Fehlgeschlagene Verständigungsgespräche vor der Hauptverhandlung

Von – in der Hauptverhandlung gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO mitteilungspflichtigen – verständigungsbezogenen Erörterungen ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen.

Fehlgeschlagene Verständigungsgespräche vor der Hauptverhandlung

Dies wiederum ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt1.

Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen2.

Gegenstand solcher unverbindlichen Erörterungen kann insbesondere der in einem Rechtsgespräch erteilte Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses sein3.

Auf einen solchen Hinweis beschränkte sich im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die hier in Rede stehende Äußerung des Vorsitzenden der Strafkammer indes nicht: Es entspricht zwar der Rechtslage, dass ein Geständnis strafmildernd zu berücksichtigen ist und deshalb auch in die alle Umstände des Einzelfalles in den Blick nehmenden Abwägung einzustellen ist, ob die konkret zu verhängende Strafe aus dem Regelstrafrahmen oder demjenigen für einen minder schweren Fall zugemessen werden soll. Vorliegend war diesem Hinweis indes vorausgegangen, dass der Verteidiger für den Angeklagten erklärt hatte, es komme nur eine Verständigung auf eine Bewährungsstrafe in Betracht. Angesichts der drohenden – und letztlich auch ausgesprochenen – Verurteilung wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit bandenmäßigem Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die jedenfalls für die zwei Fälle des täterschaftlichen bandenmäßigen Herstellens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zur Anwendung des Regelstrafrahmens des § 30a Abs. 1 BtMG mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe führen konnte, war eine aussetzungsfähige (Gesamt) Freiheitsstrafe ohnehin nur bei Annahme eines minder schweren Falls zu erreichen. Es lag daher nicht fern, die Äußerung des Vorsitzenden so zu verstehen, dass er damit – jedenfalls durch schlüssiges Verhalten – das von der Verteidigung angestrebte Verfahrensergebnis in einen synallagmatischen Zusammenhang mit einem prozessualen Verhalten – dem Geständnis des Angeklagten – brachte; dadurch wurde die Mitteilungspflicht, die auch in Zweifelsfällen eingreift4, vorliegend begründet.

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Verständigungsversuche im Strafverfahren - und die Mitteilungspflicht

Auf dem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Der Bundesgerichtshof kann nicht ausschließen, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bei vollständiger Mitteilung der vor der Hauptverhandlung stattgefundenen Gespräche anders agiert, insbesondere weitere Anträge gestellt und sich nicht mit der beschriebenen Verfahrensweise, die durch einen weitgehenden Verzicht auf originäre Beweismittel und schnelle Erledigung der Sache geprägt war, einverstanden erklärt hätte.

Dies gilt im vorliegenden Fall zwar nicht mit Blick auf die ersten Telefonate, mit denen der Vorsitzende die Verständigungsbereitschaft der Verfahrensbeteiligten sondierte. Diese waren dem sachbearbeitenden Staatsanwalt bekannt; sein Wissen ist der Staatsanwaltschaft als Behörde zuzurechnen, ohne dass es auf den Kenntnisstand der Sitzungsvertreterin im Einzelnen ankommt. Von dem weiteren Gespräch, in dem es um die Möglichkeit der Annahme eines minder schweren Falls und der Verhängung einer Bewährungsstrafe ging, hatte die Staatsanwaltschaft indes insgesamt keine Kenntnis.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Juli 2016 – 3 StR 153/16

  1. BGH, Urteil vom 23.07.2015 – 3 StR 470/14 aaO, mwN[]
  2. BGH, Beschluss vom 14.04.2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535, 536[]
  3. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 228; BGH aaO[]
  4. vgl. BVerfG aaO, S. 216 f.[]