Das Tragen von „Rocker-Kutten“, auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen „Chapters“ angebracht sind, ist nicht strafbar. Das jedenfalls bestätigte jetzt der Bundesgerichtshof – und beschreibt damit doch nur die halbe Realität:

Worum geht es? § 9 des Vereinsgesetzes verbietet es u.a., Kennzeichen eines verbotenen Vereins öffentlich zu verwenden. Gleichzeitig stellt § 20 VereinsG die öffentliche Verwendung eines solchen Kennzeichens unter Strafe.
Zu diesen Kennzeichen zählen nach § 9 Abs. 2 VereinsG insbesondere auch Uniformstücke und andere Kennzeichen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. Erfasst von diesem Verbot sind damit also auch die Kutten der Motorradclubs, die ja gerade ein wesentlicher Bestandteil sowohl im geschlossenen Außenauftritt der Bandidos wie der Hells Angels wie auch in ihrer Abgrenzung zu Nichtmitgliedern sind. Denn diese Lederwesten sind im wesentlichen für alle Chapter der weltweit auftretenden Motorradclubs einheitlich gestaltet: So befindet sich etwa auf der Bandidos-Kutte unterhalb des Schriftzugs „Bandidos“, dem sogenannten Top-Rocker, als Mittelemblem die Figur eines mit einem Sombrero und einem Poncho bekleideten, mit einer Machete und einem Revolver bewaffneten Mexikaners, der „Fat Mexican“. Darunter findet sich ein weiterer Schriftzug, der sogenannte „Bottom-Rocker“, der in Deutschland entweder auf die nationale Hauptgruppe „Germany“ verweist, oder die Bezeichnung der jeweiligen Ortsgruppe enthält.
Mit dem vereinsrechtlichen Verbot einzelner Chapter der Bandidos und der Hells Angels gab es nun für die verbleibenden, nicht verbotenen örtlichen Chapter das Problem, dass die Behörden die Kutten der „Hells Angels“ oder „Bandidos“ unabhängig von der dort angebrachten Chapter-Kennzeichnung im „Bottom-Rocker“ generell als Kennzeichen eines verbotenen Vereins ansahen. Ein Ergebnis, dass vom Gesetzgeber durchaus so gewollt war, denn der hatte in § 9 Abs. 3 VereinsG das Kennzeichenverbot – eben mit den Motorradclubs im Hinterkopf – auch auf solche Kennzeichnen ausgedehnt, „die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen, die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilenden Vereinen verwendet werden.“. Mit anderen Worten: Ist ein Chapter bestandskräftig verboten (wie bei den Bandidos etwa das Chapter Neumünster und – noch nicht bestandskräftig – das Chapter Aachen), sollen auch die anderen Chapter nicht mehr die Bandido-Kutte (resp. die Hells-Angels-Kutte) tragen dürfen. Diese Auffassung vertritt etwa auch das Innenministerium Nordrhein-Westfalen in einem Runderlass an seine örtlichen Polizeibehörden.
Zwei Bandidos, Mitglieder örtlicher „Chapter“ in Unna und Bochum, wollten diese Frage geklärt wissen und begaben sich am 1.08.2014 in Begleitung ihrer Verteidiger zum Polizeipräsidium Bochum. Sie trugen jeder eine Weste, auf der sich als Mittelabzeichen („Center Crest“) der „Fat Mexican“ und darüber der beschriebene Aufnäher mit dem Schriftzug „Bandidos“ befanden. Jeweils als untere Abgrenzung waren Aufnäher mit den Ortsbezeichnungen ihrer „Chapter“ Unna und Bochum angebracht.
Die Justiz sah sich hierdurch offensichtlich in ihren Grundfesten erschüttert und erhob gegen die beiden Rocker – obwohl § 20 VereinsG als Strafmass überhaupt nur Freiheitsstrafe bis 1 Jahr oder Geldstrafe – also eine Strafe am untersten Grenze – vorsieht – Anklage nicht etwa beim Strafrichter des Amtsgerichts, sondern direkt bei der Großen Strafkammer des Landgerichts Bochum. Und erlebten hier eine „Überraschung“: Denn anders noch als einige Monate zuvor in einem ähnlichen Verfahren das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg [1], dass die einzelnen Kuttenaufnäher – Top-Rocker, Center Crest und Bottom-Rocker – jeweils für sich genommen als Kennzeichen verbotener Vereine qualifiziert und zumindest für den Top-Rocker und das Center Crest ein bundesweites Verbot und die Strafbarkeit des Tragens festgestellt hatte, nahmen die Bochumer Richter das gesamte Erscheinungsbild der Kutte – also einschließlich des auf das örtliche Chapter in Unna bzw. Bochum hinweisenden Bottem-Rockers in eine einheitliche Betrachtung und sprachen die beiden Bandidos frei [2].
