Rechtliches Gehör – und keine deutschen Sprachkenntnisse

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen1.

Rechtliches Gehör – und keine deutschen Sprachkenntnisse

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verpflichtung, jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden, besteht nicht.

Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt2.

Solche Umstände lagen für das Bundesverfassungsgericht in dem hier entschiedenen Fall vor: Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeschrift darauf hingewiesen, dass in der Strafanzeige ausdrücklich unter dem Punkt „Sprachmerkmale /Deutsche Sprache“ vermerkt wurde: „kein deutsch“. Das Landgericht hat sich in seiner Beschwerdeentscheidung mit diesem Vortrag nicht auseinandergesetzt. Nachdem dieser Vermerk der Annahme, der Beschwerdeführer spreche hinreichend Deutsch, um den Inhalt des Strafbefehls und der Rechtsbehelfsbelehrung zu verstehen, entgegensteht, hätte es einer Begründung bedurft, warum das Landgericht dennoch von hinreichenden Sprachkenntnissen ausgeht. Auch den Hinweis des Beschwerdeführers, dass das Gespräch mit den Polizisten möglicherweise auf Englisch geführt wurde, was er zumindest ansatzweise beherrscht, hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen. Der Akteninhalt ist angesichts des Vermerks zu den Sprachkenntnissen zumindest nicht eindeutig, so dass sich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen aufdrängt. Es hätte daher einer Erläuterung bedurft, warum das Landgericht dies für nicht erforderlich hielt.

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Der Gehörsverstoß ist durch die Entscheidung über die Gehörsrüge nicht geheilt worden, da auch im Beschluss vom 17.10.2016 keine Auseinandersetzung mit dem vorgetragenen Umstand erfolgte, sondern lediglich floskelhaft ausgeführt wurde, die Schriftsätze seien bei der getroffenen Entscheidung berücksichtigt worden.

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch entscheidungserheblich, da das Gericht bei Berücksichtigung des Vortrags zu den Sprachkenntnissen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Das Landgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob das Fehlen der nach § 187 Abs. 2 GVG bei mangelnden Sprachkenntnissen erforderlichen Übersetzung die Unwirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls zur Folge hat. Auf die Frage der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages kommt es daher erst dann an, wenn das Landgericht von der Wirksamkeit der Zustellung ausgehen sollte.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. Januar 2017 – 2 BvR 2272/16

  1. BVerfGE 83, 24, 35[]
  2. BVerfGE 22, 267, 274; 87, 363, 392 f.; 96, 205, 216 f.[]