Förderung eines Strafverfahrens im Stadium des gerichtlichen Zwischenverfahrens

Der Grundsatz, dass mit dem Erlass oder der Aufrechterhaltung eines Haftbefehls, die einen dringenden Tatverdacht voraussetzen, zugleich Entscheidungsreife hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens eintritt1, greift nicht, wenn sich die Anklage auf eine von den bisherigen Haftentscheidungen zum Nachteil des Beschwerdeführers abweichende rechtliche Würdigung des Tatgeschehens (hier: Mord statt Totschlag) stützt.

Förderung eines Strafverfahrens im Stadium des gerichtlichen Zwischenverfahrens

Die Erwägung, der zu Lasten des Beschwerdeführers wirkende Umstand, dass die Anklage nicht nur auf Totschlag, sondern auf den schwerwiegenderen Vorwurf des Mordes lautet, veranlasse zu besonders gründlicher Prüfung der Eröffnung des Hauptverfahrens, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Erwägung, angesichts des im Kern identischen Vorwurfs eines Tötungsdelikts könne der Frage, ob ein Mordmerkmal vorliege, keine entscheidende Bedeutung zukommen, belegt ebenfalls keine aktuelle Eröffnungsreife, zumal eine von der Anklage abweichende rechtliche Würdigung der Tat nach § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO von Gesetzes wegen zum Inhalt eines Eröffnungsbeschlusses gehört.

Anlass und Inhalt der im vorliegenden Fall vom Landgericht zwecks Prüfung der Eröffnungsreife in Auftrag gegebenen ergänzenden Ermittlungen erscheinen nicht willkürlich. Das Beschwerdevorbringen setzt sich jedenfalls nicht damit auseinander, welche Relevanz diesen Ermittlungen für die Beurteilung zukommt, ob ein hinreichender Tatverdacht auch für das Tatmotiv der Habgier besteht. Aufgrund dieses Begründungsdefizits und mangels Kenntnis der Verfahrensakten ist dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit einer von der Wertung der Tatgerichte abweichenden eigenen Beurteilung der Eröffnungsreife versperrt.

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Der sich einer Überprüfung ebenfalls entziehende Hinweis, das Landgericht habe bereits aufgrund des im Rahmen vorangegangener Haftentscheidungen eingehend zu prüfenden Akteninhalts erkennen können, dass die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer im Fall der Anklageerhebung abweichend vom Haftbefehl ein Handeln aus Habgier anlasten könnte, zielt auf eine Beschleunigungsobliegenheit ab, die sich aus der Verfassung nicht ableiten lässt.

Die Annahme, dass selbst im Fall einer auch nach Auffassung der angegriffenen Entscheidungen eröffnungsreifen Anklage nur wegen Totschlags ein Beginn der Hauptverhandlung aufgrund der Auslastung der zuständigen Kammer und der Verhinderung von Sachverständigen erst ab der 42. Kalenderwoche (15.10.2019) möglich wäre, stellt eine hypothetische Alternativbetrachtung dar, der für die Beurteilung im vorliegenden Verfahren keine Bedeutung zukommt.

Der seit Eingang der Anklage am 5.04.2019 verstrichene Zeitraum lässt in Anbetracht der Bedeutung des Verfahrens und seines Umfangs, insbesondere der Anzahl der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 29.03.2019 aufgelisteten Personal- und Sachbeweise, auch im Übrigen nicht den Schluss zu, das Landgericht betreibe die Prüfung der Eröffnung des Hauptverfahrens und dessen Vorbereitung nicht mit der gebotenen Beschleunigung. Das Beschwerdevorbringen vermittelt auch keine Kenntnis von Umständen, die belegen, dass die fehlende Eröffnungsreife und die Notwendigkeit der im Zwischenverfahren durch das Gericht veranlassten ergänzenden Ermittlungen auf ein Versäumnis der Ermittlungsbehörden zurückzuführen sind und dadurch eine dem Beschwerdeführer nicht anzulastende Verfahrensverzögerung eintritt.

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Auch die Gesamtdauer von nahezu 13 Monaten, die die Untersuchungshaft zum geplanten Beginn der Hauptverhandlung am 15.10.2019 bereits andauern wird, ist unter Berücksichtigung des vom Landgericht Augsburg; und vom Oberlandesgericht München dargelegten Verfahrensumfangs im konkreten Fall verfassungsrechtlich noch hinnehmbar. Insbesondere war das Landgericht von Verfassungs wegen nicht gehalten, die mit der Sache seit dem Stadium des Ermittlungsverfahrens vertrauten Sachverständigen auszutauschen, um die Hauptverhandlung statt in der 42. bereits in der 40. Kalenderwoche beginnen zu können. Darin liegt eine allenfalls unerhebliche Verfahrensverzögerung, die überdies sachlich gerechtfertigt ist.

Auf die Frage, ob die ab Beginn der Hauptverhandlung geplante Verhandlungsdichte geeignet wäre, eine etwaige vorherige Verzögerung zu kompensieren, kommt es daher nicht an. Für sich genommen ist sie mit mehr als einem geplanten Verhandlungstag je Woche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sollte sich im weiteren Verlauf indes eine Verzögerung des Verfahrens einstellen, wird die zuständige Strafkammer gehalten sein, diese durch eine gesteigerte Verhandlungsdichte zu kompensieren. Hierzu bietet sich eine vorausschauende künftige Terminierung der bei der Strafkammer anhängigen Strafverfahren an, die Raum für eine nachträgliche Verdichtung der bisherigen Terminierung im vorliegenden Verfahren lässt.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Juli 2019 – 2 BvR 1108/19

  1. vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 2 BvR 2781/10, Rn. 15[]