Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl

Vor dem Bundesverfassungsgericht war ein Eilantrag gegen die Überstellung nach Belgien wegen einer möglicherweise unzureichenden Überprüfung der Einhaltung der zwingenden Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl erfolgreich.

Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl

Das Bundesverfassungsgericht untersagte zur Verfahrenssicherung einstweilen die Übergabe des Beschwerdeführers an die belgischen Behörden gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten.

Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen1.

Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten2. Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet3. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre4.

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Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf5 durch die unzureichende Überprüfung der Einhaltung der zwingenden Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl hinsichtlich der vorgeworfenen Straftaten und der Beschreibung der diesen Straftaten zugrundeliegenden Umstände das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 Abs. 1 GRCh verletzt hat.

Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer überstellt werden würde, sich später aber herausstellte, dass die Überstellung rechtswidrig war, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Überstellung einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass sie ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine erfolgreiche Geltendmachung seiner Einwände gegen die Überstellung voraussichtlich nicht mehr möglich. Demgegenüber könnte der Beschwerdeführer, sollte sich die geplante Überstellung als rechtmäßig erweisen, zu einem späteren Zeitpunkt an die belgischen Behörden übergeben werden. Sein Aufenthalt in Deutschland würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. November 2022 – 2 BvR 2009/22

  1. vgl. BVerfGE 55, 1 <3> 82, 310 <312> 94, 166 <216 f.> 104, 23 <27> 106, 51 <58>[]
  2. vgl. BVerfGE 42, 103 <119>[]
  3. vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.> 103, 41 <42> 118, 111 <122> stRspr[]
  4. vgl. BVerfGE 105, 365 <371> 106, 351 <355> 108, 238 <246> 125, 385 <393> 132, 195 <232 f. Rn. 87> stRspr[]
  5. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.2022 – III-3 AR 56/22[]
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