Die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln kann eine strafbare (räuberische) Erpressung darstellen.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshof hatte zunäcsht beabsichtigt abweichend von der bisherigen Rechtsprechung – zu entscheiden, die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richte sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfülle daher nicht den Tatbestand einer Erpressung1.
Der strafbare Besitz von Betäubungsmitteln, so die Argumentation des 2. Strafsenats, sei kein durch Strafrecht zu schützendes Rechtsgut. Die gleichzeitige Strafdrohung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und gegen denjenigen, der dem Besitzer diesen unerlaubten Besitz durch Nötigung (§§ 253, 255 StGB) entziehe, stelle einen Widerspruch dar. Damit fehle es an einer Legitimation des Staates zur Bestrafung unter dem Gesichtspunkt eines Vermögensdelikts.
Der 2. Strafsenat hat deshalb bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs angefragt, ob sie ihm darin folgen. Die anderen vier Strafsenate sind dem entgegengetreten und haben erklärt, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten2.
Der 2. Strafsenat hat nunmehr von einer Vorlage an den Großen Bundesgerichtshof für Strafsachen abgesehen und entschieden, ebenfalls an seiner bisherigen Rechtsprechung3 festzuhalten.
Er geht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts4 von einem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aus5. Daran hält der 2. Strafsenat nach Durchführung des Anfrageverfahrens fest.
Auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ergibt sich, dass derjenige, der einen Rauschgifthändler mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, sich der räuberischen Erpressung schuldig macht.
Betäubungsmittel besitzen bei wirtschaftlicher Betrachtung einen erheblichen Wert, der auch einen besonderen Anreiz dazu bietet, damit Handel zu treiben, obwohl nahezu jeder nicht von einer staatlichen Genehmigung getragene Umgang damit bei Strafandrohung verboten ist. Die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen. Maßgeblich ist, ob dem Besitz ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, was regelmäßig zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind. Auch hinsichtlich solcher Sachen, die jemand aufgrund einer strafbaren Handlung besitzt, kann unbeschadet ihrer Bemakelung, eine Erpressung begangen werden6.
Es besteht kein Anlass, den bewährten und kriminalpolitisch sachgerechten wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufzugeben. Andernfalls entstünden nicht hinnehmbare Wertungswidersprüche gegenüber den Eigentumsdelikten. Bei der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung hängt es vielfach von Zufälligkeiten durch Geben oder Nehmen ab, ob für Verhaltensweisen, die sich im Unrechtsgehalt praktisch nicht unterscheiden, der Anwendungsbereich der §§ 253, 255 StGB oder derjenige der §§ 249 ff. StGB eröffnet ist. Entfielen in der einen Tatvariante, in welcher der Genötigte die Betäubungsmittel herausgibt, wegen der Nichtzuordnung des unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes zum Vermögen des Genötigten die Erpressungsdelikte, so wären dort nur noch § 240 Abs. 1 StGB und § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG einschlägig. In der anderen Variante, in welcher der Täter die Betäubungsmittel wegnimmt und der Genötigte dies nur duldet, läge ein Verbrechen des Raubes vor; denn auch Betäubungsmittel, deren Besitz verboten ist, bleiben nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs taugliche Tatobjekte von Eigentumsdelikten7.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. August 2017 – 2 StR 335/15
- BGH, Beschluss vom 01.06.2016 – 2 StR 335/15, NStZ 2016, 596 ff. mit Anm. Krell, ebenda, und Ladiges, wistra 2016, 479 ff.[↩]
- BGH; Beschluss vom 21.02.2017 – 1 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 112 f.; Beschluss vom 15.11.2016 – 3 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 244 ff.; Beschluss vom 10.11.2016 – 4 ARs 17/16, NStZ-RR 2017, 44 f.; Beschluss vom 07.02.2017 – 5 ARs 47/16, NStZ-RR 2017, 110[↩]
- vgl. auch BGH, Urteile vom 22.09.2016 – 2 StR 27/16, BGHSt 61, 263, 264; und vom 07.12 2016 – 2 StR 522/15, NStZ-RR 2017, 111 f.[↩]
- RG, Beschluss vom 14.12 1910 – – II 1214/10, RGSt 44, 230 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1951 – 4 StR 574/51, BGHSt 2, 364, 365 ff.; Urteil vom 17.11.1955 – 3 StR 234/55, BGHSt 8, 254, 256 ff.; Beschluss vom 19.07.1960 – 1 StR 213/60, BGHSt 15, 83, 86[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 04.09.2001 – 1 StR 167/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 3; Beschluss vom 20.09.2005 – 3 StR 295/05, NJW 2006, 72, 73; BGH, Urteil vom 22.09.2016 – 2 StR 27/16, BGHSt 61, 263, 264; Urteil vom 07.12 2016 – 2 StR 522/15, NStZ-RR 2017, 111, 112[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.04.2015 – 4 StR 92/15, NStZ 2015, 571; Beschluss vom 20.09.2005 – 3 StR 295/05, NJW 2006, 72, 73[↩]