Pflichtverteidiger – und der beratungsresistente Angeklagte

Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger wird nicht allein dadurch nachhaltig und endgültig erschüttert, dass sich der Beschuldigte in Abkehr von der bisherigen Verteidigungsstrategie dazu entschließt, ein Geständnis abzulegen.

Pflichtverteidiger – und der beratungsresistente Angeklagte

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um ein vor dem Oberlandesgericht Celle geführtes Strafverfahren. Das Oberlandesgericht führt gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs einer bzw. mehrerer Taten der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland, teilweise in Tateinheit mit weiteren Delikten, und gegen einen weiteren Mitangeklagten wegen des Vorwurfs der Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“) in zwei Fällen, in einem der Fälle tateinheitlich mit anderen Delikten. Die Pflichtverteidiger des Angeklagten haben beantragt, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern zurückzunehmen, weil das Vertrauensverhältnis zu dem Angeklagten vollständig zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts nach vorheriger Anhörung des Angeklagten, der erklärt hat, er gehe nicht von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis aus, abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Pflichtverteidiger des Angeklagten mit ihren (sofortigen) Beschwerden, die sie im Wesentlichen damit begründen, dass der Angeklagte ohne Absprache mit ihnen seine Verteidigungsstrategie geändert und nach einer bestreitenden Einlassung im April 2018 am 180. Hauptverhandlungstag im Februar 2020 nunmehr ein Geständnis abgelegt habe. Anfragen der Verteidiger, dies vorher zu besprechen, habe er abschlägig beschieden und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, mit den bestellten Pflichtverteidigern zusammenzuarbeiten, deren Rechtsrat nicht annehmen werde und eine „wirkliche“ Verteidigertätigkeit nicht gewünscht sei. Damit sei der Verteidigung „jede Basis entzogen“.

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Der Bundesgerichtshof hielt die Beschwerden für unbegründet; das Oberlandesgericht Celle habe den Antrag auf Rücknahme der Verteidigerbestellungen zu Recht abgelehnt:

Der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats war gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO für die Entscheidung zuständig1. Es sei weder dargelegt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflichtverteidigern und dem Angeklagten endgültig zerstört sei, noch sei aus einem sonstigen Grund eine angemessene Verteidigung des Angeklagten nicht gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen bestünden keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellungen:

Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Mit dieser am 13.12 2019 in Kraft getretenen Vorschrift2 sollten zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel normiert werden. Deshalb kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden3.

Nach diesen Maßstäben rechtfertigen Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie für sich genommen die Entpflichtung nicht4. Etwas Anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen5.

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Daran gemessen ergibt sich aus dem Vorbringen der Pflichtverteidiger für den Bundesgerichshof kein Grund für eine Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellungen:

Der Angeklagte hat nach wie vor Vertrauen in seine Pflichtverteidiger. Er hat erklärt, er gehe nicht von einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses aus, und weiter ausgeführt, dass er insbesondere Rechtsanwalt J. für dessen erbrachte Dienste schätze. Das Vorgehen der Pflichtverteidiger hat er so beurteilt, dass die Pflichtverteidiger ihn lediglich davor hätten bewahren wollen, „ins offene Messer zu laufen“. Im Übrigen hat er erklärt, dass er im Fortgang des Verfahrens auf anwaltliche Hilfe angewiesen sei. Dabei hat er Vorbehalte gegenüber seinen Pflichtverteidigern nicht geäußert, so dass nicht ersichtlich ist, dass er von ihnen etwa in Zukunft anwaltlichen Rat nicht annehmen werde. Aus dem Vorbringen der Pflichtverteidiger, der Angeklagte habe erklärt, wenn seine Pflichtverteidiger ihn nicht mehr vertreten wollten, solle ihm einer der anderen Verteidiger beigeordnet werden, ergibt sich nichts Anderes.

