Der Begriff der Erheblichkeit, die das Kriegsverbrechen der grausamen oder unmenschlichen Behandlung einer zu schützenden Person gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB voraussetzt, verlangt ein hinreichend großes Maß der durch die Tathandlung verursachten Beeinträchtigung und dient nicht allein dazu, Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich auszuscheiden1.

Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes2.
Für die Eingrenzung der Erheblichkeit sind sowohl das systematische Regelungsgefüge als auch der damit verbundene Zweck in den Blick zu nehmen. Danach muss das Ausmaß der Beeinträchtigung deutlich über dasjenige einer einfachen Körperverletzung hinausgehen2, wenngleich angesichts der Möglichkeit rein psychisch vermittelter Folter eine körperliche Beeinträchtigung nicht zwingend erforderlich ist.
Das Völkerstrafgesetzbuch stellt in verschiedenen Tatbeständen in Bezug auf körperliche und seelische Schäden unterschiedliche Anforderungen an deren Ausmaß. Während etwa in den hier im Raum stehenden § 7 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB erhebliche Schäden oder Leiden vorausgesetzt sind, verlangt § 7 Abs. 1 Nr. 8 VStGB demgegenüber schwere Schäden, insbesondere der in § 226 StGB bezeichneten Art. Diese differierende Begrifflichkeit deutet darauf hin, dass die Anforderungen an die Erheblichkeit nicht so hoch liegen wie bei dem mit § 226 StGB zu vergleichenden Schweregrad.
Für eine gleichwohl bedeutsame Schwere sprechen der in den Vorschriften verwendete Begriff der Folter und dessen dabei zugrundeliegendes Verständnis.
Die Tatbestände der § 7 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB beruhen auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. f, Art. 8 Abs. 2 Buchst. a Nr. ii, Buchst. b Nr. x, Buchst. c Nr. i und Buchst. e Nr. xi des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (im Folgenden: IStGHSt; vgl. BT-Drs. 14/8524 S. 12 f., 21, 26). Nach der in Art. 7 Abs. 2 Buchst. e IStGHSt enthaltenen Legaldefinition bedeutet Folter im Sinne des Art. 7 Abs. 1 IStGHSt, „dass einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden„3. Weil der Begriff der Folter in § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB laut der Begründung des Gesetzentwurfs wie bei – dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. f IStGHSt umsetzenden – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB zu verstehen sein soll4, sind demnach erhebliche Schäden mit großen körperlichen oder seelischen Schmerzen vergleichbar. Die Gesetzesbegründung stellt in diesem Zusammenhang auf die „Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden„5 ab.
Die im VStGB normierten Verbrechen unterliegen nach der Intention des Gesetzgebers gemäß § 1 Satz 1 VStGB dem Weltrechtsprinzip. Grundlage hierfür ist, dass sie sich „gegen die vitalen Interessen der Völkergemeinschaft“ richten, grenzüberschreitenden Charakter haben und – gemäß der Präambel zum IStGHSt – „die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, “ betreffen6. Dies hebt die besondere Bedeutung der Straftatbestände, gerade auch im Vergleich zu nationalstaatlich geregelten Taten, heraus. Zugleich gibt es Anlass, auf eine Auslegung im Einklang mit einem internationalen Rechtsverständnis Bedacht zu nehmen.
Schließlich liegt angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der Höhe der Strafrahmen, gerade im Vergleich zu den Körperverletzungsdelikten nach §§ 223 ff. StGB und zur Aussageerpressung nach § 343 StGB, eine eher restriktive Auslegung nicht fern7. Indes ist zugleich zu berücksichtigen, dass § 8 Abs. 5 VStGB eine Strafmilderung in minder schweren Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB vorsieht. Demnach bleibt Raum für abgestufte Rechtsfolgenentscheidungen, gerade auch, wenn die Schwelle der Erheblichkeit nur geringfügig überschritten ist. Zudem wird das völkerstrafrechtliche Delikt zusätzlich dadurch geprägt, dass es einen Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt erfordert.
In die Prüfung der Erheblichkeit sind die maßgeblichen Umstände einzubeziehen.
Da Bezugspunkt der Erheblichkeit die körperlichen oder seelischen Schäden oder Leiden sind, sind besonders die tatsächlich hervorgerufenen physischen und psychischen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus können etwa die Art der Behandlung und ihres Kontextes, ihre Dauer sowie die Verfassung der Opfer zu berücksichtigen sein8.
