Die Leistung von Rechtshilfe in Form der Vernehmung eines in der Türkei angeklagten, in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen ist auch dann zulässig, wenn dieser wegen Taten, denen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, in Deutschland bereits rechtskräftig verurteilt wurde.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Rechtshilfe ist vorliegend Art. 1 Abs. 1 EuRhÜbK, vgl. § 1 Abs. 3 IRG. Unter diese Rechtshilfeverpflichtung fällt auch die Vernehmung einer deutschen Staatsangehörigen, gegen die in der Türkei Anklage erhoben wurde, durch einen deutschen Richter [1].
Der Strafklageverbrauch steht der Leistung von Rechtshilfe nicht entgegen.
Nach deutschem Recht verbürgt Art. 103 Abs. 3 GG den Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung [2], verwehrt wird hierdurch grundsätzlich allerdings nur eine mehrmalige Verurteilung eines Straftäters durch deutsche Gerichte [3]. Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. § 59 Abs. 3 IRG hindert die Leistung von Rechtshilfe daher nicht, da vorliegend nicht das Verhältnis zwischen deutschen Gerichten betroffen ist. § 59 Abs. 3 IRG soll gewährleisten, dass die gesetzlichen Beschränkungen, die für innerdeutsche Verfahren gelten (wie die Einschränkungen bei Zwangsmaßnahmen, Beschlagnahmeverbote, Beachtung des Steuergeheimnisses u. ä.), auch bei der Leistung von Rechtshilfe für ausländische Staaten Beachtung finden [4]. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, es sei nur für solche ausländischen Verfahren Rechtshilfe zu leisten, die der deutschen Strafprozessordnung entsprechen [5]. Im Rechtshilferecht entscheidet über die Wirksamkeit eines Verfahrensaktes vielmehr das Recht, in dessen Geltungsbereich dieser Verfahrensakt vorgenommen wurde [6]. Dies ist vorliegend das türkische Recht, auf dessen Grundlage das Schwerstrafgericht Bakirköy-Istanbul, 11. Kammer, entschieden hat, die Angeklagte in Deutschland richterlich vernehmen zu lassen. Diese Entscheidung – sowie die spätere Verwertbarkeit dieser Vernehmung – ist der Nachprüfung durch deutsche Stellen entzogen [6].
Eine umfassende Geltung des Grundsatzes ne bis in idem war bei Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht anerkannt; vielmehr bezog sich dieser Grundsatz ausschließlich auf innerstaatliche Sachverhalte [7]. Eine entsprechende Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG ist auch heute nicht feststellbar [8]. Vielmehr sehen Staaten gerade die Ausgestaltung und Ausübung ihrer Strafgewalt als wesentliches souveränes Recht an [7].
Von der Frage der Zulässigkeit der Rechtshilfeleistung in Form der Vernehmung der Angeklagten durch ein deutsches Gericht ist die (sich möglicherweise anschließende) Frage der Auslieferung der Angeklagten an die Türkei zu unterscheiden. Hierfür gelten gesonderte Vorschriften, insbesondere Art. 9 EuAlÜbk, der einer Mehrfachverfolgung durch beide Vertragsstaaten in Form eines Auslieferungshindernisses entgegenwirken soll, wenn der Verfolgte wegen derselben Tat im ersuchten Staat bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde [9]. Dieses Auslieferungshindernis hat allerdings seinen Ursprung eher in dem Anspruch des Individualstaates, Entscheidungen der eigenen Justiz von äußeren Einflüssen freizuhalten und eigene Staatsangehörige vor einem Zugriff fremder Justizordnungen zu schützen [10].
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 30. Juli 2015 – 1 Ausl. 218/15; 1 Ausl 218/15
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 05.02.2013 – 1 Ausl 60/12; OLG Karlsruhe, NJW 1990, 2208; OLG Köln, Beschluss vom 12.02.2004 – Ausl 25/04[↩]
- vgl. Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, Exkurs vor Art. 54 SDÜ, Rn. 5, S. 1667[↩]
- BVerfGE 75, 1; BVerfG, Beschluss vom 15.12 2011 – 2 BvR 148/11[↩]
- vgl. Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 59 IRG, Rn. 31[↩]
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.10.2000 – 2 Ausl II 25/00[↩]
- OLG Celle, a.a.O.[↩][↩]
- BVerfG, Beschluss vom 04.12 2007 – 2 BvR 38/06[↩][↩]
- BVerfGE 75, 1; BVerfG, Beschluss vom 04.12 2007 – 2 BvR 38/06; BVerfG, Beschluss vom 15.12 2011 – 2 BvR 148/11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.03.2014 – 2 Ws 98/14; Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Art. 54 SDÜ, Rn. 3[↩]
- OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.04.1985 – 1 AK 15/08[↩]
- Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Exkurs zu Art. 54 SDÜ, Rn. 10, S. 1668[↩]