Richterablehnung – wegen einer den Verfahrensgegenstand betreffenden Vorbefassung

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist bei dem Ablehnenden gegeben, wenn er bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, welche die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Richterablehnung – wegen einer den Verfahrensgegenstand betreffenden Vorbefassung

Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen1.

Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen2.

Ein Ablehnungsgrund kann sich aus der Vorbefassung mit dem Sachverhalt ergeben, wenn besondere Umstände über die bloße Vorbefassung hinaus vorliegen. Solche Umstände können zum Beispiel darin bestehen, dass die frühere Entscheidung unnötige oder unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthält3 oder sich der Richter in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat4.

Auf die Frage, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen war, kommt es nicht an. Es genügt eine aus konkreten Umständen verständliche Besorgnis der Voreingenommenheit. Dies ist nicht aus der Perspektive des abgelehnten Richters zu bewerten, sondern aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten5.

Nach diesem Maßstab war im hier entschiedenen Fall die Ablehnung des Vorsitzenden der Strafkammer bei einer Gesamtschau aller vom Angeklagten sowohl zum Gegenstand seines Ablehnungsgesuchs als auch seiner Verfahrensrüge gemachten und nach Aktenlage sowie dienstlicher Erklärung zutreffend vorgetragenen Umstände des Falles begründet. Die Aspekte sind nicht isoliert, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet, die Richterablehnung zu rechtfertigen.

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In der gebotenen Gesamtschau ist zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Vorsitzende an dem Urteil über den Freispruch der später Getöteten mitgewirkt hatte, in dem unnötige und sachlich nicht gerechtfertigte abwertende Bemerkungen über die Person des Angeklagten enthalten waren.

Dies gilt zunächst für die dortige Bezeichnung des Angeklagten als „impertinenter“ Vater. Mit dem Attribut „impertinent“ wird nach dem Sprachgebrauch eine Person bezeichnet, die in herausfordernder Weise ungehörig, frech oder unverschämt ist. Zu einer derartigen Kennzeichnung im Urteil bestand auch zur Unterstreichung der gegen die Glaubwürdigkeit der Person und die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Angeklagten angemeldeten Bedenken kein sachlicher Grund.

Auch die weitere Bezeichnung des Angeklagten als eine Person, die in einem früheren Gerichtsverfahren einen „gedungenen Zeugen“ aufgeboten habe, war nicht angebracht. Eigene Feststellungen zu einer solchen Verleitung eines Zeugen zu einer Falschaussage durch den Angeklagten hatte die Schwurgerichtskammer nicht getroffen. Solche Feststellungen konnten auch nicht durch Hinweis auf das Urteil des Amtsgerichts ersetzt werden; denn darin waren keine konkreten Feststellungen zu einer Zeugenbeeinflussung durch den Angeklagten getroffen worden.

Ferner kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung auch der Tatsache Bedeutung zu, dass über eine Tat zu urteilen war, zu der sich der Angeklagte nach seiner Einlassung auch durch den vom abgelehnten Richter mit zu verantwortenden; vom Revisionsgericht aufgehobenen Freispruch motiviert sah.

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Schließlich fällt ins Gewicht, dass der abgelehnte Vorsitzende sich in einem anderen Verfahren auch über die „Selbstjustiz“ durch den Angeklagten kritisch geäußert und dabei eine Bewertung vorgenommen hatte, die in dem Verfahren gegen den Angeklagten bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe und der besonderen Schwere der Schuld von Bedeutung sein würde.

Aus der Zusammenschau dieser Gesichtspunkte konnte auch ein besonnener Angeklagter aus seiner Sicht die Besorgnis der Befangenheit herleiten.

Diese Besorgnis wurde nicht durch die dienstliche Erklärung des abgelehnten Vorsitzenden ausgeräumt. Diese kann die genannten Gesichtspunkte weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit maßgeblich relativieren.

Der Hinweis darauf, dass eine Herabsetzung des Angeklagten mit der Bezeichnung als „impertinenter Vater“ und als eine Person, die bereits früher einen „gedungenen Zeugen“ aufgeboten habe, von ihm nicht beabsichtigt worden sei, genügt nicht. Entscheidend ist auf den nach außen hervorgerufenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen, ohne dass es maßgeblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich seiner inneren Haltung entspricht6.

Die Erklärung des Vorsitzenden, dass seine in der Presse zitierte Bemerkung über „Selbstjustiz“ nach der Tat des Angeklagten „mit einer ethnopolitischen Einstellung nichts zu tun“ gehabt habe, lässt den Sachverhalt nicht in einem anderen Licht erscheinen. Maßgeblich ist, dass der abgelehnte Richter in einem anderen Verfahren einen wertenden Bezug zur Tat des Angeklagten hergestellt hatte, über die er absehbar zu entscheiden hatte. Die nachvollziehbare Betroffenheit im Landgericht über die Tat ändert nichts am Gebot für einen absehbar zur Entscheidung über diese Tat berufenen Richter, sich bei öffentlichen Äußerungen hierzu zurückzuhalten.

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Die dienstliche Erklärung des abgelehnten Vorsitzenden vermag auch nicht den Gesamteindruck des Einzelfalls zu relativieren, zumal er darin nur von einem Fall der „bloßen Vorbefassung“ mit Teilen des Sachverhalts ausgegangen ist, aber die besonderen Akzente der Fallkonstellation nicht in den Blick genommen hat.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16

  1. vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 12.11.2009 – 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342 f.; Beschluss vom 08.05.2014 – 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 27.04.1972 – 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; Beschluss vom 10.08.2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 222[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 521; Beschluss vom 19.08.2014 – 3 StR 283/14, NStZ 2015, 46; Urteil vom 10.02.2016 – 2 StR 533/14, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vortätigkeit 3[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 29.03.2012 – 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211, 212[]