Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung – gleichgültig von welcher Seite – beeinflusst werden kann1.

Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden2.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter3. Durch diese grundrechtsgleiche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste4. Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die ihrerseits den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet deshalb die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind oder die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt wird5. Rechtsfehlerhafte – aber nicht willkürliche – Entscheidungen über die Bestimmung des zuständigen Gerichts oder des zuständigen Richters beanstandet das Bundesverfassungsgericht nicht6.
Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht, oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden7.
Die hier zu beurteilende Verfassungsfrage betrifft die Entbindung eines Schöffen von der Dienstpflicht und damit die Anwendung und Auslegung der § 54 Abs. 1 Satz 2, § 77 Abs. 1 GVG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht Dresden8 die Entscheidung des Kammervorsitzenden, auch den weiteren Hilfsschöffen von der Dienstpflicht zu entbinden 9, einer Willkürkontrolle und nicht einer umfassenden Richtigkeitskontrolle unterzogen hat.
Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Revisionsgerichte die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung (§ 338 Nr. 1 StPO) jedenfalls dann einer Willkürkontrolle – und keiner umfassenden Richtigkeitskontrolle – unterziehen, wenn die Entbindung eines Schöffen zur Überprüfung steht10.
Diese ständige Rechtsprechung der Revisionsgerichte begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Unabhängig davon, dass die Beschwerdeführer sie ausdrücklich von der verfassungsgerichtlich erhobenen Rüge ausgenommen haben, ist nicht erkennbar, dass diese – die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsregeln betreffende – Rechtsprechung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und damit offensichtlich unhaltbar ist oder die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt11. Nachvollziehbar stellen die Revisionsgerichte darauf ab, dass sich die Einschränkung der Prüfungsdichte daraus ergebe, dass § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG die Entscheidung über die Entbindung des Schöffen für unanfechtbar erklärt und damit nach § 336 Satz 2 StPO der Revision entziehe. Nur in Fällen objektiver Willkür könne es einem Revisionsführer in Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verwehrt sein, den Entzug des gesetzlichen Richters mit der Revision geltend zu machen12.
Soweit das Oberlandesgericht davon ausgegangen ist, dass im Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO der Kontrollmaßstab des Revisionsverfahrens anzusetzen ist, begegnet das ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Einschätzung teilt es nicht nur mit weiteren Oberlandesgerichten13; sie entspricht auch der Rechtsauffassung in der Kommentarliteratur14. Dafür spricht schon, dass der Text des seit dem 13.12.2019 geltenden § 222b StPO in Abs. 1 Sätze 2 und 4 auf das Revisionsverfahren Bezug nimmt. Letztlich ließ das am 13.12.2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.201915 § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG unverändert, sodass die – verfassungsrechtlich unbedenkliche – Argumentation, mit der die Revisionsgerichte ihre eingeschränkte Kontrolldichte begründeten, weiterhin greift.
Die Willkürprüfung des Oberlandesgerichts ist in der Sache ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat mit verfassungsrechtlich tragfähigen Gründen verneint, dass der Kammervorsitzende seinerseits willkürlich gehandelt habe. Es hat sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt; überdies entbehrt seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes16. Das Bundesverfassungsgericht hat auch nicht die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt11.
Insbesondere hat das Oberlandesgericht nachvollziehbar und in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, weshalb es davon ausgegangen ist, dass der Kammervorsitzende sich bei seiner Entscheidung zwar in einem Tatsachenirrtum befunden habe, dieser Tatsachenirrtum aber keine Willkür begründe. Schlüssig ist dabei insbesondere der Hinweis auf die Erklärung des entbundenen Schöffen und die dem Kammervorsitzenden vorliegenden Unterlagen in ihrer Gesamtheit. Zutreffend hat es damit im Ergebnis darauf abgestellt, dass reine Rechtsfehler nicht zu einem Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters führen6.
Das Oberlandesgericht hat dabei auch Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus dem Blick verloren, da es ausdrücklich in seine Überlegungen mit einbezogen hat, inwieweit der Rechtsfehler den Sinn des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die Verhinderung von Manipulationen bei der Richterauswahl1, berührt.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die von dem Kammervorsitzenden nach seiner Vorstellung von der Sachlage getroffene Entscheidung selbst nicht willkürlich, sondern zumindest vertretbar war, begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, denn das Bundesverfassungsgericht hat alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort, in seine Überlegungen mit einbezogen7.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss der des Zweitens vom 16. Dezember 2021 – 2 BvR 2076 – /21
- vgl. BVerfGE 17, 294 <299> 48, 246 <254> 82, 286 <296> 95, 322 <327>[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 4, 412 <416, 418> 95, 322 <327> BVerfG, Beschluss vom 23.12.2016 – 2 BvR 2023/16, Rn. 22; Beschluss vom 20.02.2018 – 2 BvR 2675/17, Rn. 16[↩]
- vgl. BVerfGE 138, 64 <86 Rn. 67>[↩]
- vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.> 7, 327 <329> 138, 64 <87 Rn. 71> BVerfG, Beschluss der Zweiten Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2005 – 2 BvR 581/03, Rn. 21[↩]
- vgl. BVerfGE 9, 223 <230 f.> 82, 286 <299> 87, 282 <284 f.> 131, 268 <312> 138, 64 <87 Rn. 71> BVerfG, Beschluss vom 16.02.2005 – 2 BvR 581/03, Rn. 22; Beschluss vom 20.02.2018 – 2 BvR 2675/17, Rn.20[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 327 <329> 9, 223 <230 f.> 131, 268 <312>[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 131, 268 <312> BVerfGK 5, 269 <280> 12, 139 <144> 15, 102 <105>[↩][↩]
- OLG Dresden, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 Ws 95/21 und 3 Ws 96/21[↩]
- LG Leipzig, Beschluss vom 16.09.2021 – 8 KLs 105 Js 24167/20[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 02.06.1981 – 5 StR 175/81, BGHSt 30, 149 <152>; Urteil vom 03.03.1982 – 2 StR 32/82, BGHSt 31, 3 <5>: Urteil vom 05.10.1988 – 2 StR 250/88, BGHSt 35, 366 <373>; Urteil vom 23.01.2002 – 5 StR 130/01, BGHSt 47, 220 <222>; Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, BGHSt 59, 75 <79 Rn. 24>; Beschluss vom 05.08.2021 – 2 StR 307/20[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 286 <299> 87, 282 <284 f.> 131, 268 <312> 138, 64 <87 Rn. 71>[↩][↩]
- vgl. auch Franke, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl.2012, § 338 Rn. 35[↩]
- vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2020 – 2 Ws 36/20 28 ff.; KG, Beschluss vom 27.04.2020 – 4 Ws 29/20 6 ff.[↩]
- vgl. Ritscher, in: BeckOK zur StPO, 41. Edition Stand Oktober 2021, § 222b Rn. 16; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl.2021, § 222b Rn.19[↩]
- BGBl I S. 2121[↩]
- vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.> 89, 1 <13 f.> 96, 189 <203> BVerfG, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 BvR 2054/19, Rn. 35[↩]
Bildnachweis:
- Landgericht Leipzig: Robert Windisch