Bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge ist der erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben, wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt.

Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung1 und der Strafrechtswissenschaft2 anerkannt.
Dabei bedurfte es nach Ansicht des hier entscheidenden 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vorliegend keiner Entscheidung, ob der in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 20.07.19953 geäußerten Rechtsauffassung, in Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte4. Denn der 4. Strafsenat hat in dem genannten Urteil entschieden, von den vorgenannten Voraussetzungen sei „ohne Weiteres in den Fällen auszugehen, in denen erst der Unterlassungstäter den zum Tode führenden Zustand verursacht hat“5. Dementsprechend hatte derselbe Strafsenat in einer früheren Entscheidung die Verurteilungen der dortigen Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einer Fallgestaltung nicht beanstandet, in der diese ihr Kind unzureichend versorgt und der dadurch hervorgerufene atrophische Zustand die unmittelbare Ursache für den später – bei dem Bemühen, nunmehr das Kind mit Nahrung zu versorgen – eingetretenen Erstickungstod des Kindes bildete6. Soweit in der Strafrechtswissenschaft das Urteil des 4. Strafsenats vom 20.07.19957 dahingehend gedeutet wird, der 4. Strafsenat habe sämtliche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich von § 227 StGB (§ 226 StGB aF) ausnehmen wollen, in denen das Unterlassen an eine erhebliche lebensgefährliche Vorschädigung des später zu Tode Gekommenen anknüpft8, findet dies in dem Urteil selbst so keine Stütze. Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht; vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen5. In Übereinstimmung damit ist der Bundesgerichtshof der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16
- BGH, Urteile vom 30.03.1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118; und vom 20.07.1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.; Beschluss vom 20.07.2006 – 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; vgl. auch Urteil vom 23.10.2007 – 1 StR 238/07 Rn. 30 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt][↩]
- siehe nur Ingelfinger GA 1997, 573 ff.; BeckOK-StGB/Eschelbach aaO § 227 Rn. 3 und 11; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 227 Rn. 1 und 6a; Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 3. Aufl., § 18 Rn. 47; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 227 Rn. 1[↩]
- BGH, Urteil vom 20.07.1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.07.2006 – 3 StR 244/06, StrafFo 2006, 466 f.[↩]
- BGH aaO NStZ 1995, 589, 590[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 18.03.1982 – 4 StR 12/82 bei Holtz MDR 1982, 624, zustimmend Wolter GA 1984, 443, 446[↩]
- BGH, Urteil vom 20.07.1995, aaO[↩]
- Ingelfinger GA 1997, 573, 582[↩]