Gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren

Der grundrechtliche Anspruch auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren1, wo die Grundrechtsberechtigten nicht selbst dazu in der Lage sind.

Gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren

Ein Anspruch auf bestimmte; vom Einzelnen einklagbare Maßnahmen folgt daraus jedoch grundsätzlich nicht. Insbesondere kennt die Rechtsordnung in der Regel keinen grundrechtlich radizierten Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter2.

Die wirksame Verfolgung von Gewaltverbrechen und vergleichbaren Straftaten stellt allerdings eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG dar3. Ein solcher Anspruch auf effektive Strafverfolgung kommt unter anderem in Fällen in Betracht, in denen der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben. Ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten kann zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen. Daher muss bereits der Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird oder insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt werden4.

Die Verpflichtung zu effektiver Strafverfolgung bezieht sich auf das Tätigwerden aller Strafverfolgungsorgane. Ihr Ziel ist es, eine wirksame Anwendung der zum Schutz des Lebens, der körperlichen Integrität, der sexuellen Selbstbestimmung und der Freiheit der Person erlassenen Strafvorschriften sicherzustellen. Es muss insoweit gewährleistet werden, dass Straftäter für von ihnen verschuldete Verletzungen dieser Rechtsgüter auch tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden5.

Vielfach genügt es hierfür, wenn die Strafverfolgungsbehörden mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Sachverhalt aufklären und Beweismittel sichern6. Die Erfüllung der Verpflichtung zur effektiven Strafverfolgung setzt eine detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs ebenso voraus wie eine nachvollziehbare Begründung der Einstellungsentscheidungen.

In einem solchen Fall kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot verstoßen:

Die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall sind grundsätzlich Sache der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ein verfassungsrechtliches Eingreifen kommt unter dem Gesichtspunkt des in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegten Willkürverbots allerdings dann in Betracht7, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar erscheinen und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht8. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Entscheidung auf schweren Rechtsanwendungsfehlern wie der Nichtberücksichtigung einer offensichtlich einschlägigen Norm, der krassen Missdeutung einer Norm oder der sonst nicht mehr nachvollziehbaren Anwendung einer Norm beruht9.

Dass die vom Anzeigenerstatter geltend gemachten Amtshaftungsansprüche unter Verweis auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens abgelehnt worden sind, führt insoweit zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Anzeigenerstatter kann zur Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen nicht von Verfassungs wegen die strafrechtliche Verfolgung des Beschuldigten verlangen. Vielmehr enthalten das Straf- und das Staatshaftungsrecht voneinander unabhängige Regelungsregime mit unterschiedlichen Regelungszwecken.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Mai 2019 – 2 BvR 2630/18

  1. vgl. BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 121, 317, 356; BVerfGK 17, 1, 5[]
  2. vgl. BVerfGE 51, 176, 187; 88, 203, 262 f.; BVerfGK 17, 1, 5; BVerfG, Beschluss vom 09.04.2002 – 2 BvR 710/01, NJW 2002, S. 2861, 2861 f.; Beschluss vom 19.05.2015 – 2 BvR 987/11, NJW 2015, S. 3500, 3501 Rn. 18[]
  3. vgl. BVerfGK 17, 1, 5[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2015 – 2 BvR 987/11, NJW 2015, S. 3500, 3501 Rn. 22[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2014 – 2 BvR 2699/10, Rn. 13; Beschluss vom 06.10.2014 – 2 BvR 1568/12, NJW 2015, S. 150, 151 Rn. 14; Beschluss vom 23.03.2015 – 2 BvR 1304/12, Rn. 16; Beschluss vom 19.05.2015 – 2 BvR 987/11, NJW 2015, S. 3500, 3501 Rn. 23[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2014 – 2 BvR 2699/10, Rn. 14; Beschluss vom 06.10.2014 – 2 BvR 1568/12, NJW 2015, S. 150, 151 Rn. 15; Beschluss vom 23.03.2015 – 2 BvR 1304/12, Rn. 17[]
  7. vgl. BVerfGE 74, 102, 127; stRspr[]
  8. vgl. BVerfGE 80, 48, 51; 83, 82, 84; 86, 59, 63; BVerfG, Beschluss vom 04.10.2017 – 2 BvR 821/16, Rn. 15[]
  9. vgl. BVerfGE 87, 273, 279; BVerfG, Beschluss vom 07.03.2017 – 2 BvR 162/16, Rn. 28[]