Bei dem Wirkstoff Pseudoephedrin handelt es sich, wenn er wie hier Wirkstoff eines Arzneimittels (im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel1) ist, nicht um einen „Grundstoff“ im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG.

Die Strafvorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG erfordert das Handeltreiben mit einem „Grundstoff“. Die von dem Straftatbestand erfassten „Grundstoffe“ im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG werden durch die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 betreffend Drogenausgangsstoffe2 und Nr. 111/2005 des Rates vom 22.12 2004 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern3 einschließlich deren Anlagen „erfassten Stoffe“ bestimmt4.
Der hier in den Arzneimitteln enthaltene Wirkstoff Pseudoephedrin ist im Anhang – I der genannten Verordnungen jeweils als Stoff der Kategorie 1 erfasst5.
Bei den Pseudoephedrin enthaltenden Medikamenten, mit denen im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall Handel getrieben wurde, müsste es sich angesichts der Auslegung von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG anhand des Unionsrechts um „erfasste Stoffe“ im Sinne der genannten Verordnungen handeln, um von einem Grundstoff gemäß der Strafvorschrift § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG ausgehen zu können. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach Art. 2 Buchstabe a)) Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 und Art. 2 Buchstabe a)) Halbsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 sind unter anderem Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG von den „erfassten Stoffen“ ausgenommen. Dies ergibt sich für den Bundesgerichtshof aus Folgendem:
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 05.12 2013 gemäß § 267 Abs. 3 und 4 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind Arzneimittel gemäß der Definition der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und (EG) Nr. 111/2005 ‚erfasste Stoffe‘ enthalten, gemäß Art. 2 Buchstabe a)) dieser Verordnungen stets von deren Anwendungsbereich ausgenommen, oder ist dies lediglich dann anzunehmen, wenn die Arzneimittel so zusammengesetzt sind, dass sie im Sinne der genannten Verordnungen nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können?“
Mit Urteil vom 05.02.20156 hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf das Vorabentscheidungsverfahren hin für Recht erkannt:
Der jeweilige Art. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 betreffend Drogenausgangsstoffe und der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 des Rates vom 22.12 2004 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern ist dahin auszulegen, dass ein Arzneimittel im Sinne der Definition von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Verordnung (EG) Nr.1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12 2006 geänderten Fassung als solches, selbst wenn es einen in Anhang – I der Verordnung Nr. 273/2004 und im Anhang der Verordnung Nr. 111/2005 genannten Stoff enthält, der leicht verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden kann, nicht als ‚erfasster Stoff‘ eingestuft werden kann.
Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf die Auslegung von § 1 Nr. 1, § 3 und § 19 Abs. 1 GÜG schließt es aus, das in den gehandelten bzw. transportierten Medikamenten Reactine Duo, Rhinopront und Zyrtec-D enthaltene Pseudoephedrin ungeachtet dessen leichter Extrahierbarkeit aus dem jeweiligen Medikament als „Grundstoff“ zu bewerten. Angesichts der Inhaltsbestimmung des genannten Merkmals des inländischen Rechts anhand der Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und Nr. 111/2005 kann ein Arzneimittel im Sinne Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, zu denen die hier gegenständlichen Medikamente sämtlich gehören, nicht als „erfasster Stoff“ im Sinne des Unionsrechts und damit nicht als Grundstoff nach § 1 Nr. 1, § 3 GÜG bewertet werden.
Allerdings will der Bundesgerichtshof eine Strafbarkeit wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht ausschließen. So wurden vorliegend sämtliche erworbenen, Pseudoephedrin enthaltenden Medikamente in die Tschechische Republik verbracht, um dort in Methamphetamin umgesetzt zu werden. Die Umsetzung in Methamphetamin erfolgte zeitnah und dieses wurde mit Gewinnerzielungsabsicht verkauft. Alle Beteiligten hätten dabei von Anfang an billigend in Kauf genommen, dass die gehandelten Tabletten zur Herstellung von Rauschgift Verwendung finden und dieses anschließend illegal gehandelt werden würde.
Bereits diese Feststellungen legen für den Bundesgerichtshof die Möglichkeit einer Strafbarkeit zumindest wegen Beihilfe zum jeweils unerlaubten Handeltreiben mit oder zum Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nahe. Dass es sich bei Pseudoephedrin selbst nicht um einen dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Stoff handelt, steht nicht entgegen7.
Desweiteren ist bei der Prüfung einer nicht von vornherein ausgeschlossenen Strafbarkeit nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) zu bedenken, dass Pseudoephedrin nach der Anlage 1 zu § 1 Nr. 1 und § 5 AMVV in der für den Tatzeitraum maßgeblichen Fassung vom 21.07.2010 nicht zu den Inhaltsstoffen eines Arzneimittels gehörte, die zu einer Verschreibungspflicht führten.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. April 2015 – 1 StR 388/13
- ABl. EU Nr. L 311 vom 28.11.2001 S. 67[↩]
- ABl. EU Nr. L 47 vom 18.02.2004 S. 1 ff.[↩]
- ABl. EU Nr. L 22 vom 26.01.2005 S. 1 ff. sowie Nr. L 61 vom 02.03.2006 S. 23[↩]
- vgl. Volkmer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, Vorbemerkung zu §§ 19 bis 21 GÜG Rn. 3[↩]
- siehe nur ABl. EU Nr. L 47 vom 18.02.2004 S. 7[↩]
- EuGH, urteil vom 05.02.2015 – verbundene Rechtssachen C627/13 und C2/14, ABl. EU 2015 Nr. C 107, 11[↩]
- vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 1 Rn. 13[↩]