Durchsuchung eines Universitätslehrstuhls – und die Beschlagnahme von Forschungsunterlagen

Das Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde eines Universitätsprofessors nicht zur Entscheidung angenommen, der sich gegen Gerichtsentscheidungen wendet, mit denen die Durchsuchung der Räumlichkeiten seines Lehrstuhls und die Beschlagnahme von Forschungsunterlagen angeordnet bzw. bestätigt wurde, und der sich hierdurch in seiner Forschungsfreiheit verletzt sieht.

Durchsuchung eines Universitätslehrstuhls – und die Beschlagnahme von Forschungsunterlagen

In der Sache selbst sah das Bundesverfassungsgericht Durchsuchung und Beschlagnahme durchaus als problematisch. Allerdings war die Verfassungsbeschwerde verfristet und damit unzulässig.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts des Professors zur „Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug“ wurden mehrere Strafgefangene interviewt. Im Vorfeld dieser Interviews wurde ihnen Vertraulichkeit zugesichert. Wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen einen der Interviewten ordnete das Oberlandesgericht München die Durchsuchung der Lehrstuhlräumlichkeiten des Professors an, um insbesondere die angefertigte Tonbandaufnahme und das Protokoll des Interviews zu erlangen. Hiergegen wandte sich der Professor erfolglos an das Oberlandesgericht München. Dieses begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass dem Professor kein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Die Forschungsfreiheit gebiete weder eine andere Auslegung der gesetzlichen Regelung über das Zeugnisverweigerungsrecht noch folge aus ihr ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Der Professor hat nicht schlüssig dargelegt, seine Verfassungsbeschwerde innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist eingelegt zu haben. In der Sache bestehen jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen. Das Oberlandesgericht hat Gewicht und Reichweite der Forschungsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt.

Der Ausgangssachverhalt

Der Professor ist Inhaber eines Lehrstuhls an einem Institut für Psychologie. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur „Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug“ wurden im Justizvollzug Inhaftierte interviewt. In dem Informationsschreiben an die Interviewpartner heißt es unter anderem:

„Vorab möchten wir Sie wissen lassen, dass das, was sie uns erzählen, keine Folgen auf Ihre Strafe oder Ihre Zeit im Gefängnis hat. Sie werden deswegen keine Probleme bekommen. Wir haben Schweigepflicht und dürfen der Gefängnisleitung oder anderen Bediensteten nichts von dem erzählen, was sie uns sagen. Nur wenn Sie uns von einer geplanten Straftat erzählen, müssen wir das melden.“

Zu den mit den Inhaftierten durchgeführten Interviews existierten – jeweils (noch) nicht anonymisiert beziehungsweise re-anonymisierbar – ein schriftliches Protokoll und ein elektronisch gesicherter Audiofile.

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Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts München

Die zuständige Ermittlungsrichterin am Oberlandesgericht München ordnete eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Lehrstuhls des Professors an, unter anderem nach Tonbandaufnahmen, schriftlichen Unterlagen und sonstigen Gegenständen, insbesondere einem Gesprächsprotokoll, mit Bezug zu dem Interviewten und dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Forschungsprojekt. Zudem wurde die Beschlagnahme der Gegenstände angeordnet. Begründet wurde der Beschluss damit, dass gegen eine im Rahmen des Projekts interviewte Person der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bestünde1.

Hiergegen erhob der Professor erfolglos eine Beschwerde. Das Oberlandesgericht München wies die Beschwerde als unbegründet zurück2; dem Professor stehe, so das Oberlandesgericht, kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebiete weder eine andere Auslegung noch folge hieraus ein strafprozessuales Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot. Eine Ausweitung der strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechte sei Sache des Gesetzgebers und erfolge grundsätzlich nicht durch eine erweiternde Auslegung oder eine analoge Anwendung der einschlägigen Vorschriften. Selbst wenn dennoch eine Abwägung zwischen der Forschungsfreiheit einerseits und dem Strafverfolgungsauftrag andererseits geboten sein sollte, fiele die Abwägung zulasten der Forschungsfreiheit aus. Insbesondere sei das Interview mit dem Beschuldigten bereits abgeschlossen gewesen, sodass die Forschungstätigkeit nicht behindert worden sei. Zum anderen seien allenfalls zukünftige, bisher nicht konkretisierte Projekte mit gleichartiger Forschungsmethodik gefährdet, falls potenzielle Interviewpartner nun ihre Teilnahme verweigerten. Dies stelle jedoch eine bloße nicht konkretisierte Erwartung dar.

