Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht [1].

Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden.
Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht [2].
Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein.
Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann [3]. Dies ist auf der Grundlage einer objektiven exanteBetrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen.
Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden [4].
Gemessen hieran wurde im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Annahme des Landgerichts, es fehle an der Erforderlichkeit der Verteidigung, von den Feststellungen nicht getragen: Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass eine Androhung des Messereinsatzes ebenso gut geeignet gewesen sei, die Einwirkungen seitens des Angreifers sofort zu beenden. Diese Einschätzung wird der konkreten Kampflage nicht gerecht. Es bleibt an dieser Stelle von der Strafkammer unberücksichtigt, dass sich der Angeklagte einem seit einigen Minuten dauernden Angriff durch den Angreifer ausgesetzt sah, der immer wieder von Schlägen begleitet wurde.
Dass dieser Angriff nur von einem Gegner geführt wurde, nicht auf das Leben des Angeklagten, sondern „nur“ auf seinen Leib und seine körperliche Unversehrtheit zielte und die Intensität des Angriffs nicht „hochgradig“ war, ändert nichts am Vorliegen einer objektiven Notwehrlage, die den Angeklagten grundsätzlich berechtigte, zur Beendigung dieses Angriffs ein sofort wirksames Mittel einzusetzen.
Dass diese Auseinandersetzung sich vor den Augen zahlreicher anderer Gäste zutrug und zudem zwei davon dabei waren, den Angreifer zu beschwichtigen und aus dem Thekenbereich zu ziehen, ist – entgegen der Ansicht des Landgerichts – kein Umstand, der in der konkreten Situation dafür sprach, die Androhung des Messereinsatzes wäre genau so erfolgversprechend gewesen. Dies schon deshalb, weil der einige Zeit andauernde Angriff trotz des Eingreifens von zwei Personen, die den Angreifer erkennbar erfolglos zu beschwichtigen versuchten, nicht beendet werden konnte. Warum der jedenfalls auch gegen den Widerstand zweier unbeteiligter Personen zur Fortsetzung des Kampfes entschlossene Angreifer bei Androhung eines Messereinsatzes von weiteren Angriffen abgesehen hätte, erschließt sich, insbesondere auch vor dem Hintergrund der hohen Alkoholisierung des Angreifers und einer dadurch bedingten Einschränkung seines Hemmungsvermögens, nicht. Insoweit ist zusätzlich in den Blick zu nehmen, dass nicht einmal die Messerstiche, sondern letztlich der Zeuge K. unter Einsatz von körperlicher Gewalt den Kampf beendet haben.
In dieser Situation erweist sich mit Blick auf die Angriffslage und die geringe Kalkulierbarkeit eines Fehlschlagrisikos die Entscheidung des Angeklagten für den Messereinsatz und gegen eine vorherige Androhung als rechtlich unbedenklich. Soweit die Strafkammer insoweit anführt, dem Angeklagten hätten keine Anhaltspunkte für eine Eskalation der Situation vorgelegen, stellt dies kein tragfähiges Argument gegen einen ohne vorherige Androhung erfolgten, unmittelbaren Messereinsatz dar. Denn es geht bei der Entscheidung für ein erforderliches Abwehrmittel im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB nicht darum, ob durch die Androhung des Messereinsatzes eine weitere Eskalation der Situation heraufbeschworen wird; maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob es in der zugespitzten Angriffssituation gewährleistet ist, dass der Angriff endgültig beendet wird. Insoweit fehlt es für die landgerichtlichen Feststellungen, der Angreifer hätte sich zurückgezogen, wenn ihm die Bewaffnung des Angeklagten zur Kenntnis gelangt wäre, ebenso an einer hinreichenden Tatsachengrundlage wie für die Annahme, der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass Möglichkeiten zur Beendigung der körperlichen Attacken nicht beeinträchtigt würden, wenn er dem Angreifer das Messer zeigte.
Die weitere Argumentation der Strafkammer, dem Angeklagten sei es – ungeachtet der Dynamik des Geschehensablaufs – möglich und zumutbar gewesen, das Messer jedenfalls zunächst weniger gefährlich einzusetzen, lässt außer Betracht, dass „Feststellungen zu Position und den einzelnen Bewegungen des Angreifers“ zum Tatzeitpunkt des Messereinsatzes nicht getroffen werden konnten. Fehlen aber Kenntnisse hierüber, ist auch ungewiss, in welcher Weise sich im Einzelnen Angeklagter und Angreifer gegenüberstanden und ob es dabei konkrete Möglichkeiten für den Angeklagten gab, das Messer schonender, aber gleichwohl erfolgversprechend einzusetzen. Damit fehlt es auch insoweit an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage für die tatgerichtliche Überzeugung eines weniger gefährlichen Messereinsatzes.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. April 2019 – 2 StR 363/18
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.11.2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Beschluss vom 07.12 2017, StraFo 2018, 733[↩]
- BGH, Beschluss vom 27.09.2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; BGH, Beschluss vom 25.10.2017 – 2 StR 118/16, StraFo 2018, 202[↩]
- BGH, Beschluss vom 27.09.2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140[↩]
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