Einziehung bei Erwerbstaten – und die Rüge der Verjährung

Die Verjährung der Erwerbstaten ist eine Einwendung gegen den Schuldspruch i.S.d. § 431 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Sie unterliegt daher nur dann der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts, wenn die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO gegeben sind. Dem stehen verfassungs- und konventionsrechtliche Belange, insbesondere Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 13 EMRK, nicht entgegen1.

Einziehung bei Erwerbstaten – und die Rüge der Verjährung

Der Bundesgerichtshof hatte auf die Revision der Einziehungsbeteiligten nicht bereits von Amts wegen zu prüfen, ob hinsichtlich der Erwerbstaten, auf die sich die Einziehungsentscheidung stützt, (teilweise) Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Geltendmachung des Verfahrenshindernisses der Verjährung der Erwerbstaten ist eine Einwendung gegen die hier rechtkräftigen Schuldsprüche und unterliegt daher nur dann der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts, wenn die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO gegeben sind2. Insoweit gilt:

Gemäß § 431 Abs. 1 Satz 1 StPO erstreckt sich im Rechtsmittelverfahren die Prüfung, ob die Einziehung dem Einziehungsbeteiligten gegenüber gerechtfertigt ist, nur dann auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils, wenn der Einziehungsbeteiligte insoweit Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist.

Die Vorschrift erfasst bereits nach ihrem Wortlaut auch die Geltendmachung eines Verfahrenshindernisses. Das Merkmal ?Einwendungen gegen den Schuldspruch? umfasst begrifflich die auf den Schuldspruch bezogenen Verfahrensvoraussetzungen, denn auch sie betreffen den Schuldspruch. Hätte der Gesetzgeber diese ausnehmen wollen, hätte er dies sprachlich ohne Weiteres in die Norm aufnehmen können.

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Dafür sprechen ferner Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

Nach der Gesetzesbegründung zu der Vorgängernorm (§ 437 StPO aF) sollten Einziehungsbeteiligte nicht aus rein vermögensrechtlichen Interessen das Gericht zu einer weiteren Nachprüfung des Schuldspruchs zwingen können, als sie auf die Einwendungen der unmittelbar Beteiligten vorgenommen werden müsste3, und daher grundsätzlich nur geltend machen können, die Einziehungsanordnung sei zu Unrecht ergangen. § 431 StPO wollte hieran nichts ändern, sondern dem bisherigen § 437 StPO aF entsprechen4. Die Norm trifft damit weiterhin bewusst einen Ausgleich zwischen den Interessen des Einziehungsbeteiligten und der Verfahrensökonomie5. Dem widerspräche es, wenn das Revisionsgericht stets und ohne die Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1 StPO die Verjährung der Erwerbstaten und nicht lediglich das Vorliegen der spezifischen Einziehungsvoraussetzungen prüfen müsste.

Daran ändert nichts, dass Verfahrensvoraussetzungen inmitten stehen, die, soweit sich der Prüfungsumfang darauf erstreckt, üblicherweise von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Hieraus ergibt sich bereits der Sache nach kein entscheidender Unterschied dazu, dass die Einziehungsbeteiligte auch etwaige sonstige Rechtsfehler des die Erwerbstaten betreffenden Schuldspruchs grundsätzlich gegen sich gelten lassen muss und der Gesetzgeber dies aus Gründen der Verfahrensökonomie gerade beabsichtigt hat.

Dies wird durch eine systematische Auslegung der Norm bestätigt, die den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts hinsichtlich einzelner Rechtsfragen auch in anderer Hinsicht einschränkt.

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So muss der Einziehungsbeteiligte – abweichend von den sonstigen im Revisionsverfahren hinsichtlich der Sachrüge geltenden Grundsätzen – seine Beanstandungen ausdrücklich erheben und benennen, und zwar gemäß § 431 Abs. 3 StPO innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO; eine nicht weiter oder nicht fristgerecht ausgeführte Sachrüge ist defizitär und führt zur Unbegründetheit des Rechtmittels6. Eine Ausnahme von der üblicherweise geltenden Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts ist somit in der Vorschrift selbst angelegt.