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Die Verfassungsbeschwerde

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Professor eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts. Durch die angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme sei zumindest mittelbar und faktisch in relevanter Weise in die Forschungsfreiheit des Professors eingegriffen worden. Das Forschungsprojekt beziehungsweise zukünftige, gleichgelagerte Projekte seien gefährdet. Interviewpartner könnten ihre Teilnahme aufkündigen beziehungsweise aus Angst davor verweigern, dass auch ihre Interviews beschlagnahmt werden könnten. Der Eingriff sei auch nicht gerechtfertigt. Die Wissenschaftsfreiheit sei schrankenlos gewährleistet. Die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, die dem Rechtsstaatsprinzip zuzuordnen sei, sei nicht ohne Weiteres und voraussetzungslos geeignet, ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht einzuschränken. Der Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit erweise sich als unverhältnismäßig. Das Oberlandesgericht gehe von falschen Wertungen aus, indem einerseits auf die „Schwere der Tat und die Stärke des Tatverdachts“ abgestellt werde, während andererseits die Forschungsfreiheit „lediglich unerheblich beeinträchtigt“ sei. Eine Fernwirkung des Eingriffs für vergleichbar forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sei auch zu berücksichtigen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig sei. Die Verfassungsbeschwerde genüge nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Begründungsanforderungen hinsichtlich der Fristwahrung.

Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Die Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG verlangen, dass eine beschwerdeführende Person innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Hierzu gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten ist3. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die beschwerdeführende Person bereits vor dem angegebenen Zeitpunkt Kenntnis von dem Inhalt der angegriffenen Entscheidung erhalten hat, ist ein Vortrag erforderlich, der über die Mitteilung des Bekanntgabezeitpunkts hinausgeht4.

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Der Bevollmächtigte des Professors hat die Verfassungsbeschwerde mehr als einen Monat nach dem Datum der Beschwerdeentscheidung, durch deren Zugang oder formloser Mitteilung die Verfassungsbeschwerdefrist in Gang gesetzt wurde (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG), erhoben. Im Strafprozess erfolgt die Bekanntmachung von Entscheidungen von Amts wegen wahlweise durch Zustellung oder formlose Mitteilung, wenn die Entscheidung – wie hier – nicht in Anwesenheit der betroffenen Person ergeht und keine strafprozessuale Frist in Gang setzt (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO). Vorliegend ergibt sich weder aus den vorgelegten Unterlagen noch aus dem Beschwerdevorbringen ohne Weiteres, wann die letztinstanzliche Entscheidung zugegangen ist. Der Bevollmächtigte des Professors verweist zur Darlegung des Zugangszeitpunktes auf einen Eingangsstempel seiner Kanzlei, der jedoch auf der vorgelegten Ausfertigung der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu finden ist.

Obiter dictum: Erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Durchsuchung

In der Sache bestehen jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei jeder strafprozessualen Eingriffsmaßnahme im Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein muss5. Zwar erkennt zumindest das Beschwerdegericht, dass die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zu berücksichtigen und mit der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, in Ausgleich zu bringen ist6. Jedoch werden Gewicht und Reichweite der Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht angemessen berücksichtigt. Wenngleich die Bewertung der befassten Gerichte zur Verhältnismäßigkeit der Eingriffsmaßnahme nicht zur vollständigen Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts steht, können aber ein vollständiges Unterlassen jedweder Erwägungen7, grobe Fehleinschätzungen8 oder eine Verkennung des Grundrechtseinflusses, auf der die Entscheidung beruht9, durch das Bundesverfassungsgericht beanstandet werden10.

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Die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) umfasst auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte als Bestandteil der Prozesse und Verhaltensweisen bei der Suche nach Erkenntnissen11. Gerade empirische Forschung ist regelmäßig auf die Erhebung von Daten angewiesen und insbesondere aussagefähige sensible Daten können von den Betroffenen oftmals nur unter der Bedingung von Vertraulichkeit erhoben werden. Soweit es, wie hier, um kriminologische Forschungen über Dunkelfelder oder Kontexte strafbarer Verhaltensweisen geht, ist dies offenkundig. Die vertrauliche Datenerhebung gehört zur geschützten wissenschaftlichen Methode. Die staatlich erzwungene Preisgabe von Forschungsdaten hebt die Vertraulichkeit auf und erschwert oder verunmöglicht insbesondere Forschungen, die, wie das hier betroffene Forschungsprojekt, auf vertrauliche Datenerhebungen angewiesen sind. Bei laufenden Forschungsprojekten betrifft dies schon die Fortführung der konkreten Projekte. Darüber hinaus verschlechtern alle staatlichen Zugriffsrechte auch die Bedingungen für zukünftige Forschungen, die auf vertrauliche Datenerhebungen angewiesen sind.

