Keine hochgradige Gefahr bei der Therapieunterbringung?

Auf den Tatbestand des § 1 Therapieunterbringungsgesetz ist nach Ansicht des Oberlandesgerichts Nürnberg der in Fällen der nachträglichen oder über zehn Jahre hinaus verlängerten Sicherungsverwahrung anzulegende strenge Maßstab der „hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ nicht zu übertragen.

Keine hochgradige Gefahr bei der Therapieunterbringung?

So hat das Oberlandesgericht Nürnberg aktuell in einem Beschluss nach § 1 ThUG die vorläufige Unterbringung eines Betroffenen, der erst vor Kurzem wegen des Verbots der rückwirkenden Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung aus der Unterbringung entlassen worden war, angeordnet. Das Oberlandesgericht stellte dabei fest, dass der gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzuwendende strenge Maßstab der „hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“, der allein eine Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung rechtfertigt, im Bereich von § 1 Abs. 1 ThUG keine Anwendung findet. Hier sei vielmehr ausreichend, dass gravierende Straftaten aufgrund psychischer Störung drohen. Diese Voraussetzung lag bei dem Betroffenen vor. Der Betroffene ist zwischenzeitlich in Nordrhein-Westfalen der vorläufigen Unterbringung zugeführt worden.

Das Oberlandesgericht hatte sich dabei mit dem Fall eines vielfach vorbestraften 62-jährigen Mannes zu befassen, der im Jahr 1997 wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt und gegen den daneben die Sicherungsverwahrung angeordnet worden war. Diese wurde nach Verbüßung der Strafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollzogen. Nach mehr als zehnjährigem Vollzug der Unterbringung war der Betroffene Anfang Juli 2011 schließlich auf Grundlage der neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts und im Lichte einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht der Sicherungsverwahrung in die Freiheit entlassen worden.

Weiterlesen:
El-Masri, al-Qaida und die CIA

Die Justizvollzugsanstalt Straubing hatte bereits Anfang des Jahres die vorläufige Unterbringung des Betroffenen nach dem erst zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Therapieunterbringungsgesetz beantragt und war mit diesem Antrag bei dem Landgericht Regensburg gescheitert. Dieses hatte die Zurückweisung des Antrags im Wesentlichen damit begründet, dass unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 auch eine Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG nur dann zulässig sei, wenn von dem Betroffenen aufgrund seiner psychischen Störung eine hochgradige Gefahr „schwerster“ Gewalt- oder Sexualdelikte ausgeht. Da beim Betroffenen nur „gravierende“ und nicht schwerste Sexualstraftaten zu befürchten seien, dürfe keine vorläufige Unterbringung nach § 14 ThUG angeordnet werden.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde der Justizvollzugsanstalt, über die nunmehr das Oberlandesgericht Nürnberg zu entscheiden hatte und das die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung im Sinne des § 2 ThUG sowie die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung anordnete.

In seiner Begründung vertrag das Oberlandesgericht Nürnberg die Auffassung, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts der in Fällen der nachträglich angeordneten oder über zehn Jahre hinaus verlängerten Sicherungsverwahrung anzulegende Maßstab der hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten nicht auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 ThUG zu übertragen ist. Hiergegen spräche nicht nur, dass das Bundesverfassungsgericht diesen strengen Maßstab in der Entscheidung vom 4.5.2011 ausdrücklich nur für den weiteren Verbleib der Altfälle in der Sicherungsverwahrung gefordert hat, sondern auch, dass eine Übertragung dieses Maßstabs im Ergebnis dazu führen würde, dass für das Therapieunterbringungsgesetz kein Anwendungsbereich verbleibt und dessen Vorschriften gänzlich leerlaufen. Dieses Ergebnis aber stünde in Widerspruch zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- oder Sexualstraftäter gerade auch in den Fällen, in denen solche Täter wegen des Rückwirkungsverbotes aus dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten, anstrebte.

Weiterlesen:
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 21. Juli 2011 – 15 W 1400/11 ThUG