Revisionsauftrag bereits vor der Hauptverhandlung – und die Wiedereinsetzung

Auch wenn ein Angeklagter seinen Verteidiger grundsätzlich hinsichtlich der zugesagten Einlegung von Rechtsmitteln und deren Begründung nicht zu überwachen braucht1, kann wegen einer zwischenzeitlichen Veränderung der Situation (hier: ein abgelegtes Teilgeständnis) die Obliegenheit des Angeklagten zu einer Klarstellung gegenüber seinem Verteidiger bestehen, gegen das verkündete Urteil Rechtsmittel einzulegen.

Revisionsauftrag bereits vor der Hauptverhandlung – und die Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlichen Angaben sind ebenso wie ihre Glaubhaftmachung Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags2.

Darzulegen und glaubhaft zu machen sind auch diejenigen Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller ohne eigenes Verschulden gehindert war, die versäumte Rechtsmittelfrist einzuhalten3. Dazu gehört der Vortrag eines Lebenssachverhalts, der das fehlende Verschulden an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung sonst entgegenstehen4.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall genügte das Wiedereinsetzungsgesuch nicht diesen Anforderungen:

Der Antrag legt keinen Sachverhalt dar, aus dem sich eine seitens des Angeklagten unverschuldete Säumnis ergibt. Er lässt bereits nicht deutlich erkennen, dass der Angeklagte seinen Verteidiger mit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil beauftragt hatte, was aber für eine unverschuldete Säumnis des Angeklagten erforderlich ist5. Ausweislich des Wiedereinsetzungsgesuchs hatte der Angeklagte einen solchen Auftrag zwar vor dem letzten Termin zur mündlichen Verhandlung für den Fall einer Verurteilung erteilt. Zeitlich danach hat der bis dahin bestreitende Angeklagte aber „nach Vorbereitung durch den Unterzeichner“ (seinem Verteidiger) ein Teilgeständnis in dem Termin zur Hauptverhandlung abgelegt, in dem auch das Urteil verkündet worden ist. Angesichts der gegenüber dem Zeitpunkt der behaupteten Beauftragung erheblich veränderten Sachlage war der Angeklagte gehalten, sich zu vergewissern, dass sein Verteidiger den vor dem Teilgeständnis erteilten Rechtsmittelauftrag auch tatsächlich erfüllen würde6. Dazu verhält sich der Antrag nicht. Vielmehr spricht der weitere Vortrag gerade dafür, dass sich der Angeklagte nach der Urteilsverkündung und seiner unmittelbar nachfolgenden Ausreise in die Türkei jedenfalls bis zum 20.02.2017 gar nicht mehr um die Revisionseinlegung gekümmert hat.

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Auch wenn ein Angeklagter seinen Verteidiger grundsätzlich hinsichtlich der zugesagten Einlegung von Rechtsmitteln und deren Begründung nicht zu überwachen braucht1, bestand wegen der dargelegten Veränderung der Situation hier die Obliegenheit des Angeklagten zu einer Klarstellung gegenüber seinem Verteidiger, gegen das verkündete Urteil Rechtsmittel einzulegen. Dass er dem nachgekommen wäre, ergibt sich aus dem Antrag ebenfalls nicht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 1 StR 240/17

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 11.01.2016 – 1 StR 435/15, wistra 2016, 163[][]
  2. BGH, Beschlüsse vom 24.07.2012 – 1 StR 341/12; vom 07.06.2013 – 1 StR 232/13; vom 14.01.2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145 f.; und vom 21.11.2016 – 1 StR 526/16 [in NStZ-RR 2017, 48 nur redaktioneller Leitsatz] mwN[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 14.01.2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145 f.; und vom 21.11.2016 – 1 StR 526/16 [in NStZ-RR 2017, 48 nur redaktioneller Leitsatz] mwN; vgl. auch BeckOK StPO/Cirener, 27. Edition, § 45 Rn. 6; Maul in KK-StPO, 7. Aufl., § 45 Rn. 6[]
  4. BeckOK StPO/Cirener aaO[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145, 146; BeckOK StPO/Cirener aaO § 44 Rn. 24a mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 23.09.2015 – 4 StR 364/15, NStZ 2017, 172 f.[]