Zu den Anforderungen an die Annahme einer faktischen Geschäftsführerstellung gegenüber einem abhängigen Unternehmen musste jetzt der Bundesgerichtshof in einem bei ihm anhängigen Strafverfahren wegen Untreue Stellung nehmen. Konkret ging es dabei um die Frage, ob der Angeklagte gegenüber der A. GmbH vermögensbetreuungspflichtig nach § 266 Abs. 1 StGB war:

Grundlage einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB kann neben Gesetz, behördlichem Auftrag oder Rechtsgeschäft auch ein sogenanntes „tatsächliches Treueverhältnis“ sein. Ein solches „tatsächliches Treueverhältnis“ kann dadurch begründet sein, dass der Betreffende die organschaftlichen Aufgaben eines Geschäftsführers übernommen und diese ausgeführt hat1. Daneben kann aus einer tatsächlichen Übernahme eines nicht ganz unbedeutenden Pflichtenkreises – ohne dass eine faktische Organstellung vorliegen muss – eine Vermögensbetreuungspflicht auch dadurch begründet werden, dass der Betreffende diese Interessen wahrnimmt und der Vermögensinhaber auf die pflichtgemäße Wahrnehmung vertrauen darf2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist als Geschäftsführer auch derjenige anzuerkennen, der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat3.
Im hier entschiedenen Fall sah der Bundesgerichtshof dies nicht als gegeben an: Den landgerichtlichen Urteilsgründen lässt sich zwar entnehmen, dass der Angeklagte tatsächlich einen erheblichen Einfluss gegenüber der bestellten Geschäftsführerin der A. GmbH hatte, die nahezu keine eigenständigen Entscheidungen getroffen hat. Dies reicht aber für sich genommen nicht aus, um eine faktische Organstellung zu begründen. Im vorliegenden Fall fehlten dem Angeklagten nämlich die für eine organschaftliche Stellung typischen Befugnisse. Die Feststellungen ergeben nicht, dass er etwa eine Bankvollmacht hatte, oder im Außenverhältnis Pflichten übernahm, die typischerweise mit der Stellung eines Organs verbunden sind (wie etwa gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Finanzbehörden). Sind dem Betreffenden solche Kompetenzen nicht übertragen, spricht dies indiziell gegen die Annahme einer faktischen Geschäftsführung, weil sie zu den Essentialien einer Organstellung zählen4.
Die Urteilsgründe legen nicht dar, dass dem Angeklagten entsprechende auf das Außenverhältnis bezogene Befugnisse jedenfalls faktisch übertragen wurden. Die insoweit pauschale Feststellung, der Angeklagte habe „im Einvernehmen mit der Gesellschafter-GmbH von Anfang an die Stellung des Geschäftsführers“ eingenommen, wird nicht näher begründet. Die Urteilsgründe ergeben zwar, dass der Angeklagte die Geschäftsführerin der A. GmbH eingestellt hat und die Gesellschafterin keinen Einfluss auf die Geschäftsführung der A. GmbH genommen, sondern die Mitangeklagte Ne. zu Fragen der Geschäftsführung auf den Angeklagten verwiesen hat. Die Feststellungen verhalten sich indes nicht dazu, in welchem Verhältnis der Angeklagte zu der Gesellschafterin der A. GmbH stand und aus welchen Gründen und in welchem Umfang ihm eine derartige Machtposition – möglicherweise auch gegenüber der Gesellschafterin – eingeräumt worden sein soll. Dies wäre auch deshalb erörterungsbedürftig gewesen, weil das Landgericht die Anweisungen des Angeklagten zu den rechtgrundlosen Stornierungen als pflichtwidrig gewertet hat, für die kein Einverständnis der Gesellschafterseite bestanden hat.
Allerdings hat die Rechtsprechung es im Einzelfall auch ausreichen lassen, wenn der faktische Geschäftsführer den förmlich bestellten Geschäftsführer anweisen kann und er durch ihn die Geschäftspolitik des Unternehmens tatsächlich bestimmt5. Beruht die Macht des Dritten allein darauf, dass er sich gegenüber dem formellen Geschäftsführer in den wesentlichen unternehmerischen Fragen durchsetzen kann, bedarf das Verhältnis zur Gesellschafterebene vertiefter Betrachtung. Diesem Erfordernis werden die Urteilsgründe gleichfalls nicht gerecht. Dass ein außenstehender Dritter, der weder Mitgesellschafter noch Angestellter ist, sondern vielmehr auf der Seite des – wenngleich wirtschaftlich einflussreichen – Auftraggebers steht, über seine wirtschaftliche Macht als Auftraggeber hinaus ermächtigt ist, die Geschäfte seines Vertragspartners zu führen und damit auch verpflichtet ist, dessen Vermögensinteressen zu schützen, erklärt sich aufgrund der bloß faktischen Einflussnahme nicht selbst. Vielmehr wird in solchen Fällen der Abhängigkeit des Geschäftspartners die übermächtige Vertragsgegenseite häufig die Geschäftstätigkeit des abhängigen Geschäftspartners bestimmen können. Dies genügt aber nicht für die Annahme einer „faktischen Geschäftsführung“, auch weil ansonsten der Angeklagte gegenläufigen Vermögenspflichten, nämlich für den Vertragspartner und das eigene Unternehmen, ausgesetzt wäre. Derjenige, der im Rahmen von schuldrechtlichen Beziehungen jedoch eigene Interessen im Wirtschaftsleben verfolgt, kann nicht die Vermögensinteressen der anderen Vertragspartei wahrnehmen. Deshalb sollen grundsätzlich auch nur fremdnützig typisierte Schuldverhältnisse mit Geschäftsbesorgungscharakter Treuepflichten begründen können6.