Nach den aufgezeigten Maßstäben waren die Misshandlungen in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall als erheblich im Sinne des Tatbestandes zu bewerten:
Im Rahmen der Gesamtschau ist dabei insbesondere von Bedeutung, dass die Situation bereits durch Aggressivität geprägt war, als der Angeklagte hinzutrat: Aus dem Vernehmungsraum drangen Schreie, der stellvertretende Kommandeur schlug mit einem Wasserschlauch auf die Gefangenen ein. Dass die Gefangenen auf dem Boden saßen, gefesselt waren und die Augen verbunden hatten, ließ sie insgesamt besonders schutzlos und empfindlich für körperliche sowie seelische Angriffe unabhängig davon erscheinen, ob es sich bei der Sitzposition um eine landestypische Weise und bei der Fesselung sowie dem Verbinden der Augen vorrangig um Maßnahmen zur Eigensicherung der Vernehmenden handelte.
In dieser Lage wurden sie nicht allein körperlich durch mehrere Personen und unter Einsatz eines Wasserschlauches misshandelt. Vielmehr wurde ihnen auch mit erheblichen Folgen gedroht, wie einen Gefangenen „zu zerreißen“ und einen anderen „an Strom anzuschließen“. Die Auswirkung dieser zugleich physischen und psychischen Behandlung auf die Vernommenen wird etwa daran deutlich, dass einer von ihnen zu schluchzen begann. Ein anderer machte schließlich die geforderten Angaben, nachdem er zweimal mit dem Handrücken gegen die Stirn geschlagen, sodann an der Schulter auf den Boden und dort liegend zweimal mit der Faust auf den Kopf geschlagen worden war9.
Angesichts dieses Gesamtbildes steht der Erheblichkeit hier im Ergebnis nicht entgegen, dass keine blutenden, knöchernen oder sichtbaren Verletzungen eintraten, keine Schmerzenslaute geäußert wurden, keine psychischen Folgeschäden bestanden und das Geschehen in Gegenwart des spontan hinzutretenden Angeklagten nicht länger als fünf Minuten dauerte. Indes sprechen diese Gesichtspunkte dafür, dass die Stufe der Erheblichkeit nur in geringem Maße überschritten ist.
Der Vorsatz des Angeklagten muss sich lediglich auf die tatsächlichen Umstände beziehen, welche die Beurteilung der Schäden oder Leiden als erheblich tragen, nicht auf diese Bewertung selbst10. Ein solcher Vorsatz ist dem angefochtenen Urteil zu entnehmen.
Hinter das speziellere Kriegsverbrechen der Folter tritt ein durch dieselbe Handlung verwirklichtes Kriegsverbrechen der entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB) zurück11.
Die Folterungen der drei Gefangenen stellen ein einheitliches Kriegsverbrechen dar. Zwar gelten für das konkurrenzrechtliche Verhältnis mehrerer Kriegsverbrechen gegen Personen die allgemeinen Regeln für Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter; denn der Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt vermag Einzeltaten nicht zu einer Gesamttat im Rechtssinne zu verbinden12. Die Misshandlung eines Gefangenen wirkte sich aber nach den konkreten Umständen zugleich psychisch auf die anderen beiden daneben Sitzenden aus, so dass eine Teilidentität der Ausführungshandlungen vorliegt und mithin lediglich eine einheitliche Tat gegeben ist13.
Der Angeklagte hat sich zudem als Mittäter wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB), Nötigung eines Gefangenen zu bestimmten Angaben (§ 240 Abs. 1 StGB) sowie versuchter Nötigung der beiden anderen Gefangenen (§ 240 Abs. 1, 3, §§ 22, 23 StGB) strafbar gemacht.
Diese Gesetzesverletzungen stehen mit dem Kriegsverbrechen der Folter in Tateinheit. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen Tatbestand des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln14. Werden durch dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt, ist grundsätzlich von Tateinheit auszugehen. Auf diese Weise erfüllt der Schuldspruch seine Klarstellungsfunktion, indem er sämtliche verwirklichten Strafnormen ausdrücklich benennt. Die Ausnahme von diesem Grundsatz bilden die Fallgruppen der Gesetzeseinheit. Diese ist gegeben, wenn ein Verhalten zwar mehrere Strafvorschriften erfüllt, zur Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat aber die Anwendung bereits eines Tatbestands ausreicht, hinter dem die übrigen Delikte in der Folge zurücktreten15.
