Die Durchsuchung der Wohn- und Praxisräume eines Zahnarztes ist bei hinreichendem Tatverdacht einer Straftat gemäß § 278 StGB (Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse) verfassungsrechtlich unbedenklich.

Der Ausgangssachverhalt
In der hier vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde erstattete der Beschwerdeführer, ein Zahnarzt, für private Krankenkassen Gutachten zur medizinischen Notwendigkeit zahnärztlicher Behandlungen. In einem Gutachten vom 28.07.2008 verneinte er die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung, die Gegenstand eines Behandlungsplans des Zahnarztes Dr. M. war. Im nachfolgenden von der Patientin mit dem Ziel der Kostenerstattung geführten Gerichtsverfahren hielt der gerichtlich bestellte Gutachter die gewünschte Behandlung für medizinisch erforderlich. Das Gericht schloss sich dieser Bewertung an.
Im Juli 2012 erstellte der Beschwerdeführer ein Gutachten für einen anderen Patienten des Zahnarztes Dr. M. und verneinte auch in diesem Fall die medizinische Notwendigkeit der Behandlung. Daraufhin beauftragten Dr. M. und sein Patient einen (Gegen-)Gutachter, der in seinem Gutachten die Ausführungen des Beschwerdeführers als „erschreckend“ und „falsch“ bezeichnete und dem Beschwerdeführer vorwarf, der Textinhalt seiner Gutachten sei stets nahezu identisch.
erstattete Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Betrugs (§ 263 StGB) und des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB). Er behauptete, der Beschwerdeführer fertige in großem Umfang im Auftrag diverser privater Krankenkassen Gutachten, bei denen er wider besseres Wissen zugunsten der Krankenkassen die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen verneine. In einschlägigen Fachkreisen sei allgemein bekannt, dass der Beschwerdeführer in großem Umfang für zahlreiche private Krankenversicherer als Gutachter, sozusagen als „Sparkommissar“, zu Fragen der medizinischen Notwendigkeit tätig sei. Der Anzeige legte er das Gutachten des Beschwerdeführers vom 28.07.2008, seinen diesbezüglichen Behandlungsplan, das gerichtlich in Auftrag gegebene Gutachten und das Urteil des Landgerichts sowie das sich auf einen anderen Patienten beziehende Gutachten des Gegengutachters bei.
Ohne weitere Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft Kiel daraufhin den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses. Das Amtsgericht Kiel ordnete die Durchsuchung der Zahnarztpraxis und Wohnräume des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer sei hinsichtlich des zivilgerichtlich ausgeurteilten Falls des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse verdächtig; die Durchsuchung diene der Auffindung von Beweismitteln, insbesondere Unterlagen, die Aufschluss über Art und Umfang der vom Beschwerdeführer im Auftrag von privaten Krankenversicherungen erstellten Gutachten sowie die dafür empfangene Vergütung gäben. Die Durchsuchung wurde vollzogen. Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Beschwerdeführers half das Amtsgericht Kiel nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Kiel zur Entscheidung vor. Dieses verwarf die Beschwerde unter ergänzenden Ausführungen zum Anfangsverdacht und zur Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung als unbegründet.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Auf die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Kiel gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht zunächst eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt erlassen, die Sichtung und Auswertung sämtlicher bei der Durchsuchung in behördlichen Gewahrsam gelangten und dort noch befindlichen Daten und Beweisgegenstände bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zu unterlassen.
Nunmehr hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insbesondere nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt1.
Unverletzlichkeit der Wohnung
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.
Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird2. Dieser Schutz erstreckt sich auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind3.
Notwendiger, aber grundsätzlich auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt jedoch auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen4.
Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten5. Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist; zudem müssen die erwarteten Beweismittel wenigstens annäherungsweise – gegebenenfalls in Form beispielhafter Angaben – beschrieben werden6.
Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht schließlich ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit7; dieses wird bei Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern sogar noch erhöht. Die Durchsuchung muss vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen8. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen9.
Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen10.
Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse noch gerecht.
Gegen den Beschwerdeführer bestand ein Anfangsverdacht der Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses, § 278 StGB.
Zugunsten des Beschwerdeführers ist für die verfassungsrechtliche Prüfung davon auszugehen, dass der dem Durchsuchungsbeschluss zugrunde liegende Tatvorwurf – der nach Vollzug der Durchsuchung im Beschwerdeverfahren nicht mehr geändert werden kann11 – nur auf das Erstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses im Jahr 2008 lautete. Denn die vage gehaltenen Formulierungen in der Strafanzeige, wonach der Beschwerdeführer „in großem Umfang … sozusagen als ‚Sparkommissar‘ tätig“ sei, wurden weder in der Anzeige selbst noch durch die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen näher belegt.
Hinsichtlich des Gutachtens vom 28.07.2008 lagen indes zureichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vor, auf die allein der Durchsuchungsbeschluss gestützt ist. Auch wenn der vom Beschwerdeführer zu beurteilende Heil- und Kostenplan des Anzeigeerstatters Dr. M. unzureichend gewesen sein mag, sind in dem sich an die Erstattung des Gutachtens anschließenden Zivilprozess Unstimmigkeiten und Fehler des Gutachtens festgestellt worden, die nicht nur über denkbare wissenschaftliche Meinungsunterschiede hinausgehen, sondern auch einen Anfangsverdacht für ein Handeln wider besseres Wissen zu begründen vermögen. Diese Indizien werden durch das in das Ermittlungsverfahren als Indiz eingeführte Gegengutachten zu einer vom Beschwerdeführer im Jahre 2012 vorgenommenen Begutachtung nachhaltig unterstützt. Dass die Ermittlungen sorgfältiger hätten geführt werden können – beispielsweise im Hinblick auf das Vorliegen eigener Interessen des Anzeigeerstatters, ändert nichts daran, dass insbesondere auf der Grundlage der von der Staatsanwaltschaft herangezogenen Gutachten der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Denn diese Gutachten stützten den Verdacht, der Beschwerdeführer habe das Gutachten vom 28.07.2008 mit Hilfe von Textbausteinen und auf der Grundlage einer unzutreffenden Bestandsaufnahme der medizinischen Situation des Patienten erstellt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 2 BvR 2419/13
- vgl. BVerfGE 90, 22, 25 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 42, 212, 219 f.; 96, 27, 40; 103, 142, 150 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 42, 212, 219; 96, 44, 51; BVerfGK 15, 225, 240[↩]
- vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; 115, 166, 197 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 20, 162, 224; 42, 212, 220; 103, 142, 151[↩]
- vgl. BVerfGE 42, 212, 221[↩]
- vgl. BVerfGE 20, 162, 186 f.; 96, 44, 51; 115, 166, 197[↩]
- vgl. BVerfGE 20, 162, 187; 59, 95, 97; 96, 44, 51; 115, 166, 197[↩]
- vgl. BVerfGK 4, 227, 233[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 85, 92 ff.; Beschluss vom 20.04.2004 – 2 BvR 2043/03 u.a. 5[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.04.2004 – 2 BvR 2043/03 u.a. 4[↩]