Niedere Beweggründe und brutales Tatbild

Mit dem Vorliegen niedriger Beweggründe bei einem außergewöhnlich brutalem, eklatant menschenverachtendem Tatbild sowie der Prüfung verminderter Steuerungsfähigkeit und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus in Fällen dieser Art hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen1.

Niedere Beweggründe und brutales Tatbild

Das Landgericht Bremen hat einen gelernten Fleischer aus Bremerhaven wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt2. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts hatte der zur Tatzeit 47jährige Angeklagte im Februar 2013 seine 66jährige Nachbarin in ihrer Wohnung mit Tritten oder Schlägen gegen Kopf und Hals erheblich verletzt und sie anschließend am Unterleib äußerst massiv misshandelt. Das Opfer verstarb noch in der Nacht an schwersten inneren Verletzungen.

Das Landgericht Bremen vermochte ein Motiv für die Tat, vor allem eine sexuelle Motivation nicht festzustellen. Unter anderem aus diesem Grund sah es Mordmerkmale sowie die Voraussetzungen einer Sexualstraftat als nicht gegeben an. Eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund Alkoholisierung vermochte es nicht auszuschließen. Schuldmindernde psychische Störungen wurden hingegen verneint. Damit schied auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankhaus aus.

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen, da die Ablehnung von Mordmerkmalen und die Verneinung eines Sexualdelikts mit Todesfolge rechtsfehlerhaft waren. Ferner war die Bewertung zur Schuldfähigkeit des Angeklagten unvollständig; das neue Tatgericht wird danach auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus näher in den Blick nehmen müssen. Die Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof verworfen.

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Die Auseinandersetzung des Schwurgerichts mit möglichen Tatmotiven des Angeklagten ist rechtlich unzulänglich, weil es sich im Zuge der beweiswürdigenden Analyse des Tatgeschehens nicht der Frage zugewendet hat, ob in dem äußerst brutalen Vorgehen des psychisch (angeblich) weitgehend unauffälligen Angeklagten ein den personalen Eigenwert des Opfers negierender Vernichtungswille zum Ausdruck kommt, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und daher der Motivgeneralklausel des § 211 Abs. 2 StGB unterfällt3.

Neben ungehemmter Eigensucht und krasser Rücksichtslosigkeit ist ein weiteres Leitprinzip die in der Tötung motivational zu Tage tretende Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers4. Eine solchermaßen antisoziale Einstellung kann darin erblickt werden, dass der Täter das Opfer in menschenverachtender Weise tötet5. Hierzu rechnen Sachverhalte, in denen der Täter das Opfer vor oder während der Tat in besonders herabsetzender Weise quält und damit eine gesellschaftlichen Grundwerten kategorial zuwider laufende Einstellung dergestalt manifestiert, dass der Adressat des Angriffs nicht einmal mehr ansatzweise als Person, sondern nur noch wie ein beliebiges Objekt, mit dem man nach hemmungslosem Gutdünken verfahren kann, behandelt wird6.

Der vorliegende Fall weist dahingehende Sachverhaltskomponenten auf: Allein schon das Herausreißen verschiedener Darmteile bei lebendigem Leib durch dreimaliges tiefes Eindringen in den Anus des Opfers wirkt grauenhaft und weckt spontane Erinnerungen an das Ausweiden eines Tieres. Nimmt man zusätzlich das Legen eines Darmstücks um den Hals des Opfers in den Blick, so wird die menschenverachtende Dimension der Tat vollends deutlich. Es erstaunt, dass das Schwurgericht die Qualität dieser Umstände zutreffend erkannt, jedoch nicht in seine Überlegungen zum Vorliegen subjektiver Mordmerkmale einbezogen hat. Hierzu hätte indessen nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Veranlassung bestanden.

