Ein milderes Gesetz im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB ist allein eine privilegierende lex specialis. Diese Voraussetzung erfüllt § 184c Abs. 1 StGB (jugendpornografische Inhalte) im Verhältnis zu § 184b Abs. 1 StGB (kinderpornografische Inhalte) nicht.

In dem hier entschiedenen Fall hatte das Landgericht den Angeklagten, der das Opfer irrtümlich für bereits 14 Jahre alt gehalten hatte, erstinstanzlich in zwei Fällen jeweils wegen Herstellens einer jugendpornographischen Schrift verurteilt. Zwar sei der objektive Tatbestand des § 184c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 1 a)) StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 21.01.2015 (im Folgenden: aF) in beiden Fällen objektiv nicht vollständig erfüllt, da die pornographische Schrift nicht eine sexuelle Handlung von einer Person zum Gegenstand hatte, die das vierzehnte Lebensjahr bereits vollendet, aber noch nicht achtzehn Jahre alt war. Ungeachtet der Fehlvorstellung des Angeklagten über das Alter des Tatopfers sei aber in Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB von einer vollendeten Tat auszugehen. Dabei hat das Landgericht im Anschluss an eine in der Literatur verbreitete Auffassung1 § 184c Abs. 1 StGB aF als einen im Verhältnis zu § 184b Abs. 1 StGB aF milderen Tatbestand im Sinne dieser Irrtumsvorschrift angesehen.
Dies hielt der rechtlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand:
§ 16 Abs. 2 StGB ist entgegen der Auffassung des Landgerichts in der hier gegebenen Fallkonstellation nicht anwendbar. Unter einem milderen Gesetz im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB ist allein eine privilegierende lex specialis zu verstehen, also ein Straftatbestand, der alle Merkmale des Grundtatbestands sowie ein weiteres privilegierendes Merkmal enthält. Diese Voraussetzungen liegen im Verhältnis der §§ 184b und 184c StGB nicht vor. Der Angeklagte hat sich nur wegen versuchter Herstellung einer jugendpornografischen Schrift gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 5 StGB in der Fassung vom 27.01.2015 strafbar gemacht.
§ 16 Abs. 2 StGB ist unter Berücksichtigung von Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihrer systematischen Stellung sowie des mit ihr verfolgten Zwecks eine privilegierende Vorschrift für Täter in einer speziellen Irrtumskonstellation.
§ 16 Abs. 2 StGB ist durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts2 mit Wirkung zum 1.01.19753 in das Strafgesetzbuch eingeführt worden. Zuvor gab es keine vergleichbare Regelung. Mit dieser Vorschrift wurde die bis dahin vorherrschende, mit unterschiedlichen Begründungen praeter legem vertretene Auffassung zum Gesetz erhoben4, wonach ein Täter, der einen Grundtatbestand vorsätzlich verwirklicht und dabei irrtümlich von (weiteren) Umständen ausgeht, die eine privilegierende Strafnorm erfüllen, nicht nach dem Grundtatbestand, sondern nur nach dem – vollendeten – milderen Tatbestand zu bestrafen sei5. Diese gesetzgeberische Zielsetzung hat im Wortlaut der Norm ihren Niederschlag gefunden. Zwar enthält die Wendung, wonach derjenige in den Genuss der Vorteile des § 16 Abs. 2 StGB kommen soll, der irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines „milderen Gesetzes“ verwirklichen würden, keine konkrete Aussage dazu, in welchem systematischen Verhältnis die in Betracht kommenden Tatbestände zueinander stehen müssen. Deshalb wird § 16 Abs. 2 StGB auch in Konstellationen für anwendbar gehalten, in denen Straftatbestände mit ähnlichem Unrechtskern, aber unterschiedlich hohen Strafandrohungen in Rede stehen6. Die auf der Rechtsfolgenseite gewählte Formulierung, dass der Täter wegen vorsätzlicher Begehung „nur“ nach dem milderen Gesetz bestraft werden kann, macht aber hinreichend deutlich, dass sich diese Regelung auf Fälle bezieht, in denen der Vorsatz des Täters alle Umstände umfasst, die den Tatbestand des schwereren Deliktes erfüllen, so dass er ohne die zu seiner Begünstigung geschaffene Regelung des § 16 Abs. 2 StGB aus diesem zu bestrafen wäre, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht vollständig vorliegen. Eine solche Konstellation liegt vor, wenn es sich bei dem Tatbestand des „milderen Gesetzes“ um die Privilegierung eines mit höherer Strafe bedrohten Grunddeliktes handelt7. Sie ist nicht gegeben, wenn die beiden in Rede stehenden Delikte zueinander im Verhältnis der Alternativität stehen8 und der festgestellte Sachverhalt in objektiver Hinsicht das schwerere Delikt verwirklicht, während der Täter irrig von Umständen ausgeht, die – lägen sie vor – den Tatbestand des anderen, „milderen“ Delikts erfüllen würden.
