Die Beteiligung eines amerikanischen Staatsangehörigen ukrainischer Herkunft an Massenexekutionen im Reichskommissariat Ukraine in den Jahren 1943/1944 unterliegt deutschem Strafrecht.

Im vorliegenden Fall geht es um – im Rahmen von Partisanenbekämpfungs- und sogenannten „Pazifizierungsmaßnahmen“, aber auch der organisierten Judenverfolgung erfolgte – Massenexekutionen durch die „31. Schutzmannschafts-Btl. des SD“, einer dem Kommandeur der Sicherheitspolizei Wolhynien-Podolien unterstellten ukrainischen Hilfspolizeieinheit. Der seinerzeit ukrainische Staatsangehörige war „Hundertschaftsführer“ in dieser durchgehend von SS-Angehörigen befehligten und von deutscher Seite besoldeten und ausgerüsteten Einheit.
Nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs hätte auf die Taten nach damaligen Recht deutsches Strafrecht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 RStGB Anwendung gefunden. Zudem wäre nach heutigem Recht deutsches Strafrecht gemäß § 5 Nr. 13 StGB anwendbar, so dass § 2 Abs. 3 StGB – bei durchgängiger Geltung des deutschen Strafrechts – die heutige Anwendung des Tatzeitrechts nicht ausschließt.
Damaliges Strafrecht
Nach der durch die Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6. Mai 19401 eingeführten Vorschrift des § 4 Abs. 3 Nr. 1 RStGB galt das deutsche Strafrecht auch für Straftaten, die ein Ausländer „als Träger eines deutschen staatlichen Amtes“ im Ausland begeht.
Dieser Vorschrift unterfällt der Betroffene schon nach ihrem Wortsinn. Nach der damaligen Begriffsbestimmung waren Amtsträger auch Personen, die, ohne Beamte zu sein, dazu bestellt waren, obrigkeitliche Aufgaben wahrzunehmen2.
Dies liegt nach dem zu Unterstellung, Befehlsstruktur und Ausrüstung des „31. Schutzmannschafts-Btl. des SD“ mitgeteilten Sachverhalt nahe. Bei den beschriebenen „Pazifizierungen“ bzw. Massentötungen von Juden handelte es sich – nach damaliger Auffassung – um Aufgaben sicherheitspolizeilicher und damit aus der deutschen Staatsgewalt abgeleiteter Natur, die den (weltanschaulichen) Zwecken des NS-Staates dienten. Im Übrigen soll es nach dem mitgeteilten Sachverhalt auch eine Vereinbarung zwischen den deutschen Stellen und der Vorgänger-Organisation der Einheit gegeben haben, deren Inhalt insoweit von Bedeutung sein könnte.
Der Betroffene war als Mitglied einer Einheit des Sicherheitsdienstes (SD) der SS auch nicht Soldat (vgl. § 18 Abs. 4, § 21 Abs. 2 Wehrgesetz vom 21. Mai 19353) oder Mitglied des Wehrmachtsgefolges (vgl. § 155 des Militärstrafgesetzbuches vom 10. Oktober 19404). Zwar lassen sich einzelne Taten möglicherweise auch dem militärischen Tätigkeitsbereich zuordnen (etwa der Partisanenbekämpfung)5; dies gilt aber insbesondere nicht für Massentötungen im Rahmen der staatlich angeordneten Judenverfolgung6.
Soweit der Betroffene als Mitglied einer „ausländischen Hilfsmannschaft“ der SS der Verordnung über die Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.10.1939 (SS- und PolGVO)7 unterfallen sollte, stünde dies der Anwendung von § 4 Abs. 3 Nr. 1 RStGB nicht entgegen, auch wenn auf die Angehörigen dieser Einheiten das deutsche Strafrecht schon auf Grund einer entsprechenden Anwendung von § 1 Abs. 2 der Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung – KSSVO) vom 17.08.19388 anzuwenden war9. Denn dabei handelt es sich nach dem gesamten Regelungsgefüge nicht um eine abschließende Sonderregelung.