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Der möglichen Annahme eines aus dem Tatbild hergeleiteten niedrigen Beweggrundes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen lediglich mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt und also keinen Vernichtungswillen in Form eines dolus directus aufgewiesen hat. Einerseits ist auch der Täter der mehrfach zitierten höchstrichterlichen Referenzentscheidung gegen das von ihm malträtierte Opfer ‚nur‘ mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgegangen, ohne dass dieser Umstand auf die rechtliche Bewertung des Tatmotivs Einfluss gewinnen konnte. Andererseits erachtet die Bundesanwaltschaft die vom Schwurgericht vorgenommene rechtliche Einordnung des Tötungsvorsatzes ohnehin für schlichtweg indiskutabel. … Ein ausgebildeter Schlachter, dem – wie dem Angeklagten – das Ausweiden von Tieren berufsbedingt geläufig ist, geht mit Sicherheit davon aus, dass ein bewusstlos zurückgelassener Mensch, dem Vergleichbares widerfahren ist, an den Folgen einer solchen Tat geraume Zeit später verstirbt.

Ergänzend bemerkt der Bundesgerichtshof noch an, dass angesichts des Tatbildes auch das Merkmal der Mordlust zu prüfen sein wird7.

Mit der Aufhebung des Schuldspruchs durch den Bundesgerichtshof ist dem Rechtsfolgenausspruch die Basis entzogen. Er hätte jedoch auch für sich genommen keinen Bestand haben können, weil die der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) vorgelagerte Schuldfähigkeitsprüfung beim Bundesgerichtshof durchgreifenden Bedenken begegnet.

Das Landgericht führt auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen aus, es habe „weder im Bereich der Persönlichkeit noch im Bereich der Sexualität Auffälligkeiten gegeben, die die Kriterien für eine psychische Erkrankung (schwere Persönlichkeitsstörung oder Störung der Sexualpräferenz/Paraphilie) erfüllen würden“; eine (organische) Persönlichkeitsstörung sei „nicht so gravierend, als dass sie Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten gehabt haben könnte“.

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Diese Wertung beruht auf einer lücken- und damit rechtsfehlerhaften Grundlage. Denn das psychiatrische Gutachten und ihm folgend die Schwurgerichtskammer unterlassen gänzlich die Auseinandersetzung mit den als extrem zu bezeichnenden Besonderheiten der Tatausführung – dem erfahrenen rechtsmedizinischen Sachverständigen war kein in der Tötungsart vergleichbarer Fall bekannt –, die sich zudem mit einem vom Angeklagten vor der Tat bei mannigfaltigen Gelegenheiten gebrauchten „Spruch“ deckt, er werde jemandem „das Geschlinge aus dem Arsch ziehen und um den Hals wickeln“. Diese Besonderheiten hätte die Schwurgerichtskammer im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung aber zwingend erörtern müssen8. Da sich die Urteilsgründe dazu nicht verhalten, ermangelt es der gebotenen umfassenden Würdigung des Zustands des Angeklagten bei der Tat9.

Das neue Tatgericht wird die Schuldfähigkeit des Angeklagten naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen erneut zu erörtern und dabei die vorgenannten Aspekte zu berücksichtigen haben. Es wird auch die festgestellten Auffälligkeiten im Sexual- und Sozialverhalten des Angeklagten stärker in den Blick nehmen müssen, als im angefochtenen Urteil geschehen. Für den Fall sicherer Feststellung verminderter Schuldfähigkeit (auch) aufgrund einer dauerhaften schweren psychischen Störung des Angeklagten wird zu prüfen sein, ob dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gerechtfertigt ist. Im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor höchst gefährlichen Tätern wäre solches nach Auffassung des Bundesgerichtshofs – über bislang von der Rechtsprechung angenommene Grenzen hinaus – selbst dann erwägenswert, wenn aufgrund dieser sicher festgestellten Störung eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes anzunehmen, allein deshalb aber nicht auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist10. Allerdings wäre zuvor zu erwägen, ob eine solche Auslegung in Fällen dieser Art durch Anwendung des § 66a Abs. 2 StGB entbehrlich wäre.

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Zu der von der Staatsanwaltschaft in den Vordergrund gestellten Frage der tateinheitlichen Verwirklichung einer Sexualstraftat (Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, jeweils mit Todesfolge) bemerkt der Bundesgerichtshof:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Begriff der sexuellen Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB das äußere Erscheinungsbild entscheidend; das Merkmal ist erfüllt, wenn das Erscheinungsbild nach allgemeinem Verständnis die Sexualbezogenheit erkennen lässt11. Ist dies der Fall, so spielt es keine Rolle, ob der Täter sexuelle Motive verfolgt oder etwa sein Opfer allein demütigen und sadistisch quälen will; er muss sich nur des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst sein12.