Nach dem Regelungskonzept des Gesetzgebers hat § 16 Abs. 2 StGB somit in erster Linie die Funktion, in den bezeichneten Irrtumsfällen die Anwendung des schwereren Tatbestands auszuschließen, um den Täter besser zu stellen, als er ohne die Regelung stehen würde. Dieser Funktion entspricht auch die systematische Stellung der Norm im Gefüge der Irrtumsvorschriften. Denn sowohl der vorstehende § 16 Abs. 1 StGB als auch der nachstehende § 17 StGB sind Vorschriften, die den Täter unter den Voraussetzungen eines Tatsachen- bzw. Rechtsirrtums begünstigen.
Die zweite Funktion des § 16 Abs. 2 StGB liegt – gleichsam als Kehrseite – darin, die Bestrafung des Täters wegen Vollendung des milderen Tatbestands zu ermöglichen, obwohl dogmatischkonstruktiv nur ein Versuch vorliegt, da der Täter ein objektives Merkmal des milderen Tatbestands – nämlich dasjenige, das dessen Anwendung anstelle des schwereren Tatbestands bewirkt – lediglich irrtümlich annimmt. Ungeachtet der Frage, ob § 16 Abs. 2 StGB die Erfüllung des objektiven Tatbestands des milderen Strafgesetzes fingiert, um das „dogmatisch Unmögliche positivgesetzlich möglich zu machen“9, oder diese Rechtsfolge aus der „materielle[n] Wertstruktur des Privilegierungsirrtums“10 folgt, belegt die strafbegründende Wirkung der Irrtumsregelung ihren Ausnahmecharakter. Dies spricht dafür, sie eng auszulegen und auf Fälle der Privilegierung zu beschränken11.
Schließlich ginge die Rechtsfolgenanordnung des § 16 Abs. 2 StGB auch teilweise ins Leere, wenn unter den Begriff des milderen Gesetzes auch eine solche Vorschrift zu fassen wäre, bei der das „privilegierende“ Tatbestandsmerkmal nicht zu den Merkmalen eines anderen Tatbestands hinzutritt, sondern an die Stelle eines der Merkmale dieses Tatbestands tritt. Denn die primäre Funktion des § 16 Abs. 2 StGB – Ausschluss der Bestrafung aus dem schwereren Tatbestand – käme hier nicht zum Tragen, da dieser in subjektiver Hinsicht bereits deshalb nicht erfüllt ist, weil sich der Täter insoweit in einem Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 StGB befindet.
Soweit der Bundesgerichtshof, der sich bisher zur Frage der Reichweite des § 16 Abs. 2 StGB nicht näher geäußert hat12, in einer vor Einführung des § 16 Abs. 2 StGB ergangenen, ersichtlich vereinzelt gebliebenen Entscheidung13 nicht tragend sinngemäß die Rechtsauffassung vertreten hat, der Täter sei bei einem Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal bei objektiver Verwirklichung eines schwereren Tatbestands mit ähnlichem Unrechtsgehalt aus der milderen Vorschrift zu bestrafen, vermag der Bundesgerichtshof dem ebenso wenig zu folgen wie der von Teilen der Literatur vertretenen Ausweitung des Begriffs des milderen Gesetzes. Denn ein solches Verständnis führt im Ergebnis dazu, die vom Gesetzgeber intendierte und im Wortlaut und der systematischen Stellung der Norm abgebildete Funktion des § 16 Abs. 2 StGB umzukehren: Von einer Regelung, die primär den Täter aufgrund seines Irrtums begünstigen soll, zu einer solchen, die seine Strafbarkeit erweitert oder gar erst begründet, wenn das Gesetz für den Versuch des „milderen“ Tatbestands keine Strafbarkeit vorsieht.
