Homophobie als niedriger Beweggrund?

Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen.

Homophobie als niedriger Beweggrund?

Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen1.

Ein allein an die sexuelle Orientierung anknüpfender Tatantrieb kann einen niedrigen Beweggrund darstellen.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war das Tatmotiv der (heterosexuellen) Angeklagten hingegen Wut und Empörung über die sexuellen Avancen ihres (homosexuellen) Zimmergenossen. Diese Gefühle beruhten einerseits auf ihrer (latenten) Homophobie, wurden aber – so das Schwurgericht – überlagert von der Erregung über die von ihnen als bedrängend empfundene sexuelle Belästigung durch den angebotenen Geschlechtsverkehr. Da beim Vorliegen eines Motivbündels die vorsätzliche Tötung aber nur dann auf niedrigen Beweggründen beruht, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist, war dem Landgericht vorliegend die Annahme des Mordmerkmals verwehrt2. Anders als die Staatsanwaltschaft meint, hat das Landgericht mithin keine „Zweiteilung“ oder „Aufspaltung“ der Motivlage vorgenommen, sondern den zutreffenden rechtlichen Maßstab an die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei Vorliegen eines Motivbündels angelegt.

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Das Landgericht Berlin hat in der Vorinstanz3 die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle maßgeblichen Faktoren einbezogen. Insbesondere durfte und musste es berücksichtigen, dass die Angeklagten bis zu den sexuellen Avancen freundlich, entspannt und frei von Aversionen mit J. R. umgingen, obgleich sie angesichts seines Auftretens und Erscheinungsbildes schon zuvor von dessen Homosexualität ausgegangen waren. Dass das Schwurgericht dies als gegen die Homophobie der Angeklagten als bewusstseinsdominantes Tötungsmotiv sprechenden Umstand herangezogen hat, ist als möglicher Schluss revisionsrechtlich hinzunehmen. Soweit die Nebenklage in diesem Zusammenhang vorträgt, dass die Homophobie das Hauptmotiv der Angeklagten gewesen sei, setzt sie – revisionsrechtlich unbeachtlich – ihre eigene Wertung an die des Tatgerichts. Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung zum Tatmotiv nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch das Tatbild ausreichend berücksichtigt4.

Für den Bundesgerichtshof begegnete zugleich die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB keinen rechtlichen Bedenken. Die Berücksichtigung des nach der eigentlichen Tötung liegenden, aber zur Tat gehörenden Verhaltens der Angeklagten ist nicht zu beanstanden (vgl. § 46 Abs. 2 StGB). Zudem ist anerkannt, dass bei der nach § 57a StGB vorzunehmenden Prüfung der besonderen Schwere der Schuld sogar ein echtes Nachtatverhalten berücksichtigt werden darf5.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Januar 2020 – 5 StR 407/19

  1. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13.02.2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330, 331 mwN[]
  2. vgl. BGH, Urteile vom 09.09.2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; vom 14.12 2006 – 4 StR 419/06, StraFo 2007, 123, 124[]
  3. LG Berlin, Urteil vom 06.11.2018 – 234 Js 31/16 (522 Ks) (5/17) []
  4. vgl. dazu BGH, Urteil vom 22.10.2014 – 5 StR 380/14, BGHSt 60, 52, 55[]
  5. BGH, Urteil vom 18.06.2014 – 5 StR 60/14[]
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