Kriegsverbrechen in Syrien – und die deutsche Strafjustiz

Bei den in Syrien stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB.

Kriegsverbrechen in Syrien – und die deutsche Strafjustiz

Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist1. Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind.

Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden2.

Die in Syrien stattfindenden Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften und oppositionellen bewaffneten Gruppen gehen über bloße innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte oder vereinzelt auftretende Gewalttaten weit hinaus. Sie dauern bereits längere Zeit an und haben nahezu das ganze Land erfasst. Zumindest solche Konfliktparteien wie die FSA, die „Jabhat al-Nusra“ und der „Islamische Staat“ sind zudem in hohem Maße organisiert: Sie sind hierarchisch strukturiert, verfügen über ein großes Ausmaß an militärischer Ausrüstung, kontrollieren weite Landesteile und sind in der Lage, ihre Kämpfer militärisch auszubilden sowie koordinierte Angriffe durchzuführen3.

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Dementsprechend handelte es sich um einen bewaffneten Konflikt, der jedenfalls zim Jahr 2012 noch als nichtinternationaler anzusehen war. Ungeachtet dessen, ob der Bürgerkrieg durch das Eingreifen ausländischer Kräfte inzwischen soweit „internationalisiert“ ist, dass mittlerweile von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre4, war dies zumindest im Herbst 2012 noch nicht der Fall.

Nach § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB sind in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt insbesondere solche Personen als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende anzusehen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen5 und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Dies gilt auch für Personen, die zwar ihrerseits einer bewaffneten Gruppierung angehörten, die es sich aber nur zum Ziel gesetzt hatte, nach dem Rückzug der syrischen Sicherheitskräfte polizeiähnliche Aufgaben wahrzunehmen und Plünderungen zu verhindern.

Das Strafbarkeitserfordernis, dass sie sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden müssen, Das ergibt sich im Hinblick auf die Besonderheiten von nichtinternationalen bewaffneten Konflikten im Allgemeinen sowie diejenigen des innersyrischen Konflikts im Besonderen daraus, dass sie nicht der an den Kampfhandlungen beteiligten Gruppierung des Angeschuldigten angehörten und deren Absichten entgegen stehende Ziele verfolgten. Ein anderes Abgrenzungskriterium kommt angesichts der Komplexität des syrischen Bürgerkrieges nicht in Betracht. Das gilt insbesondere für das Kriterium der Staatsangehörigkeit, das sich bei nichtinternationalen bewaffneten Konflikten regelmäßig als untauglich erweist6, sowie für das Kriterium der ethnischen Zugehörigkeit. Bei dem Bürgerkrieg in Syrien handelt es sich nicht um einen interethnischen Konflikt. Die Anzahl und die Ausrichtung der in die Kämpfe verwickelten Gruppen war und ist kaum überschaubar und wechselnd. Einzelne Gruppierungen entstehen, lösen sich wieder auf und kämpfen in wechselnden Koalitionen mal gemeinsam, mal gegeneinander. Letztlich sind (hier:) die Geschädigten von der Miliz des Angeschuldigten gefangengenommen worden, weil sie von ihr als der Regierung nahe stehend und deshalb als Gegner betrachtet wurden, und die Miliz des Angeschuldigten stellte sich aus der Sicht der Geschädigten ihrerseits als Gegner dar.

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Das Tatbestandsmerkmal der unmenschlichen Behandlung ist weit auszulegen. Es erfasst die Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Schäden oder Leiden. Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes. Das Ausmaß der Beeinträchtigung muss über dasjenige einer körperlichen Misshandlung im Sinne von § 223 StGB deutlich hinausgehen7.

Hierfür kommt es nicht darauf an, ob sich jede einzelne dem Angeschuldigten zur Last gelegte Misshandlung als eine in § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB beispielhaft angeführte Folterung darstellt, wenn die Geschädigten jeweils willkürlich gefangengenommen und unter unwürdigen Umständen festgehalten sowie in erniedrigender Weise brutal misshandelt worden sind. Dadurch sind ihnen nach Lage der Dinge gravierende körperliche und seelische Leiden zugefügt worden.

Die Taten sind auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen worden, der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts begangen werden8. Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich9.

Diese Voraussetzungen sind etwa erfüllt bei einem militärischen Anführer einer aktiv in den syrischen Bürgerkrieg eingebundenen Kampfeinheit, die in ihrem Machtbereich frei schalten und walten konnte, nachdem die Regierungskräfte geflohen waren. Alle Geschädigten wurden angegriffen, weil sie sich dem Herrschaftsanspruch der Miliz des Angeschuldigten in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht bedingungslos unterworfen hatten und deshalb aus seiner Sicht der Regierung nahestanden.

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Schließlich ist der Anführer dieser Kampfeinheit Angeschuldigte im Hinblick auf alle Taten als Täter anzusehen. Soweit er die Misshandlungen nicht selbst vorgenommen hat, ergibt sich seine Verantwortlichkeit jedenfalls aus § 4 VStGB. Wenngleich er mangels rechtlicher Legitimation nicht als „militärischer Befehlshaber“ seiner Einheit im Sinne des § 4 Abs. 1 VStGB angesehen werden kann, so steht er doch gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 VStGB einem militärischen Befehlshaber gleich10. Er übte als Anführer seiner hierarchisch strukturierten Miliz die tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle aus. Er hatte zu jeder Zeit die Möglichkeit, das Verhalten seiner Untergebenen zu bestimmen und insbesondere die Begehung von Straftaten zu unterbinden. Er hielt sie jedoch dazu an, Straftaten zu begehen, und beteiligte sich regelmäßig auch selbst daran.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. November 2016 – AK 54/16

  1. BGH, Beschluss vom 17.06.2010 – AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166[]
  2. vgl. zu allem BT-Drs. 14/8524, S. 25; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1131, 1136, 1148 ff.; MünchKomm-StGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 108 ff.[]
  3. vgl. zu diesen Kriterien Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1152 Fn.194[]
  4. vgl. zur Internationalisierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte MünchKomm-StGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 101 ff.[]
  5. vgl. dazu MünchKomm-StGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 93 mwN[]
  6. Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1185; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.02.2001 – 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 300 f.[]
  7. vgl. zu allem MünchKomm-StGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 137 f. mwN[]
  8. Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1163 ff.[]
  9. BT-Drs. 14/8524, S. 25[]
  10. vgl. zu dieser Differenzierung Werle/Jeßberger, aaO Rn. 640; MünchKomm-StGB/Weigend, 2. Aufl., § 4 VStGB Rn.19[]
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