Dem stehen verfassungs- und konventionsrechtliche Belange, insbesondere Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 13 EMRK, nicht entgegen7.

19 Abs. 4 GG und Art. 13 EMRK begründen bereits keinen Anspruch auf Anfechtbarkeit einer richterlichen Entscheidung und gewährleisten keinen Instanzenzug8.

Soweit der Gesetzgeber dennoch – wie hier – eine weitere Instanz eröffnet, garantiert Art.19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen9. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, deren Berücksichtigung im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung des innerstaatlichen Rechts zur Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art.20 Abs. 3 GG) gehört10, muss ein einmal eingeräumter Rechtsbehelf wirksam, das heißt zugänglich und geeignet sein, entweder die behauptete Verletzung oder ihre Fortdauer zu verhindern oder bereits erlittenen Verletzungen angemessen abzuhelfen11. Diese Voraussetzungen sind hier gewahrt.

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Die Verfahrensvoraussetzungen der Erwerbstaten werden in erster Instanz durch ein Gericht von Amts wegen geprüft; die Einziehungsbeteiligte kann in jenem Verfahrensstadium hierzu durchgängig Stellung nehmen. § 431 StPO begrenzt den gerichtlichen Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren nicht hinsichtlich der spezifischen Einziehungsvoraussetzungen der §§ 73 ff. StGB, so dass insoweit vollständige Abhilfemöglichkeiten bestehen bleiben. Die Norm betrifft nur die Einwendungsmöglichkeiten gegen den der Einziehung zugrundeliegenden Schuldspruch. Von diesem ist die Einziehungsbeteiligte als Drittbegünstigte allerdings nicht unmittelbar betroffen. Dies gilt hinsichtlich der hier im Raum stehenden Verfahrensvoraussetzung der Verjährung der Erwerbstaten umso mehr, weil nach materiellem Recht auch in diesen Fällen eine Einziehungsentscheidung rechtlich zulässig ist (§ 76a Abs. 2 StGB).

Dieses Verständnis des § 431 StPO steht zudem als verfahrensrechtliches Äquivalent in Einklang mit der materiellrechtlichen Bedeutung der Einziehung, die dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zukommt.

Hiernach berührt selbst die Einziehung des aus bereits vor der Neufassung des Abschöpfungsrechts verjährten Erwerbstaten Erlangten überragende Belange des Gemeinwohls, die eine echte Rückwirkung von Gesetzen rechtfertigen können12. Durch die Vermögensabschöpfung soll in normbekräftigender Weise sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann. Die Entziehung solcher strafrechtswidrig erlangter Werte soll zudem die Gerechtigkeit und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken12.

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Ob hinsichtlich des Umfangs der Prüfungskompetenz insoweit anderes gilt, wenn es sich um eine Revision einer Nebenbeteiligten wegen einer nach § 30 OWiG verhängten Geldbuße handelt13, bedarf hier keiner Entscheidung.

Eine etwaige Verjährung der Erwerbstaten wäre deshalb nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 431 StPO von Bedeutung; diese lagen jedoch nicht vor.

Die Einziehungsbeteiligte hat diese Einwendung gegen den Schuldspruch bereits nicht selbst innerhalb der Begründungsfrist der §§ 431, 345 Abs. 1 StPO vorgebracht und konkret benannt.

Eine (teilweise) Verjährung der Erwerbstaten hat vielmehr erstmals der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 07.02.2020 thematisiert. Dem hat sich die Einziehungsbeteiligte am 16.07.2020, mithin erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist der § 431 Abs. 3, § 345 StPO hinsichtlich des ihr am 3.06.2019 zugestellten Urteils, angeschlossen.

Außerdem ist die Einziehungsbeteiligte im vorliegenden Fall im Verfahren vor dem Landgericht nicht ohne ihr Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden (§ 431 Abs. 1 Nr. 2 StPO).

