Richterablehnung im Vollstreckungsverfahren

Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO findet im Vollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung. Ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch, das Mitglieder einer Strafvollstreckungskammer betrifft, ist regelmäßig unzulässig, eine Anfechtung kann nur zusammen mit einer Anfechtung der Endentscheidung erfolgen.

Richterablehnung im Vollstreckungsverfahren

Ob § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO im Vollstreckungsverfahren überhaupt – entsprechende – Anwendung findet, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings höchst umstritten.

Während bspw. die Oberlandesgerichte Hamm1, Zweibrücken2 und Saarbrücken3 § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nur im Erkenntnisverfahren anwenden wollen und eine entsprechende Anwendung im Vollstreckungsverfahren ablehnen, sprechen sich u.a. das Oberlandesgericht Düsseldorf4, das Kammergericht Berlin5 und das Brandenburgische Oberlandesgericht6 für eine entsprechende Anwendung aus. Das Oberlandesgericht Braunschweig schließt sich dieser letztgenannten Ansicht, die in der Literatur nahezu einhellig vertreten wird7, an.

§ 28 Abs. 2 S. 2 StPO trägt dem Gedanken der Prozesswirtschaftlichkeit8 Rechnung und begrenzt im Interesse einer möglichst raschen Entscheidung deswegen die Möglichkeit, gegen eine auf ein Ablehnungsgesuch ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegen zu können. Auch wenn damit – schon nach dem Wortlaut der Vorschrift – die ungehinderte, störungsfreie und beschleunigte Hauptverhandlung, die nicht beliebig unterbrochen werden kann9, also das Erkenntnisverfahren gemeint ist, besteht das in der Regelung zum Ausdruck gekommene Bedürfnis der eingeschränkten Nachprüfung einer Vorabentscheidung im Vollstreckungsverfahren gleichermaßen. Im Rahmen von nach § 305 StPO zu bewertenden Zwischenentscheidungen der Strafvollstreckungskammer ist dies unbestritten10.

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Eine Vielzahl der ihr obliegenden Entscheidungen trifft die Strafvollstreckungskammer aufgrund einer mündlichen Anhörung, bspw. bei Aussetzung eines Strafrestes (§ 454 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3 StPO) oder Entscheidungen zur Fortdauer einer Maßregel (§§ 463 StPO, 67e StGB), wobei im Regelfall andere Beteiligte (Bewährungshelfer, Sachverständige, behandelnde Ärzte usw.) an der Anhörung teilnehmen. Häufig stehen die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer, bspw. bei der Frage, ob eine Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug erfolgen kann, ob eine bewilligte Straf- oder Maßregelaussetzung zum Schutz der Allgemeinheit zu widerrufen ist oder ob Maßnahmen der sog. Krisenintervention zu ergreifen sind, unter faktischem oder auf gesetzlicher Regelung beruhendem Zeitdruck. Überschreitet die Strafvollstreckungskammer bspw. die ihr durch § 67e Abs. 2 StPO gesetzten Überprüfungsfristen, kann das in besonderem Maße geschützte Freiheitsrecht des Betroffenen dadurch verletzt sein11. Der Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit lässt sich daher in jeder Hinsicht auch auf das Vollstreckungsverfahren übertragen und rechtfertigt damit auch die entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zugleich ist dies mit dem Vorteil verbunden, dass diese Vorschrift dann gleichermaßen ausgelegt und angewendet wird, wie bei der Anfechtbarkeit von (sonstigen) Zwischenentscheidungen der Strafvollstreckungskammer die Vorschrift des § 305 StPO.

Die insoweit hierzu teilweise in der Rechtsprechung abweichend vertretene Ansicht, die den Begriff des erkennenden Richters in § 305 StPO anders auslegt als in § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO und teilweise sogar noch nach der Verfahrensart differenziert, in der die Strafvollstreckungskammer tätig wird12, führt demgegenüber zu einer unübersichtlichen und damit – aus Sicht eines Beschwerdeführers – nicht praxistauglichen Zersplitterung der Rechtswege13.

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Das Oberlandesgericht Braunschweig schließt sich daher der zuletzt genannten Rechtsprechung an und behandelt die Strafvollstreckungskammer somit uneingeschränkt wie ein erkennendes Gericht, was im vorliegenden Fall dann aber die Unzulässigkeit des Rechtsmittels zur Folge hat.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 13. Juli 2012 – Ws 199 – 201/12, Ws 199 /12, Ws 200/12, Ws 201/12

  1. OLG Hamm, Beschluss vom 25.06.2009 – 2 Ws 172/09[]
  2. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.11.2007 – 1 Ws 479/07[]
  3. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 06.02.2007 – 1 Ws 18/07[]
  4. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.10.1986 – 1 Ws 859/86[]
  5. KG, Beschluss vom 22.01.2003 – 1 AR 63/03[]
  6. OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.07.2004 – 1 Ws 99/04[]
  7. vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 28, Rdnr. 6a; Fischer in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage, § 28, Rdnr. 5; Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 28, Rdnr. 16; Alexander in Radke/Hohmann, StPO, Rdnr. 6 zu § 28; a.A. aber: Temming in Heidelberger Kommentar, StPO 4. Aufl., Rdnr. 9 zu § 28[]
  8. Meyer-Goßner, a.a.O.[]
  9. Siolek, a. a. O.[]
  10. vgl. OLG Hamm, NStZ 1987, 93; Appl in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl., Rdnr. 34 zu § 454[]
  11. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2011 – 2 BvR 1665/10[]
  12. vgl. HansOLG Hamburg, ZfStrVo 1995, 184; OLG München, Beschluss vom 18.03.1998 – 2 Ws 87/88[]
  13. vgl. dazu Brandenburgisches OLG, a.a.O., KG Berlin, a.a.O.[]
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