Gemessen hieran scheidet eine Anwendung der Irrtumsvorschrift des § 16 Abs. 2 StGB im Verhältnis von § 184b und § 184c StGB aus.
Der Gesetzgeber hat § 184c Abs. 1 StGB, der Schriften bzw. Inhalte der gesetzlich näher umschriebenen Art erfasst, die eine vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alte Person betreffen, nicht als privilegierende lex specialis zu § 184b Abs. 1 StGB ausgestaltet. Die beiden Strafnormen stehen vielmehr – bezogen auf dieselbe abgebildete Person – in einem Verhältnis der Exklusivität zueinander, in dem entweder die Voraussetzungen einer kinder- oder einer jugendpornographischen Schrift erfüllt sind. Denn ungeachtet des Umstands, dass beide Strafnormen auch der Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 20.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie dienen, hat sich der Gesetzgeber für die Schaffung zweier selbstständiger Straftatbestände entschieden, die – wie der Gesetzeswortlaut eindeutig zeigt – in einem Verhältnis der Alternativität zueinander stehen. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 1 a)) StGB aF scheidet aufgrund der Fehlvorstellung des Angeklagten über das Alter des Geschädigten daher gemäß § 16 Abs. 1 StGB aus.
Auch eine entsprechende Anwendung der Irrtumsregelung auf die §§ 184b, 184c StGB scheidet aus. Gegen eine entsprechende Anwendung der Ausnahmevorschrift spricht nicht nur der Umstand, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Es läge hierin – ungeachtet der im Einzelfall nicht ohne Weiteres auf der Hand liegenden Frage danach, ob Strafvorschriften tatsächlich einen gemeinsamen Unrechtskern aufweisen – ein Fall strafbegründender Analogie vor, die mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 2 StGB schwerlich zu vereinbaren wäre.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 4 StR 168/21
- vgl. Mitsch, ZStW 2012, 323, 338 f., sowie jeweils ohne eigene Begründung: Hörnle in MünchKomm-StGB, 4. Aufl., § 184c Rn. 25; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 23; Wolters/Greco in SK-StGB, 9. Aufl., § 184c Rn. 12; Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 184c Rn. 31[↩]
- BGBl. I.1969, S. 717[↩]
- BGBl. I.1973, S. 309[↩]
- vgl. Vogel/Bülte in LK-StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 98; Schroeder in LK-StGB, 9. Aufl., § 59 Rn. 80 mwN; siehe im Einzelnen Küper, GA 1968, 321 ff.[↩]
- vgl. BT-Drs. IV/650, S. 133; Begründung des E 1962, dort noch zu § 19 Abs. 2 StGB[↩]
- vgl. Mitsch, ZStW 2012, 323, 338 zu § 184b, § 184c StGB[↩]
- vgl. dazu Joerden, Logik im Recht, S. 130, 132[↩]
- vgl. dazu Puppe, JR 1984, 229, 232[↩]
- vgl. Mitsch, ZStW 2012, 323, 339[↩]
- vgl. Küper, Jura 2007, 260, 263[↩]
- im Ergebnis wohl ebenso Puppe in NK-StGB, 5. Aufl., § 16 Rn. 3[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.09.2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86 zur Anwendbarkeit der Regelung im Verhältnis von §§ 212 und 216 StGB[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.06.1971 – 2 StR 247/71, BGHSt 24, 168, 169; vgl. dazu auch Puppe, JR 1984, 229, 232[↩]