Gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde [1].

Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist [2].
Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung [3].
Vermag das Gericht nicht zu klären, ob tatsächlich ein Angriff bevorstand, ist unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen [4], nämlich dass ein „Angriff und ein Nachsetzen“ unmittelbar bevorstand. Danach ist der rechtlichen Wertung eine objektiv bestehende Notwehrlage zugrunde zu legen.
Das unterscheidet den Sachverhalt von der Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.08.1977 [5] zugrunde lag und auf die sich der Generalbundesanwalt stützt, die sich aber auf die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums bzw. eines Erlaubnis(Verbots)irrtums bezieht.
Erfolgt die Handlung, um sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen, handelte der Verteidiger infolgedessen mit Verteidigungswillen, kommt es nicht darauf an, dass der Angeklagte einen weiteren Angriff nur „für möglich gehalten“ hat [6].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. März 2017 – 1 StR 486/16
- vgl. BGH, Beschluss vom 11.12 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 24.11.2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.08.2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 25.01.2017 – 1 StR 588/16[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 18.04.2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203; vom 09.08.2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; und vom 24.11.2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38; Beschluss vom 25.01.2017 – 1 StR 588/16; siehe auch Beschluss vom 28.10.2015 – 5 StR 397/15, JuS 2016, 562[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26.08.2004 – 4 StR 236/04, NStZ 2005, 85[↩]
- BGH, Urteil vom 23.08.1977 – 1 StR 159/77[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 27.10.2015 – 3 StR 199/15, NStZ 2016, 333 mwN[↩]