Soweit die Pflichtverteidiger geltend machen, der Angeklagte habe die Entscheidung, sich in Abkehr der bisherigen Verteidigungsstrategie geständig einzulassen, allein getroffen und hierzu ihre Beratung abgelehnt, ist wie das Oberlandesgericht in dem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt hat zunächst zu berücksichtigen, dass ein Angeklagter nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Ausübung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. c EMRK maßgeblich auf seine Verteidigungsstrategie einwirken können muss und ihm grundsätzlich beraten durch seine Verteidiger insoweit die letzte Entscheidungskompetenz zusteht6. Diese hat der Angeklagte vorliegend ausgeübt und sich nachdem er drei Jahre über die Abgabe einer geständigen Einlassung nachgedacht habe entschieden, nicht mehr der von einem Mitangeklagten vorgegebenen Verteidigungsstrategie zu folgen. Auch wenn der Angeklagte es hier entsprechend dem Beschwerdevorbringen abgelehnt hat, vor Abgabe der von ihm angekündigten „umfangreichen geständigen Einlassung“ diese mit den Pflichtverteidigern durchzusprechen und ihnen seine vorbereiteten schriftlichen Unterlagen zu zeigen, belegt dies eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht. Im Einzelnen:

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Der Angeklagte war durch die Pflichtverteidiger beraten; es ist nicht ersichtlich, dass ihm deren Vorschläge für eine Verteidigungsstrategie und die dafür sprechenden Argumente unbekannt waren oder er sie vergessen hatte. Wenn er sich gleichwohl entsprechend seinem subjektiven Anspruch auf aktive Beteiligung am Verfahren in Ausübung seiner Verfahrensrechte für einen Wechsel der Verteidigungsstrategie und eine geständige Einlassung entschied, ist dies von den Verteidigern hinzunehmen. Dementsprechend hat auch Rechtsanwalt J. in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht erklärt, dass er „keine Probleme habe“, die Entscheidung des Angeklagten zu respektieren, ein Geständnis abzulegen.

Etwas Anderes könnte nur gelten, wenn der Verteidiger durch einen solchen Strategiewechsel dazu gebracht würde, etwa an einem falschen Geständnis mitzuwirken; dafür ist indes nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Die Verteidiger dringen zudem nicht damit durch, dass ihnen vor Abgabe der Einlassung deren Inhalt nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein konnte. In der mehr als 100seitigen Anklageschrift werden das Netzwerk eines Mitangeklagten, in das der Angeklagte eingebunden gewesen sein soll, sowie die ihm zur Last gelegten Tathandlungen im Einzelnen dargelegt. Wenn der Angeklagte also ein „umfangreiches Geständnis“ ankündigte, lag nahe, dass dieses inhaltlich jedenfalls im Wesentlichen dem Anklagevorwurf entsprach. Warum angesichts dessen in der Ablehnung, vor Abgabe der Einlassung diese mit den Pflichtverteidigern im Einzelnen durchzusprechen, ein die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses belegendes, die Basis für eine sachgerechte Verteidigung entziehendes Verhalten des Angeklagten zu sehen sein soll, erschließt sich nicht. Vielmehr wird dadurch lediglich der durch die Pflichtverteidiger offenbar bislang empfohlenen Verteidigungsstrategie der Boden entzogen. Dies ist indes wie dargelegt zu akzeptieren.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20

  1. vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 26.02.2020 StB 4/20[]
  2. BGBl. I S. 2128, 2130, 2134[]
  3. vgl. BT-Drs.19/13829 S. 48; näher BGH, Beschluss vom 26.02.2020 StB 4/20[]
  4. BGH, Urteile vom 18.05.1988 2 StR 22/88, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; vom 08.02.1995 3 StR 586/94, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 4; BVerfG, Beschluss vom 26.10.2006 2 BvR 426/06, 1620/06 8[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 18.05.1988 2 StR 22/88, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2[]
  6. vgl. EGMR, Urteil vom 26.01.2010 36822/06, Ebanks v. UK, Rn. 82; zustimmend Lam/MeyerMews, NJW 2012, 177, 179[]