Diese Grundsätze verkennt das angefochtene Urteil, indem es den Handlungen des Angeklagten „auf subjektiver Seite einen eindeutigen Sexualbezug“ abspricht, ohne das objektive Erscheinungsbild einer Untersuchung unterzogen zu haben. Vorliegend sind die äußeren Gegebenheiten der Tat unzweifelhaft sexualbezogen. Der Angeklagte ist nicht nur (mehrfach) in den Anus, sondern auch in die Scheide der getöteten Frau eingedrungen. Darüber hinaus hat er Blut und Gewebeteile auf deren unbekleideten Oberkörper einschließlich der Brüste verteilt, diese also berührt. Das Opfer wurde mit gespreizten Beinen auf dem Sofa liegend vorgefunden.

Angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für eine Sexualtat streitenden Umstände bedürfte es greifbarer Anhaltspunkte dafür, dass der sich auf eine Amnesie berufende Angeklagte die Sexualbezogenheit seiner Handlungen gleichwohl verkannt haben könnte. Solche lassen sich den Urteilsgründen aber nicht entnehmen. Die Erwägungen der Schwurgerichtskammer, es könnten die besondere Erniedrigung des Opfers sowie das Herausreißen der Därme im Vordergrund gestanden haben, wobei eine sexuelle Motivation nicht hinreichend sicher feststellbar sei, sind aus den genannten Gründen für die Beurteilung der Tat als bewusst sexualbezogene Handlung rechtlich irrelevant. Selbst wenn der Angeklagte – wie auch der Obduktionssachverständige mutmaßt – versehentlich in die Scheide gegriffen haben sollte, würde das erforderliche Bewusstsein des Angeklagten in Anbetracht der sonstigen Umstände nicht in Frage gestellt.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2014 – – 5 StR 380/14

  1. vgl. auch BGH, Urteil vom 19.10.2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 132[]
  2. LG Bremen, Urteil vom 07.02.2014 – 22 Ks 912 Js 7012/13[]
  3. siehe dazu BGH, Urteil vom 05.11.2002 – 1 StR 247/02, NStZ-RR 2003, 78, 79[]
  4. vgl. dazu BGH, Urteil vom 22.08.1995 – 1 StR 393/95, NStZ-RR 1996, 98 f.; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 2628; Müko-Schneider, § 211 Rn. 75[]
  5. vgl. BGH NStZ-RR 2003, 78, 79[]
  6. vgl. BGH, aaO[]
  7. vgl. zu den Voraussetzungen LK/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 6 mwN[]
  8. vgl. Basdorf, HRRS 2008, 275, 276[]
  9. vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20.02.2014 – 5 StR 7/14 Rn. 6; vom 27.11.2008 – 5 StR 526/08 Rn. 10; vom 30.09.2008 – 5 StR 305/08; vom 25.07.2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335, 336; vom 28.11.2001 – 5 StR 434/01; Urteil vom 23.01.2002 – 5 StR 391/01; jeweils mwN[]
  10. vgl. dazu Basdorf, aaO S. 276 f.; Basdorf/Mosbacher in Lau/Lammel/Sutarski [Hrsg.], Forensische Begutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, 2. Aufl., S. 119, 131 f.[]
  11. vgl. BGH, Urteile vom 24.09.1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 09.11.1982 – 1 StR 672/82, NStZ 1983, 167; vom 20.12 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184f Sexuelle Handlung 2; Urteil vom 09.07.2014 – 2 StR 13/14 Rn.19, zum Abdruck in BGHSt bestimmt[]
  12. vgl. BGH, Urteile vom 09.11.1982 – 1 StR 672/82, aaO; vom 11.05.1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6, insoweit in BGHSt 39, 212 nicht abgedruckt; vom 20.12 2007 – 4 StR 459/07, aaO[]
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