Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – und der spezifische Inlandsbezug

Der für das Delikt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erforderliche spezifische Inlandsbezug1 liegt u.a. vor, wenn sich der Beschuldigte im Inland befindet (§ 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB).

Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – und der spezifische Inlandsbezug

Diese Regelungsvariante knüpft allein daran an, dass sich der Täter in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ohne hier – wie der Vergleich mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 1 StGB zeigt – mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen vorzunehmen.

Der Inlandsaufenthalt eröffnet damit die Anwendbarkeit der §§ 129, 129a, 129b Abs. 1 Satz 1 StGB für sämtliche Taten, die der Täter früher im Ausland begangen hat.

Da die Ausübung mitgliedschaftlicher Betätigungshandlungen im Inland bereits durch den § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 1 StGB erfasst wird, die bloße Mitgliedschaft in der (terroristischen) Vereinigung allein noch keine Strafbarkeit begründet2 und bei den Tathandlungen des Unterstützens und Werbens (§ 129a Abs. 5, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) überdies fehlt, erhält § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB nur bei dieser Auslegung einen eigenständigen Anwendungsbereich3.

Der Bundesgerichtshof kann offen lassen, ob sich die Anwendbarkeit der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit allein aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB ergibt oder ob entsprechend der in Rechtsprechung und Literatur vorherrschend vertretenen Ansicht zusätzlich auch die Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB vorliegen müssen4. Zur Begründung dieser Auffassung wird angeführt, dass sich § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB seinem Wortlaut nach ausschließlich auf Vereinigungen in Nicht-EU-Staaten beziehe und deshalb auf Vereinigungen innerhalb des Gebiets der Europäischen Union nicht anwendbar sei. Für Beteiligungshandlungen an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelte daher das allgemeine Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB, da diese sonst unbegrenzt innerstaatlicher Strafgewalt unterlägen, was insbesondere mit völkerrechtlichen Grundsätzen zur Rechtsgeltungserstreckung nicht zu vereinbaren sei (hierzu umfassend Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 337 ff.). Da aber die in § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB aufgestellten Geltungsvoraussetzungen für sich betrachtet teilweise großzügiger seien als diejenigen der §§ 3 ff. StGB – etwa anders als § 7 StGB keine Tatortstrafbarkeit erforderten , der Rechtsanwendungsbereich der §§ 129, 129a StGB für Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland aber nicht weiter sein könne als derjenige für Beteiligungshandlungen an Vereinigungen in EU-Staaten, könne § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht im Sinne einer abschließenden, die §§ 3 ff. StGB verdrängenden Spezialregelung verstanden werden5.

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Diese Rechtsauffassung beruht auf dem Ansatz, dass § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB seinem Regelungsgehalt nach keine Strafanwendungsregel enthält6. Hiergegen spricht indes, dass die Regelung des § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB – nach allgemeiner Auffassung – dem Strafanwendungsrecht zuzuordnen ist, diese sich aber sowohl ihrem eindeutigen Wortlaut nach als auch inhaltlich auf Satz 1 der Vorschrift bezieht und diesen einschränkt. Diese Einschränkung ist nur verständlich, wenn § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB neben der vom Gesetzgeber bezweckten Tatbestandserweiterung der §§ 129, 129a StGB in Bezug auf den Vereinigungsbegriff7 auch der Charakter einer Strafanwendungsvorschrift zukommt. Die Gesetzesmaterialen sprechen dafür, dass dieses Ergebnis auch dem Verständnis des Rechtsausschusses entsprach: Der Regierungsentwurf beschränkte sich auf die Einführung des jetzigen § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB. Dies hielt der Rechtsausschuss für zu weitgehend und sah es als erforderlich an, die Beschränkungen des § 129b Abs. 1 Sätze 2 bis 5 StGB aufzunehmen, um „einer uferlosen Ausdehnung deutschen Strafrechts Grenzen“ zu setzen8. Diese Begründung legt nahe, dass der Rechtsausschuss wenngleich – sich dieses Verständnis auf Grundlage des Regierungsentwurfs nicht aufdrängte9 – die §§ 3 ff. StGB durch § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB in dessen Anwendungsbereich für außer Kraft gesetzt sah. Kommt § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB aber der Charakter einer Strafanwendungsregel zu, liegt es nahe, deren Regelungsgehalt dahin zu verstehen, dass sie die allgemeinen Vorschriften der §§ 3 ff. StGB verdrängt. Hiermit ist auch stimmig, dass § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB gegenüber den §§ 3 ff. StGB sowohl engere als auch weitere Voraussetzungen statuiert10.

