Falsche Verdächtigung durch den Beschuldigten

Mit einer falschen Verdächtigung durch den Beschuldigten in einem Strafverfahren bei bewusst wahrheitswidriger Bezichtigung einer bis dahin unverdächtigen Person hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Falsche Verdächtigung durch den Beschuldigten

Im hier entschiedenen Fall hatte der Angeklagte, indem er im Rahmen des gegen ihn wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz geführten Strafverfahrens bewusst wahrheitswidrig angegeben hatte, die in dem von ihm geführten Pkw aufgefundenen Feuerwerkskörper gehörten seinem Sohn, diesen nach Auffassung des Bundesgerichtshofs vorsätzlich der Begehung einer rechtswidrigen Tat, nämlich einer Straftat gemäß § 40 Abs. 1 SprengG, verdächtigt.

Nach ganz überwiegendem Verständnis ist Verdächtigen das Hervorrufen, Umlenken oder Verstärken eines Verdachts1. Die Tathandlung kann jedenfalls durch das Behaupten von Tatsachen verwirklicht werden, die geeignet sind (§ 152 Abs. 2 StPO), den Verdächtigten einem behördlichen Verfahren auszusetzen2.

Diese Voraussetzungen sind angesichts der konkreten Bezichtigung des Sohns, Eigentümer der im Inland nicht zugelassenen pyrotechnischen Gegenstände zu sein, erfüllt. Da der Angeklagte die bereits während des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen ihn erfolgte Falschbezichtigung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht wiederholt hat, handelt es sich bei den beiden wahrheitswidrigen Verdächtigungen lediglich um eine Tat im Rechtssinne3.

Eine auf zulässiges Verteidigungsverhalten eines Beschuldigten im Strafverfahren oder dessen Selbstbelastungsfreiheit gestützte Einschränkung des Tatbestandes der falschen Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB kommt in der vorliegenden Konstellation nicht in Betracht.

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Ob eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung4 und von Teilen der Strafrechtswissenschaft5 befürwortete Tatbestandseinschränkung für Fallgestaltungen, in denen der Täter wahrheitswidrig eine allein als alternativer Täter in Frage kommende Person ausdrücklich als solchen bezeichnet6, angenommen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – eine Person konkret verdächtigt wird, für deren Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung bis dahin keine Anhaltspunkte bestanden, kommt im Hinblick auf das durch § 164 StGB auch gewährleistete Rechtsgut des Schutzes der innerstaatlichen Strafrechtspflege vor unberechtigter Inanspruchnahme7 eine Tatbestandseinschränkung nicht in Betracht8. Anders als in Fallgestaltungen, in denen außer dem falsch Verdächtigenden überhaupt nur eine weitere Person als Täter der fraglichen rechtswidrigen Tat in Betracht kommt, wird in der hier vorliegenden Konstellation erstmals eine andere Person als vermeintlicher Täter bezichtigt. Erst dadurch werden die Ermittlungsbehörden zu einer auf eine materiell unschuldige und bis zur Falschbezichtigung unverdächtige Person bezogenen Ermittlungstätigkeit veranlasst.

Eine Einschränkung des Tatbestandes von § 164 Abs. 1 StGB in Anwendung auf einen sich durch Falschverdächtigung Dritter verteidigenden Beschuldigten oder Angeklagten lässt in der hier vorliegenden Fallgestaltung auch nicht mit Erwägungen aus der Rechtsprechung zu zulässigem Verteidigungsverhalten im Rahmen der Strafzumessung begründen9. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs strafzumessungsrechtlich die Grenze zulässigen und damit nicht strafschärfend berücksichtigungsfähigen Verteidigungsverhaltens selbst bei unberechtigten Anschuldigungen gegen Dritte noch nicht überschritten10; dies sei vielmehr erst dann der Fall, wenn sich dieses Verhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung erweise11. Diese für die Strafzumessung im Rahmen von § 46 Abs. 2 StGB geltenden Erwägungen können jedoch nicht die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 164 StGB in einer Weise beeinflussen, die mit den Schutzzwecken dieses Tatbestandes nicht mehr vereinbar wäre.

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Die Auslegung von § 164 StGB nach dem Wortlaut, der Systematik – der Gesetzgeber hat für die falsche Verdächtigung anders als in § 258 Abs. 1 und Abs. 5 StGB kein Selbstbegünstigungsprivileg vorgesehen – und dem Schutzzweck spricht gegen eine Einschränkung des Tatbestandes in Konstellationen wie der hier vorliegenden. Mit der durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz (43. StrÄndG)12 erfolgten Einführung von § 164 Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber möglichen Missbräuchen der in § 46b StGB und § 31 BtMG enthaltenen Strafmilderungsmöglichkeiten bei Aufklärungshilfe durch in einem Strafverfahren Beschuldigte entgegen wirken wollen13. Dabei hat er zugrunde gelegt, dass vielfach Falschangaben durch einen Beschuldigten in dem gegen ihn gerichteten Verfahren zum Zwecke der Erlangung von Strafmilderung den Tatbeständen aus § 164 StGB und § 145d StGB unterfallen, deren Strafandrohungen gravierende Fälle aber nur unzureichend erfassen14. Die Entstehungsgeschichte von § 164 Abs. 3 StGB spricht damit ebenfalls gegen eine Einschränkung des Tatbestandes der falschen Verdächtigung bei Falschbezichtigung Dritter durch Beschuldigte oder Angeklagte in gegen sie geführten Strafverfahren.