Das Kriegsverbrechen der Folter ist gegenüber der gefährlichen Körperverletzung und der (versuchten) Nötigung weder ein spezielleres Delikt, das alle Merkmale dieser anderen Strafvorschriften aufweist, noch konsumiert es diese Tatbestände, da sie sich nicht im Regelbild der typischen Begleittat halten und einen eigenständigen, über die Haupttat hinausgreifenden Unrechtsgehalt aufweisen16. Denn das Kriegsverbrechen der grausamen oder unmenschlichen Behandlung durch Folter setzt weder eine gefährliche Körperverletzung noch eine (versuchte) Nötigung voraus oder geht mit diesen regelmäßig einher. So reicht das Hervorrufen seelischer Leiden aus. Selbst wenn die Folter darüber hinaus einen zusätzlichen Zweck verlangt (vgl. die entsprechenden „Verbrechenselemente“ gemäß Art. 9 IStGHSt zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. a Nr. ii Variante 1 IStGHSt; s. auch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 UN-Antifolterkonvention), braucht dieser nicht in der Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu liegen, sondern kann etwa in Bestrafung oder Erniedrigung bestehen.
Die zu Lasten der verschiedenen Gefangenen begangenen Straftaten nach dem Strafgesetzbuch werden hier durch das jeweils tateinheitlich verwirklichte, schwerere Kriegsverbrechen der Folter verklammert. Die Aufnahme gleichartiger Tateinheit in die Entscheidungsformel ist mit Blick auf die Klarheit und Verständlichkeit des Schuldspruchs entbehrlich17.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Januar 2021 – 3 StR 564/19
- vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 05.09.2019 – AK 47/19 38; vom 06.06.2019 – StB 14/19, NJW 2019, 2627 Rn. 63[↩]
- s. BGH, Beschlüsse vom 25.09.2018 – StB 40/18 22; vom 17.11.2016 – AK 54/16 27[↩][↩]
- vgl. auch Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1052 f.; Triffterer/Ambos/Hall/Stahn, Rome Statute of the International Criminal Code, 3. Aufl., Art. 7 Rn. 132; Triffterer/Ambos/Dörmann, ebenda, Art. 8 Rn. 87 ff.; MünchKomm-StGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 138; zu § 1 Abs. 1 Satz 1 Antifolterkonvention Nowak/Birk/Monina/Zach, The United Nations Convention Against Torture and its Optional Protocol, 2. Aufl., Art. 1 Rn. 81 ff.; zu Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a III. Genfer Abkommen ICRC/Cameron u.a., Third Geneva Convention, 2020, Art. 3 Rn. 662 ff.[↩]
- BT-Drs. 14/8524 S. 26[↩]
- BT-Drs. 14/8524 aaO[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/8524 S. 14[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 27.07.2017 – 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 48[↩]
- vgl. MünchKomm-StGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 140; s. auch zu Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.06.2010 – 22978/05 – Gäffgen /Deutschland – EuGRZ 2010, 417 Rn. 88, 101; zur Folter nach humanitärem Völkerrecht IStGHJ, Urteil vom 03.04.2007 – IT-99–36‑A – Brdanin, Rn. 251 mwN[↩]
- vgl. zu erzwungenen Angaben als Ausdruck erheblicher Angst, Qual und seelischen Leidens – in Bezug auf Art. 3 EMRK – EGMR, Urteil vom 01.06.2010 – 22978/05 – Gäffgen /Deutschland – EuGRZ 2010, 417 Rn. 89, 103[↩]
- vgl. entsprechend zu § 184c StGB aF BGH, Urteile vom 24.09.1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 10.05.1995 – 3 StR 150/95, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 184h Rn. 10; ähnlich auch zur Bewertung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB BGH, Urteile vom 23.06.1964 – 5 StR 182/64, BGHSt 19, 352, 353; vom 04.11.1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; vom 26.03.2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173[↩]
- vgl. IStGHJ, Urteile vom 16.11.1998 – IT-96–21‑T – Mucic, Rn. 442; vom 03.03.2000 – Blaskic – IT-95–14‑T, Rn. 154 f.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1275[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.02.2019 – AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 25 mwN[↩]
- vgl. allgemein etwa BGH, Beschluss vom 04.04.2019 – AK 12/19 60 mwN[↩]
- BT-Drs. 14/8524 S. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17.06.2010 – AK 3/10, BGHSt 55, 157 Rn. 50[↩]
- insgesamt dazu BGH, Beschluss vom 29.04.2020 – 3 StR 532/19, NStZ-RR 2020, 243 mwN[↩]
- vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen BGH, Beschluss vom 11.06.2020 – 5 StR 157/20, NJW 2020, 2347 Rn.19 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 31.05.2016 – 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275[↩]
- vgl. BVerfGE 111, 307, 317[↩]
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