Um den sozialen Bedeutungsgehalt der Bedenklichkeit eines Arzneimittels zu erfassen, bedarf es auch der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind. Diese muss der Täter nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre richtig in sein Vorstellungsbild aufgenommen haben, um einen Vorsatzschuldvorwurf zu begründen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind [1]. Dabei hat das Revisionsgericht die tatgerichtliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre [2]. Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt [3].
Ein solcher Rechtsfehler lag im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht vor:
Die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte von einer heilenden Wirkung der Präparate ausging, ist tragfähig belegt. Insbesondere hat sich das Landgericht bei der Würdigung des Vorstellungsbildes des Angeklagten mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt. So hat es auch die gegen eine heilende Wirkung sprechenden und dem Angeklagten bekannten Aspekte – die Hinweise des Lieferanten auf die Giftigkeit der Ausgangsstoffe, den stechenden Chlorgeruch der Präparate, der zu Beeinträchtigungen geführt habe, sowie die von ihm selbst in der Packungsbeilage aufgeführten möglichen Wirkungen wie Übelkeit und Erbrechen – in den Blick genommen. Dass es sich angesichts der Einnahme durch den Angeklagten selbst und seines verbesserten Befindens, was es durch den vom Sachverständigen für möglich erachteten PlaceboEffekt gestützt sah, den wiederholten Bestellungen einiger Verbraucher und dem Ausbleiben von negativen Rückmeldungen dennoch davon überzeugt hat, der Angeklagte habe diese schädlichen Wirkungen als „hinnehmbare Nebenwirkung“ für die von ihm angenommenen positiven Effekte – eine Abtötung krankheitsauslösender Keime im Körper – angesehen, ist ein möglicher Schluss und revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Dass das Landgericht auf dieser Grundlage, nämlich dem Vertrauen auf eine heilende Wirkung, nicht von einem vorsätzlichen Handeln bei dem Inverkehrbringen ausgegangen ist, erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei.
Das Landgericht hat im vorliegenden Fall die Präparate MMS und MMS2 zutreffend als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des § 5 Abs. 2 AMG eingeordnet. Danach sind Arzneimittel bedenklich, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen [4]. Das Merkmal der Vertretbarkeit ist ein wertausfüllungsbedürftiger Begriff, der dahin auszulegen ist, dass darunter solche schädlichen Wirkungen fallen, denen ein überwiegender therapeutischer Nutzen gegenübersteht [5]. Dies setzt sowohl eine Bewertung der schädlichen Wirkungen als auch des therapeutischen Nutzens nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und eine Abwägung zwischen diesen beiden Elementen, mithin von Risiko und Nutzen voraus [6].
Sachverständig beraten hat das Landgericht solche schädigenden Wirkungen der Präparate festgestellt, angesichts eines fehlenden therapeutischen Nutzens waren diese auch nicht vertretbar.
Zu Recht hat das Landgericht die Vorsatzprüfung auf die beiden oben dargelegten Elemente der Bedenklichkeit bezogen. Denn diese ergibt sich nicht allein aus der Schädlichkeit der Wirkungen. Deswegen genügt – anders als vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten – das Wissen um mögliche schädliche Wirkungen für sich genommen nicht, um das Wissenselement des Vorsatzes zu erfüllen. Um den sozialen Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals der Bedenklichkeit zu erfassen, bedarf es vielmehr auch der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind, mithin des therapeutischen Nutzens der Arzneimittel. Diese müsste der Angeklagte nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre richtig in sein Vorstellungsbild aufgenommen haben, um einen Vorsatzschuldvorwurf zu begründen.
Auf der Grundlage der Feststellungen unterlag der Angeklagte allerdings einem Irrtum über den therapeutischen Nutzen der Präparate. Sein Irrtum bezog sich nicht auf eine rechtliche Wertung, wie sie in der Abwägung zwischen zutreffend erkanntem Risiko und Nutzen zu sehen ist. Vielmehr konnte er aufgrund einer Verkennung von tatsächlichen Umständen ein Merkmal des Tatbestands, nämlich das nicht vertretbare Maß der schädlichen Wirkungen, noch nicht einmal in seiner Laiensphäre inhaltlich zutreffend nachvollziehen. Ihm fehlte damit die vollständige Tatbestandskenntnis, er unterlag einem Tatbestandsirrtum [7].
Aus den Feststellungen zu den dem Angeklagten bewussten möglichen schädlichen Wirkungen der Präparate – reizende bis ätzende Wirkung, Durchfall und Erbrechen – ergibt sich nicht, dass diese bei bestimmungsgemäßem Gebrauch [8], also der empfohlenen Dosis derart zu gewichten wären, dass sie auch bei Annahme eines therapeutischen Nutzens, wie er vom Angeklagten irrtümlich angenommen wurde, außer Verhältnis gestanden hätten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Juli 2019 – – 1 StR 107/18
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 28.02.2019 – 1 StR 604/17 58; und vom 11.02.2016 – 3 StR 436/1520[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 02.02.2017 – 4 StR 423/16 8; und vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14 8[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13.07.2016 – 1 StR 94/16 9 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 19.09.2017 – 1 StR 72/17 15; Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl., § 5 Rn. 12, 27[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.08.1999 – 2 StR 44/99 2 mwN[↩]
- BGH aaO; Hofmann aaO Rn. 28[↩]
- vgl. hierzu Raum in Kügel/Müller/Hofmann, aaO, vor § 95 Rn. 17 ff.; Radtke in Gedächtnisschrift für Joecks, 2018, S. 543, 549 mwN[↩]
- vgl. Raum, aaO, § 95 Rn. 15[↩]
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