Die Restriktion könnte sich angesichts dessen lediglich aus übergeordneten verfassungsrechtlichen oder menschenrechtlichen Grundsätzen ergeben, aus denen sich für Beschuldigte bzw. Angeklagte im Strafverfahren ein Recht auf Lüge ableiten ließe15. Solche Grundsätze bestehen jedoch nicht. Die Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) gewährleistet verfassungsrechtlich dem Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren ein umfassendes Recht zu schweigen, um nicht zu seiner Überführung beitragen zu müssen; der Beschuldigte ist durch die Selbstbelastungsfreiheit mithin davor geschützt, auf ihn selbst bezogene Informationen zu generieren16.

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Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, lässt sich aus der einfachgesetzlichen Gewährleistung des Schweigerechts des Angeklagten in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO als Ausprägung der Selbstbelastungsfreiheit zwar keine Wahrheitspflicht aber auch kein „Recht zur Lüge“ ableiten17. Für eine einschränkende Anwendung des § 164 StGB jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation der bewusst wahrheitswidrigen Verdächtigung besteht daher kein tragfähiger Grund18.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Februar 2015 – 1 StR 488/14

  1. vgl. BGH, Urteil vom 13.04.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240, 246; Ruß in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 164 Rn. 5; Zopfs in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 2. Aufl., § 164 Rn.20 jeweils mwN; siehe auch Langer, Gedächtnisschrift für Schlüchter, 2002, S. 361, 366 f.[]
  2. Fischer aaO § 164 Rn. 3; Jeßberger in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 164 Rn. 6; näher Zopfs aaO § 164 Rn. 23 mwN[]
  3. BGH, Beschluss vom 21.11.2012 – 4 StR 427/12, BGHR StGB § 164 Konkurrenzen 2; siehe auch OLG Koblenz, Beschluss vom 06.12 2010 – 2 Ws 480/10 Rn.20[]
  4. etwa BayObLG NJW 1986, 441, 442; OLG Frankfurt DAR 1999, 225; OLG Düsseldorf MDR 1992, 286 f.[]
  5. siehe nur Ruß aaO § 164 Rn. 6 mwN; Jeßberger aaO § 164 Rn. 10[]
  6. gegen Einschränkungen in solchen Fällen etwa Langer aaO S. 367369; Schneider, NZV 1992, 471, 472 ff. jeweils mwN; Fischer aaO § 164 Rn. 3a; näher auch Deutscher, Grundfragen der falschen Straftatverdächtigung [§ 164 Abs. 1 StGB], 1995, S. 127 ff.[]
  7. siehe nur BGH, Beschluss vom 21.11.2012 – 4 StR 427/12, StraFo 2013, 79[]
  8. vgl. Zopfs aaO § 164 Rn. 25 f.; siehe auch Aselmann, Die Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit, 2004, S. 267 f.[]
  9. siehe aber OLG Düsseldorf MDR 1992, 286; krit. Schneider, NZV 1992, 471, 473 f.[]
  10. etwa BGH, Beschluss vom 09.10.2012 – 5 StR 453/12 Rn. 2 bzgl. Alternativtäterschaft[]
  11. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29.01.2013 – 4 StR 532/12, NStZ-RR 2013, 170 f. mwN sowie vom 06.07.2010 – 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692[]
  12. vom 29.07.2009, BGBl. I S. 2288[]
  13. BT-Drs. 16/6268 S. 15 re. Sp.[]
  14. BT-Drs. aaO[]
  15. vgl. insoweit Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 403 f.[]
  16. siehe BVerfGE 56, 37, 49; BVerfGE 109, 279, 324; BVerfGE 133, 168, 201 Rn. 60; näher Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 261264[]
  17. BGH, Beschluss vom 17.03.2005 – 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517, 518 Rn. 10; siehe auch OLG Koblenz, Beschluss vom 06.12 2012 – 2 Ws 480/10 Rn. 13, NStZ-RR 2011, 178 [nur Leitsätze]; zum Meinungsstand bzgl. des „Rechts auf Lüge“ Kölbel aaO S. 25 f.[]
  18. vgl. insoweit auch Kölbel aaO S. 404, siehe aber auch ders. aaO S. 493[]
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