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Einer Entscheidung vorstehender Frage bedurfte es hier indes nicht, da zugleich auch die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorlagen: Der Beschuldigte ist syrischer Staatsangehöriger. Die von ihm in Syrien begangenen Taten sind – wenn nicht ohnehin davon auszugehen ist, dass das Gebiet, in dem sich der Beschuldigte aufhielt, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag – am Tatort mit Strafe bedroht, da die Beteiligung an Personenzusammenschlüssen, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches strafbar ist. Ein Auslieferungsverkehr findet nach Syrien aufgrund der aktuellen Lage nicht statt.

Unabhängig von der Frage, ob § 129b Abs. 1 StGB abschließende strafanwendungsrechtliche Spezialregelungen enthält, würden diese sich – ebenso wie die §§ 5, 6 StGB den Geltungsbereich nur hinsichtlich der dort aufgeführten Strafvorschriften eröffnen11 – ausschließlich auf die Anwendbarkeit der §§ 129, 129a StGB beziehen. Die mit der mitgliedschaftlichen Betätigung in der (kriminellen oder terroristischen) Vereinigung tateinheitlich zusammenfallenden Delikte unterliegen daher – vorbehaltlich bestehender Sonderregelungen – nur dann der deutschen Strafgewalt, wenn die Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB vorliegen. Insoweit sind in Bezug auf die Verstöße des Beschuldigten gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB gegeben. Die Taten sind insbesondere nach syrischem Recht gemäß § 39 i.V.m. § 41 des syrischen Präsidialerlasses Nr. 51 vom 24.09.2001 mit Strafe bedroht12.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – AK 52/16

  1. vgl. BT-Drs. 14/8893, S. 8 f.; MünchKomm-StGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129b Rn. 15 ff.; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 129b Rn. 7[]
  2. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 09.07.2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 313[]
  3. MünchKomm-StGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129b Rn.20; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 129b Rn. 7; Kress JA 2005, 220, 227[]
  4. so BGH, Beschluss vom 02.07.2012 – 2 BGs 152/12, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 5; Altvater NStZ 2003, 179, 181; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129b Rn. 8 ff.; MünchKomm-StGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129b Rn. 10; SK-StGB/Stein, 63. Lfg., § 129b Rn. 3; ders. GA 2005, 433, 455 f.; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 129b Rn. 5, 7; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 344 ff.; aA Kress JA 2005, 220, 226 f.; NK-StGB-Ostendorf, 4. Aufl., §§ 129a, 129b Rn. 9[]
  5. SK-StGB/Stein, 63. Lfg., § 129b Rn. 3; ders. GA 2005, 433, 453 ff.[]
  6. vgl. etwa BGH, Beschluss vom 02.07.2012 – 2 BGs 152/12, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 5; SK-StGB/Stein, 63. Lfg., § 129b Rn. 3[]
  7. vgl. BT-Drs. 14/7025, S. 1[]
  8. vgl. BT-Drs. 14/8893 S. 8 f.[]
  9. Kress JA 2005, 220, 226; Stein GA 2005, 433, 450; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 337[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12 2009 – StB 52/09, BGHSt 54, 264, 267, 270; zu weiteren Bedenken gegen die hM in Bezug auf § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB: BGH, Beschluss vom 31.07.2009 – StB 34/09, NStZ-RR 2011, 199[]
  11. MünchKomm-StGB/Ambos, 2. Aufl., § 3 Rn. 6[]
  12. vgl. SAO Bd. 3, Bl. 343 ff., 378 ff., 383; OLG Hamburg, Urteil vom 05.07.2016 – 3 St 2/16[]
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