§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Körperverletzung begeht. Das ist bei einem Unterlassen durch zwei Garanten nicht der Fall.

Dieser Qualifikationstatbestand setzt voraus, dass der Täter die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Ob die Voraussetzungen dieser Strafvorschrift auch bei einem Unterlassen durch zwei Garanten erfüllt sind, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden. Nach der Rechtsprechung kommt eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB allerdings dann nicht in Betracht, wenn neben dem aktiv handelnden Täter der Körperverletzung dem Opfer nur eine weitere Person gegenübersteht, die sich rein passiv verhält1.
Reicht aber die bloße Anwesenheit einer weiteren Person am Tatort neben einem aktiv handelnden Täter zur Erfüllung des Tatbestandes von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht aus, kann die Untätigkeit eines weiteren Garanten bei einer allein durch Unterlassen begangenen Körperverletzung erst recht nicht zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen. Diese Auslegung ergibt sich maßgeblich aus Sinn und Zweck der Vorschrift.
Der Wortlaut der Bestimmung gibt keine abschließende Auskunft über die Art und Qualität der Tatbeteiligung. Einerseits setzt sie eine „gemeinschaftlich“ begangene Tat voraus, was auf eine Voraussetzung einer mittäterschaftlichen Begehung hinweisen könnte; andererseits verlangt sie die Mitwirkung eines weiteren „Beteiligten“, worunter sowohl Täter als auch Teilnehmer (§ 28 Abs. 2 StGB) in beliebiger Konstellation, also grundsätzlich auch durch Unterlassen, verstanden werden können2. Der Qualifikationstatbestand des Besonderen Teils hat mit den genannten Begriffen nicht bestimmte Teilnahmeformen oder Begehungsarten des Allgemeinen Teils aufgenommen, sondern eigene Tatbestandvoraussetzungen formuliert, die eigenständig auszulegen sind3.
Die Materialien zum Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts4 haben sich zur Auslegung des damals neu gefassten Qualifikationstatbestands nicht geäußert5.
Für die Frage, welche Art und Qualität der Beteiligungshandlung zur Tatbestandserfüllung vorauszusetzen ist, bleiben danach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung maßgebend6. Das gilt auch für die Frage, ob der Qualifikationstatbestand durch ein unechtes Unterlassungsdelikt erfüllt werden kann. Der Normzweck spricht gegen eine Qualifikation der Körperverletzung durch alleiniges Unterlassen zweier Garanten7.
Der Grund für die Qualifikation der Körperverletzung in Fällen, in denen ein Täter („Wer“) die Körperverletzung „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ begeht, besteht in der besonderen Gefahr für das Opfer, dass es bei der Konfrontation mit einer Übermacht psychisch oder physisch in seinen Abwehr- oder Fluchtmöglichkeiten beeinträchtigt wird8, ferner in der Gefahr der Verursachung erheblicher Verletzungen infolge der Beteiligung mehrerer Personen an der Körperverletzung9. Diese Gefahren bestehen in einer Weise, welche die Erhöhung des Strafrahmens rechtfertigt, nur dann, wenn bei der Begehung der Körperverletzung zwei oder mehr Beteiligte am Tatort anwesend sind und bewusst durch aktive Tatbeiträge mitwirken10.
Die bloße Anwesenheit von Personen, die passiv bleiben, rechtfertigt daher die erhöhte Strafdrohung nicht. Das Unterlassen entspricht nicht einer Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes durch ein Tun (§ 13 Abs. 1 StGB).
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Januar 2023 – 2 StR 459/21
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.07.2015 – 3 StR 261/15, StraFo 2015, 478; Beschluss vom 10.01.2017 – 3 StR 278/16, StV 2017, 387[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.09.2002 – 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383, 386[↩]
- vgl. Küper, GA 2003, 383, 374 ff.[↩]
- 6. StrRG vom 26.01.1998, BGBl. I S. 164[↩]
- vgl. BT-Drs. 13/8587 S. 36 f.; 13/9064 S. 15 f.[↩]
- vgl. BGH aaO, BGHSt 47, 383, 386[↩]
- vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, 55. Ed., § 224 Rn. 39; LK/Grünewald, aaO § 224 Rn. 33; MünchKomm-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 38; Otto, NStZ 1989, 531; NK-StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl., § 224 Rn. 26; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 11b; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 224 Rn. 35[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.09.2002 – 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383, 387; BGH, Beschluss vom 30.06.2015 ? 3 StR 171/15, NStZ 2015, 584, 585[↩]
- vgl. Deutscher, NStZ 1990, 125, 127; LK/Grünewald, StGB, 12. Aufl., § 224 Rn. 29; Heinrich, JR 2003, 213, 214; Küper, GA 2003, 383, 368; SSW-StGB/Momsen-Pflanz/Momsen, 5. Aufl., § 224 Rn. 24[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.12.2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573; Beschluss vom 25.07.2017 – 3 StR 113/17, NStZ 2017, 640 f.[↩]