Nach Auffassung des Landgerichts Bochum haben sich die Angeklagten durch das Tragen ihrer Kutten nicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5; § 9 Abs. 1 VereinsG strafbar gemacht. Es sei, so das Landgericht Bochum in seinen Entscheidungsgründen, nicht auf eine verbotene Ortsgruppe hingewiesen worden. Das mit den unterschiedlichen „Bottom-Rockern“ zusammengesetzte Kennzeichen sei mit dem der verbotenen Vereine in Aachen und Neumünster auch nicht zum Verwechseln ähnlich. Schließlich könne auch nicht festgestellt werden, dass die Ortsgruppen der Angeklagten die Ziele der beiden verbotenen „Chapter“ geteilt hätten. Oder mit einer Analogie aus dem Fußball gesprochen: Nur weil ein Fanclub randaliere, dürfe man nicht auch das Vereinslogo verbieten.
Die gegen diesen Freispruch von der Staatsanwaltschaft Bochum eingelegte; und vom Generalbundesanwalt vertretene Revison hat der Bundesgericht jetzt verworfen und den Freispruch im Ergebnis bestätigt:
Die Angeklagten hätten, so der Bundesgerichtshof, auf ihren Kutten mit dem stilistisch einheitlich gestalteten „Bandidos“-Schriftzug und dem „Fat Mexican“ zwar Kennzeichen auch des verbotenen „Chapters“ Neumünster angebracht. Darin allein liegt indes, wie der Bundesgerichtshof bereits in ähnlicher Konstellation zu § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) entschieden hat, dann kein tatbestandsmäßiges Verwenden der Kennzeichen, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Schutzzweck der Norm im konkreten Fall nicht berührt wird. So verhält es sich hier: Aus dem jeweiligen Ortszusatz ergibt sich eindeutig, dass die Angeklagten den „Bandidos“-Schriftzug und den „Fat Mexican“ nicht als Kennzeichen des verbotenen „Chapters“, sondern als solche ihrer jeweiligen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsgruppen trugen und damit gerade nicht gegen den Schutzzweck des – auf die jeweiligen Ortsgruppen beschränkten – Vereinsverbots verstießen.
Eine Strafbarkeit wegen Tragens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von einem – nicht verbotenen – Schwesterverein verwendet wird (§ 9 Abs. 3 VereinsG), hat der Bundesgerichtshof aus Rechtsgründen ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber diese Regelung nicht in die Strafvorschrift des Vereinsgesetzes einbezogen hat.
Im Jahr 2002 hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 9 Abs. 3 in das Vereinsgesetz eingeführt, um „klarzustellen“, dass die Hinzufügung eines Ortszusatzes zur Abgrenzung von dem verbotenen Verein nicht ausreichen solle, wenn der Schwesterverein dessen Zielrichtung teile. Diese Regelung betrifft jedoch unmittelbar nur das polizeirechtliche Kennzeichenverbot des § 9 VereinsG. Die hier anzuwendende Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG enthält jedoch keinen ausdrücklichen Bezug auf § 9 Abs. 3 VereinsG, sondern (in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG) lediglich auf dessen Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2. Eine Verurteilung der Angeklagten ohne eine ausdrückliche Einbeziehung von § 9 Abs. 3 VereinsG in die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 VereinsG durch den Gesetzgeber verstieße aber gegen den verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB).
Dies bedeutet, dass das Tragen einer Kutte mit den von allen „Chaptern“ der „Bandidos“ benutzten Kennzeichen („Bandidos“-Schriftzug und „Fat Mexican“) zusammen mit dem Ortszusatz eines nicht verbotenen „Chapters“ unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 VereinsG nach derzeitiger Rechtslage zwar polizeirechtlich verboten sein dürfte, aber jedenfalls nicht strafbar ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15
- OLG Hamburg, Urteil vom 07.04.2014 – 120/13 (Rev) – 1 Ss 38/13[↩]
- LG Bochum, Urteil vom 28.10.2014 – II6 KLs – 47 Js 176/14 – 4/14[↩]
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