Die Wissenschaftsfreiheit kann, wie andere vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, aufgrund von kollidierendem Verfassungsrecht beschränkt werden12, wobei es grundsätzlich auch insoweit einer gesetzlichen Grundlage bedarf13. Ein Konflikt zwischen verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten ist unter Rückgriff auf weitere einschlägige verfassungsrechtliche Bestimmungen und Prinzipien sowie auf den Grundsatz der praktischen Konkordanz durch Verfassungsauslegung zu lösen14.

Soweit das Beschwerdegericht davon ausgeht, die Forschungsfreiheit sei vorliegend nur unerheblich beeinträchtigt worden, erfasst es die Auswirkungen auf das konkrete Forschungsprojekt, aber auch die Folgen für die Wissenschaftsfreiheit darüber hinaus nicht angemessen. Es verkennt, dass die Daten weder aus Gründen der Wissenschaft auf Veröffentlichung angelegt waren, noch primär die Eingriffswirkung auf das konkrete Interview hätte beschränkt werden dürfen. Vielmehr kommt der Wissenschaftsfreiheit bei der Abwägung ein umso höheres Gewicht zu, je stärker das konkrete Forschungsvorhaben und bestimmte Forschungsbereiche auf die Vertraulichkeit bei Datenerhebungen und -verarbeitungen angewiesen sind. Auch hätte gerade der Zusammenhang zwischen der konkret betroffenen Forschung und dem gegenläufigen Belang der Strafrechtspflege berücksichtigt werden müssen. Die effektive und funktionstüchtige Strafrechtspflege ist zwar ein Zweck von Verfassungsrang15. Für das Gewicht dieses Zwecks ist vorliegend aber zu berücksichtigen, dass die betroffene Forschung auch für die Rechtsstaatlichkeit von besonderer Bedeutung ist. Eine rationale Kriminalprävention ist in hohem Maße auf Erkenntnisse über Dunkelfelder und kriminalitätsfördernde Dynamiken angewiesen. Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. September 2023 – 1 BvR 2219/20

  1. OLG München, Beschluss vom 23.01.2020 – OGs 19/20[]
  2. OLG München, Beschluss vom 28.07.2020 – 8 St ObWs 5/20[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.09.2019 – 1 BvR 1700/19, Rn. 3; Beschluss vom 25.04.2022 – 2 BvR 1705/20, Rn. 1; jeweils m.w.N.[]
  4. vgl. BVerfGK 14, 468 <469> BVerfG, Beschluss vom 26.09.2012 – 2 BvR 1586/12[]
  5. vgl. zur Zeugenvernehmung BVerfGE 33, 367 <374 f.> 38, 312 <325> zur Beschlagnahme BVerfGE 34, 238 <248 ff.> 44, 353 <372 ff.> zur Wohnungsdurchsuchung BVerfGE 96, 44 <51> 113, 29 <52 ff.> 115, 166 <197 ff.> 124, 43 <66 f.> zu körperlichen Untersuchungen BVerfGE 16, 194 <201 f.> 17, 108 <117> 27, 211 <219> zur Auskunft über Telekommunikationsverkehrsdaten BVerfGE 107, 299 <323 f.> zur Kombination verschiedener verdeckter Ermittlungsmaßnahmen BVerfGE 112, 304 <321> zur präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung BVerfGE 130, 1 <37 f.>[]
  6. vgl. zur präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung BVerfGE 130, 1 <26, 37 f.> m.w.N.[]
  7. vgl. BVerfGE 30, 173 <197> 59, 231 <270> 97, 391 <406> 106, 28 <50>[]
  8. vgl. BVerfGE 30, 173 <197>[]
  9. vgl. BVerfGE 95, 28 <37> 97, 391 <401>[]
  10. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.02.2008 – 2 BvR 583/07, Rn. 2[]
  11. vgl. BVerfGE 35, 79 <112> 47, 327 <367> 90, 1 <11 f.> 111, 333 <354> hierzu auch Gärditz, StV 2020, S. 716 <719>[]
  12. vgl. BVerfGE 47, 327 <369> 57, 70 <99> 122, 89 <107>[]
  13. vgl. BVerfGE 83, 130 <142> 107, 104 <120> 122, 89 <107>[]
  14. vgl. BVerfGE 47, 327 <369> 122, 89 <107>[]
  15. vgl. zur präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung BVerfGE 130, 1 <26, 36 f.> m.w.N.[]
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