Sie war durch ihren Geschäftsführer, den Verurteilten L. , in der Hauptverhandlung durchgängig vertreten und damit nicht von der Verhandlung über die Täterschaft der Angeklagten ausgeschlossen14, sondern konnte sich aktiv beteiligen und ihre prozessualen Rechte einschränkungslos ausüben.

Unerheblich ist, dass sie nicht anwaltlich vertreten war. Ihr stand jederzeit das Recht zu, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen (§ 428 Abs. 1 StPO). Dieses hat sie nicht ausgeübt. Eine zwingende anwaltliche Vertretung der Einziehungsbeteiligten kennt das Gesetz nicht; dies ergibt sich schon daraus, dass § 428 Abs. 1 Satz 2 StPO bei seinem Verweis auf die für die Verteidigung geltenden Vorschriften § 140 StPO ausnimmt.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 10.07.2018 – 1 StR 628/17[]
  2. dazu sogleich B.I. 1.b; so auch BGH, Beschluss vom 10.07.2018 – 1 StR 628/17 4, 11[]
  3. vgl. BT-Drs. V/1319 S. 73[]
  4. vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 90[]
  5. MünchKomm-StPO/Putzke/Steinfeld, § 431 Rn. 1[]
  6. vgl. Dölling/Duttge/König/Rössner/Koch, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 437 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 431 Rn. 4; Radtke/Hohmann/Kiethe, StPO, § 437 Rn. 1; Schmidt, Vermögensabschöpfung, 2. Aufl., Rn. 1754; SK-StPO/Paeffgen, 5. Aufl., § 431 Rn. 6; SK-StPO/Weßlau, 4. Aufl., § 431 Rn. 8; SSW-StPO/Heine, 4. Aufl., § 431 Rn. 4; Volk/Beukelmann/Bröckers, Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 3. Aufl., § 14 Rn. 45[]
  7. s. zu deren Bedeutung für § 431 StPO MünchKomm-StPO/Putzke/Steinfeld, § 431 Rn. 8; SK-StPO/Paeffgen, 5. Aufl., § 431 Rn. 6[]
  8. vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10, NVwZ 2011, 546 Rn. 17; BeckOK StPO/Valerius, 40. Ed., Art. 13 EMRK Rn. 3, 6; Hömig/Wolff/Antoni, GG, 12. Aufl., Art.19 Rn. 17; LR/Esser, StPO, 26. Aufl., Art. 13 EMRK Rn. 33 ff. mit Fn. 73; SSW-StPO/Heine, 4. Aufl., § 431 Rn. 1; zwar macht hiervon Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 22.11.1984 konventionsrechtlich eine Ausnahme bei strafrechtlichen Verurteilungen, dieses Protokoll hat die Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht ratifiziert, vgl. LR/Esser, StPO, 26. Aufl., Art. 13 EMRK Fn. 73[]
  9. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10, NVwZ 2011, 546 Rn. 17 mwN; Hömig/Wolff/Antoni, GG, 12. Aufl., Art.19 Rn. 17[]
  10. vgl. BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326, 366 ff.; BGH, Beschluss vom 18.02.2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283 Rn. 44; Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276 Rn. 44[]
  11. vgl. EGMR, Urteile vom 04.09.2014 – 68919/10 Peter/Deutschland, NJW 2015, 3359 Rn. 54 ff.; vom 03.06.2010 – 42837/06 u.a. Dimitras u.a./Griechenland, NVwZ 2011, 863 Rn. 65 ff.; vom 26.10.2000 – 30210/96 Kud?a/Polen, NJW 2001, 2694 Rn. 157; BeckOK StPO/Valerius, 40. Ed., Art. 13 EMRK Rn. 7 ff.; MünchKomm-StPO/Gaede, Art. 13 EMRK Rn.19 ff.[]
  12. vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19, NJW 2021, 1222 Rn. 148 ff.[][]
  13. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17.10.2013 – 3 StR 167/13 30 mwN; Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 47[]
  14. s. zu dieser Voraussetzung SSW/Heine, StPO, 4. Aufl., § 431 Rn. 4[]
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Das Rechtsmittel und die Höhe der Beschwer

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