Um vorliegend bewerten zu können, dass der Angeklagte im „Einvernehmen“ mit der Gesellschafterin die Geschäfte für die A. GmbH faktisch geführt hat, hätte es einer eingehenden Darlegung der Hintergründe sowie der Art und des Umfanges dieses „Einvernehmens“ bedurft. Maßgeblich ist, dass der Angeklagte in die Gesellschafterebene hinein über ein solches Machtpotential verfügt, das ihn in die Lage versetzt, die Unternehmensentscheidungen zu determinieren. Eine solche weitgehende Beherrschung wird regelmäßig gegeben sein, wenn die Gesellschafterin der A. GmbH für ihn handelt. Dies setzt grundsätzlich entweder eine persönliche Abhängigkeit oder aber ein aus anderen Gründen einverständliches Zusammenwirken mit ihr voraus, die es rechtfertigen, die A. GmbH als gleichsam abhängige und unselbständige Strohmannfirma für das Unternehmen des Angeklagten zu sehen. Nur dann kann dem Angeklagten auch eine weitere Vermögensbetreuungspflicht auferlegt werden7. Ob eine entsprechende Abhängigkeit der Gesellschafterin der A. GmbH oder ein Zusammenwirken mit ihr vorlag, bleibt indes unerörtert und kann ohne nähere Kenntnis der Beziehungen des Angeklagten zur Gesellschafterebene der A. GmbH nicht beurteilt werden.
Unabhängig davon, ob dem Angeklagten aufgrund der Reichweite seiner Einflussnahme tatsächlich eine faktische Organstellung innerhalb der A. GmbH zukam, genügen die bisher getroffenen Feststellungen auch im Übrigen nicht zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht. Zwar knüpft der Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 StGB nicht an die formale Position als Geschäftsführer, sondern an die tatsächliche Verfügungsmacht über ein bestimmtes Vermögen an, wenn damit ein schützenswertes Vertrauen in die pflichtgemäße Wahrnehmung der Vermögensinteressen verbunden ist8. Feststellungen dazu, ob und inwieweit dem Angeklagten das Vermögen der A. GmbH von Seiten ihrer Gesellschafterin unterhalb der Geschäftsführerebene „anvertraut“ worden ist und eine Vermögensbetreuungspflicht besteht, hat das Landgericht indes nicht getroffen. Es kann aus den bereits angeführten Gründen nicht beurteilt werden, ob dem Angeklagten von Gesellschafterebene faktisch eine weitgehende Betriebsführung eingeräumt worden ist oder ob lediglich in einer Vielzahl von Einzelentscheidungen seiner wirtschaftlichen Machtstellung als Organ des praktisch einzigen Geschäftspartners jeweils nachgegeben wurde.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Dezember 2012
- vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 266 Rn. 40, 42; LK/Schünemann, 12. Aufl., § 266 Rn. 61, 65[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1999 – 3 StR 188/99, NStZ 1999, 558[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 24.06.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 37 f., vom 22.09.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118, 122, und vom 10.05.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62, 64 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1997 – 4 StR 323/97, StV 1998, 416; vgl. auch BGH, Urteil vom 25.02.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61[↩]
- vgl. LK/Schünemann, aaO Rn. 75 f.; Fischer, aaO Rn. 38 und vgl. auch BGH, Urteil vom 13.05.2004 – 5 StR 73/03; BGHSt 49, 147, 155, und Beschluss vom 02.04.2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182, 186 f.[↩]
- vgl. zu den Pflichtenstellungen im faktischen GmbH-Konzern: BGH, Urteil vom 10.07.1996 – 3 StR 50/96, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 25[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 10.07.1996 – 3 StR 50/96 aaO, und vom 14.07.1999 – 3 StR 188/99, NStZ 1999, 558, Fischer aaO Rn. 33[↩]