Mehrere Schüsse – und die natürliche Handlungseinheit

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine natürliche Handlungseinheit vor, wenn mehrere im wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen Dritten als einheitliches Geschehen darstellt.

Mehrere Schüsse – und die natürliche Handlungseinheit

Dabei begründet auch der Wechsel eines Angriffsmittels jedenfalls nicht ohne weiteres die Annahme von Handlungsmehrheit1.

Nach diesem Maßstab lag in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bei den vier Schüssen des Angeklagten, die er jeweils abgegeben hat, um T. F. zu töten, eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor. Den Teilakten lag eine einheitliche Tötungsabsicht zugrunde und sie sind in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang erfolgt. An der natürlichen Handlungseinheit ändert es nichts, dass der Angeklagte nach den beiden ersten Schüssen mit der kleinkalibrigen Pistole noch die Schrotflinte aus seiner Wohnung holte und in der Wohnung der Eheleute F. einsetzte. Ein Vorsatzwechsel erfolgte dadurch nicht, die zeitliche Unterbrechung des Handlungsablaufs war unwesentlich und die Verlagerung des Tatgeschehens vom Flur über das Treppenhaus in die Wohnung der Eheleute F. stellte keine derart wesentliche Änderung des Tatorts dar, dass die Annahme von Handlungsmehrheit geboten wäre.

Der zweite bis vierte Schuss in der Absicht, T. F. zu töten, waren zugleich Handlungen zum Nachteil von J. F. . Der Angeklagte verletzte J. F. mit dem zweiten Schuss fahrlässig (§ 229 StGB), er handelte mit dem dritten und vierten Schuss mit bedingtem Tötungsvorsatz (§§ 211, 22 StGB) und mit dem letzten Schuss zugleich vorsätzlich im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB. Das Zusammentreffen der auch J. F. betreffenden Teilakte beim zweiten bis vierten Schuss des Angeklagten mit der insgesamt als natürliche Handlungseinheit zu bewertenden Tat zum Nachteil von T. F. durch einheitliche Körperbewegungen führt dazu, dass auch insoweit Tateinheit vorliegt.

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Den Begriff „dieselbe Handlung“ in § 52 Abs. 1 StGB definiert das Gesetz nicht ausdrücklich. Er knüpft an den Vollzug eines Verhaltens im natürlichen Sinne und damit letztlich an eine Körperbewegung an2. Wird durch eine Körperbewegung ein Mensch mit direktem Vorsatz angegriffen, durch dieselbe Bewegung aber auch ein anderer fahrlässig verletzt oder mit bedingtem Vorsatz angegriffen, liegt demnach eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor.

Allein die Tatsache, dass verschiedene Personen betroffen waren, rechtfertigt danach nicht die Annahme von Tatmehrheit. Nur wenn mehrere Personen nacheinander durch unterscheidbare Handlungen angegriffen werden, geht der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Verschiedenheit der betroffenen Rechtsgutsträger im Allgemeinen von Tatmehrheit aus3. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Die konkurrenzrechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer tateinheitlich begangenen Tat ändert nichts an der Bewertung der Erfüllung verschiedener Straftatbestände. Soweit der Angeklagte mit den weiteren Schüssen Tötungsversuche zum Nachteil von T. F. beging, gehen diese zwar für sich genommen rechtlich in dem schon durch den ersten Schuss verursachten vollendeten Mord auf; dies ändert aber nichts am tateinheitlichen Zusammentreffen mit Handlungen, die auch zum Nachteil von J. F. begangen wurden. Die Teilakte, die sich gegen diese richteten, sind vom Landgericht rechtsfehlerfrei als fahrlässig (zweiter Schuss) beziehungsweise vorsätzlich begangene Taten (dritter und vierter Schuss) bewertet worden4.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 300/18

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 07.03.2017 – 3 StR 501/16, NStZ 2017, 459, 460[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2017 – GSSt 4/17[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 24.02.1994 – 4 StR 683/93, StV 1994, 537 f.; Urteil vom 11.10.2005 – 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285 f.[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211[]