Fehlende Fristenkenntnisse beim Verteidiger

Wer von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, ist nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO „verhindert, eine Frist einzuhalten“. Dies gilt auch dann, wenn die Verteidigerin wegen Unkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Zulässigkeit und damit die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels falsch eingeschätzt hat; in einer solchen Unkenntnis liegt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO.

Fehlende Fristenkenntnisse beim Verteidiger

Mit dieser Begründung hat der Bundesgerichtshof in dem hier vorliegenden Fall den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 7. März 2012 verworfen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier rechtlich zusammentreffender Fälle des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt, eine Maßregel nach § 69a StGB angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der Angeklagte hat durch seine Verteidigerin am 14. März 2012 Revision eingelegt, die er auf die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beschränkt hat. Am 16. März 2012 hat er – wiederum über seine Verteidigerin – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist beantragt und zugleich erneut Revision, nunmehr beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt, eingelegt. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags hat er im Wesentlichen darauf abgestellt, seiner Verteidigerin sei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit einer auf die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB beschränkten Revision nicht bekannt gewesen, was ihm nicht zugerechnet werden könne.

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Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hat der Angeklagte innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO keine zulässige Revision eingelegt. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist wirksam, führt aber zu dessen Unzulässigkeit1, und die Erweiterung einer beschränkt eingelegten Revision ist nur bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist wirksam möglich2.

Der Angeklagte hatte sich jedoch zunächst – das zeigt auch die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags, mit der er zum Ausdruck bringt, sich letztlich nach wie vor allein gegen die Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB zu wenden – bewusst dafür entschieden, den Urteilsspruch im Übrigen von seinem Revisionsangriff auszunehmen; wer aber von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, ist nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO „verhindert, eine Frist einzuhalten“3. Dies gilt auch dann, wenn die Verteidigerin wegen Unkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Zulässigkeit und damit die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels falsch eingeschätzt hat; in einer solchen Unkenntnis liegt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO4.

Da mithin die Revision nicht zulässig eingelegt wurde, war sie gemäß § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 4 StR 238/12

  1. BGH, Beschlüsse vom 13.06.1991 – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 5, 7; vom 02.12.2010 – 4 StR 459/10, NStZ-RR 2011, 255[]
  2. BGH, Beschluss vom 27.10.1992 – 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366[]
  3. BGH, Beschluss vom 19.06.2012 – 3 StR 194/12 m.w.N.[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 01.04.2010 – 4 StR 637/09, NStZ-RR 2010, 244; vom 20.09.2005 – 5 StR 354/05, wistra 2006, 28; vom 31.08.2005 – 2 StR 308/05, wistra 2005, 468; vom 10.08.2000 – 4 StR 304/00, NStZ 2001, 160[]
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