliche Tatumstände und durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnissen zugrunde5. Ein Regelfall i. S. d. Bußgeldkatalogverordnung setzt voraus, dass die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv maßgebliche Besonderheiten aufweist; besondere Umstände, die ein Abweichen von der Regelrechtsfolge rechtfertigen, können in der Person des Betroffenen liegen6 und sich dementsprechend auch aus besonders guten oder besonders schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen eines Betroffenen ergeben.
Die in der Bußgeldkatalogverordnung festgelegten Regelsätze (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV) sowie auch die Regelfahrverbote sind Zumessungsrichtlinien im Rahmen von § 17 Abs. 3 OWiG. Sie haben Rechtssatzqualität; an sie sind im Regelfall nicht nur die Verwaltungsbehörden, sondern auch die Gerichte gebunden7. Dies vermag zwar nichts daran zu ändern, dass Rechtsgrundlage für die Bußgeldbemessung auch unter dem Regime der Bußgeldkatalogverordnung die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG bleiben8. Allerdings folgt aus der Regel-Ausnahme-Systematik des Bußgeldkataloges, dass Umstände aus dem persönlichen Bereich des Täters, die ein Abweichen von der im Bußgeldkatalog vorgegebenen Regelrechtsfolge rechtfertigen könnten – sei es von der Regelgeldbuße oder dem Regelfahrverbot, nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärungspflicht sind. Diese Umstände, zu denen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse – nicht aber etwaige Voreintragungen – gehören, hat das Tatgericht erst zu erwägen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für ihr Vorliegen ergeben9. Derartige konkrete Anhaltspunkte werden sich indes regelmäßig erst bei entsprechenden Angaben des Betroffenen ergeben. Diesem obliegt es mithin, durch eigenen konkreten Sachvortrag10 die Aufklärungspflicht des Tatrichters auszulösen11. Eine „Beweislast“ des Betroffenen ist damit nicht verbunden. Bei Vorliegen eines schlüssigen und substantiierten Sachvortrags hat der Tatrichter diesem nachzugehen und sich von dessen Richtigkeit zu überzeugen12.
Unter Anlegung dieses Maßstabes begegnet in dem hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts keinen Bedenken:
Rechtsfehlerfrei ist das Amtsgericht zunächst von der Regelgeldbuße von 440, 00 € (§ 1 Abs. 2 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 11.03.9 der Tabelle 1 des Anhangs zu Nr. 11 d. BKat) für den Fall fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlicher Tatumstände ausgegangen. Dass es diese Regelgeldbuße sodann im Hinblick auf die zwei rechtsfehlerfrei festgestellten Vorahndungen – äußerst maßvoll – auf 460, 00 € erhöht hat, gefährdet den Bestand der Rechtsfolgenentscheidung nicht.
Zwar hat das Amtsgericht zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen lediglich festgestellt hat, diese verfüge als selbständige Pharmareferentin über ein geregeltes Einkommen. Das Fehlen weitergehender Feststellungen – insbesondere zur konkreten Höhe des Einkommens der Betroffenen – ist bei Zugrundelegung des oben dargelegten Maßstabes indes rechtlich nicht zu beanstanden. Denn das Amtsgericht hat das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen gestützt und auf der Grundlage der vorgenannten Angaben der in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen, die sich über ihre Angaben (selbständige Pharmareferentin mit geregeltem Einkommen) hinaus zur Sache nicht eingelassen hat, bestand für das Amtsgericht kein konkreter Anhalt dafür, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Betroffenen unterdurchschnittlich sein könnte.
Soweit das Oberlandesgericht in der Vergangenheit vertreten hat, bei jeder Abweichung von der in der Bußgeldkatalogverordnung vorgegebenen (ggf. nach § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelten) Regelgeldbuße seien jenseits der Geringfügigkeitsschwelle von 250, – € in den Urteilsgründen grundsätzlich Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erforderlich13, wird hieran nicht festgehalten. Denn es würde dem Regel-Ausnahme-System der Bußgeldkatalogverordnung zuwiderlaufen, allein deshalb, weil das Tatgericht die Regelgeldbuße wegen festgestellter straßenverkehrsrechtlicher Vorbelastungen (angemessen) erhöht hat, auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine tatrichterliche Aufklärung zu verlangen. Die wegen der persönlichen Schuld des Wiederholungstäters erfolgende Erhöhung der Regelgeldbuße berührt die Frage, ob das Bußgeld unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen ist, in keiner Weise. Im Falle einer maßvollen Erhöhung der Regelgeldbuße besteht ferner auch kein Anlass, an der – ohne die Erhöhung bei fehlenden Angaben des Betroffenen nicht in Frage stehenden – Leistungsfähigkeit des Betroffenen zu zweifeln. Schließlich kommt noch hinzu, dass es bei einem zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schweigenden Betroffenen auch unverhältnismäßig wäre, diese Feststellungen mit einer – ggf. mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergehenden und zur Bedeutung der Tat und Höhe der Geldbuße außer Verhältnis stehenden – Maßnahme wie der Durchsuchung der Wohn- oder Geschäftsräume nach Einkommensnachweisen des Betroffenen zu treffen14.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 13. April 2021 – 1 Ss (OWi) 103/20
- Anschluss: KG, Beschluss vom 27.04.2020 – 3 Ws (B) 49/20, Rn. 21 ff.; OLG Bremen, Beschluss vom 27.10.2020 – 1 SsBs 43/20, Ls. und Rn. 12[↩]
- OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.12.2012 – 1 Ss (OWi) 163/15, Rn. 11; KG, Beschluss vom 12.03.2019 – 3 Ws (B) 53/19, Rn. 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 Ss-OWi 1029/16, Rn. 9[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2019 – III-3 RBs 82/19, Rn. 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2017, Rn. 12[↩]
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 Ss OWi 1029/16, Rn. 12; KG, Beschluss vom 27.04.2020 – 3 Ws (B) 49/20 – 122 Ss 19/20, Rn. 21[↩]
- KG, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2019 – III – 3 RBs 82/19, Rn. 15[↩]
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 Ss OWi 1029/16, Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2019 – III-3 RBs 82/19, Rn. 15[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.11.1991 – 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125-137, Rn. 24, m.w.N., zit. nach juris[↩]
- KG, Beschluss vom 27.04.2020 – 3 Ws (B) 49/20, Rn. 21; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 11.11.2020, 201 ObOWi 1043/20, Ls. und Rn. 11[↩]
- KG, Beschluss vom 27.04.2020, a.a.O, Rn. 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.12.2018 – 1 Rb 10 Ss 644/18, Rn. 12[↩]
- zur Obliegenheit, etwaige Fahrverbotshärten umfassend vorzutragen vgl. KG, Beschluss vom 06.04.2018 – 3 Ws (B) 82/18, Rn. 12; OLG Karlsruhe, a.a.O., sowie auch BGH, Beschluss vom 28.11.1991 – 4 StR 366/91[↩]
- KG, Beschluss vom 27.04.2020, a.a.O., Rn. 21; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 27.10.2020 – 1 SsBs 43/20, Ls. und Rn. 12[↩]
- OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 12[↩]
- OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.10.2015 – 1 Ss (OWi) 156/15, Rn. 12[↩]
- KG, Beschluss vom 12.03.2019 – 3 Ws (B) 53/19, Rn. 14[↩]
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