Schließlich widerspricht eine solche Auslegung auch nicht dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Nr. 1 RStGB. Die Einführung dieser Vorschrift beruhte zumindest auch auf dem Gedanken, dass das deutsche Recht die Auslandstat eines Ausländers auch dann verfolgen können soll, wenn dieser durch seine Stellung eine besondere Treuepflicht gegenüber dem deutschen Staat erlangt und dadurch Inländern nahesteht10. Das vom nationalsozialistischen Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nachdrücklich verfolgte Ziel, die „Autorität der deutschen Strafrechtspflege„11 möglichst umfassend zu gewährleisten, spricht dafür, dass die Vorschrift auch auf Mitglieder der – erst nach ihrer Einführung gebildeten – „ausländischen Hilfsmannschaften“ Anwendung gefunden hätte. Auch die im damaligen Schrifttum erwogene Beschränkung der Vorschrift auf echte und unechte Amtsdelikte12 steht diesem Auslegungsergebnis angesichts der klaren Zielvorstellung des NS-Gesetzgebers nicht entgegen13.
Heutiges Strafrecht
Nach heutigem Recht wäre der Betroffene als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB anzusehen, so dass nach § 5 Nr. 13 StGB ebenfalls deutsches Strafrecht anzuwenden wäre.
Der Bundesgerichtshof sieht keinen Anlass, staatlich organisierte Massentötungen, in denen staatliche Anordnungs- und Zwangsgewalt14 in denkbar schärfster Weise zum Ausdruck kommt, aus dem Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB herauszunehmen. Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für eine Bestellung im Sinne dieser Vorschrift vorliegen15.
Der Bundesgerichtshof ist mit der herrschenden Ansicht im Schrifttum16 schließlich nicht der Auffassung, dass § 5 Nr. 13 StGB nur echte oder unechte Amtsdelikte unterfallen. Vom Wortlaut der Vorschrift sind alle Taten umfasst, die der Täter in seiner Eigenschaft als Amtsträger begeht. Eine darüber hinausgehende Einschränkung auf Amtsdelikte lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen17.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 ARs 30/14
- RGBl. I S. 754[↩]
- Rietzsch in Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, 1. Band, S. 482, vgl. auch RGSt 69, 231, 233 mwN[↩]
- RGBl. I S. 609[↩]
- RGBl. I S. 1347[↩]
- vgl. hierzu und zu möglichen völkerrechtlichen Rechtfertigungsgründen BGH, Beschluss vom 25.10.2010 – 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11 Rn. 31 ff.[↩]
- vgl. insgesamt Burchard, HRRS 2010, 132, 148 f.[↩]
- RGBl. I S. 2107[↩]
- RGBl. I S. 1455[↩]
- vgl. Vieregge, Die Gerichtsbarkeit einer „Élite“ – Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit, 2001, S. 23 mwN; Burchard aaO[↩]
- vgl. Rietzsch aaO 481 f.; von Olshausen, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 12. Aufl., 1942, § 4 Erl. 9; von Gleispach, Das Kriegsstrafrecht, Teil III – Das neueste allgemeine Kriegsstrafrecht, 1942, S. 12[↩]
- Rietzsch aaO 465[↩]
- vgl. Rietzsch aaO 482; Schinnerer in LK, Reichs-Strafgesetzbuch, 6. Aufl., 1944, Erl. 2.B.1.a[↩]
- aA Burchard aaO 147 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 7/550 S.209; Hilgendorf in LK, StGB, 12. Aufl., § 11 Rn. 42 f.[↩]
- vgl. hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl. § 11 Rn.20 mwN[↩]
- vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 5 Rn.20; Werle/Jeßberger in LK, StGB, 12. Aufl., § 5 Rn.198 f.; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 5 Rn. 3; MünchKomm-StGB/Ambos, 2. Aufl., § 5 Rn. 36; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 5 Rn. 26; aA etwa NK-StGB/Böse, 4. Aufl., § 5 Rn. 17[↩]
- vgl. BT-Drs. 4/650 S. 112[↩]