Mit der Strafbarkeit wegen Verwendens der Kennzeichen eines verbotenen Vereins durch das Tragen sog. Rockerkutten hatte sich in diesem Sommer der Bundesgerichtshof zu befassen. Konkret ging es um das Tragen von Bandidos-Kutten eines Bandidos-MC, der selbst noch nicht verboten war.

Der Bundesgerichtshof ist zunächst davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt sind, weil die beiden verbotenen Vereine keine Vereinigungen im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen; sie sind zwar verboten, aber nicht, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
Sodann verneint der Bundesgerichtshof auch eine Strafbarkeit wegen öffentlicher Verwendung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG.
Dabei ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass sich das auf den Rückseiten der Westen angebrachte Mittelabzeichen („Fat Mexican“) sowie der Aufnäher mit dem Schriftzug „Bandidos“ vereinsrechtlich je für sich als Kennzeichen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG darstellen.
Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 VereinsG nimmt zwar auf § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG Bezug. Dort findet sich indes keine allgemein gültige gesetzliche Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Vielmehr werden lediglich beispielhaft insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen als Kennzeichen genannt. In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG – wie für § 86a Abs. 1 StGB – optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist; intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken1. Soweit darüber hinaus vertreten wird, von dem Kennzeichen müsse eine Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals ausgehen2, kann dem nicht gefolgt werden. Es reicht vielmehr aus, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint3, ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt4. Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. Denn andernfalls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen: Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein5.
Nach diesen Maßgaben handelt es sich zunächst bei dem Mittelabzeichen, dem „Fat Mexican“, das als Wappen der „Bandidos“ dient6, um ein Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2, § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG: Nach dem Willen der Personen, die es tragen, bringt es die Identifikation – auch – mit den jeweiligen Ortsvereinen zum Ausdruck, die als regionale Chapter der „Bandidos-Bewegung“ agieren und sowohl für sich genommen, als auch als Teil der „Bandidos“ als Einheit wahrgenommen werden wollen. Aber auch der Schriftzug „Bandidos“ erfüllt die Voraussetzungen eines Kennzeichens: Zwar ist der Name einer Vereinigung oder eines Vereins als solcher – sofern nicht besondere Umstände hinzutreten – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Kennzeichen7. Etwas anderes gilt indes, wenn er eine bestimmte Formgebung erfahren hat, etwa in signifikanten Schriftzügen dargestellt wird, und sich deshalb als Erkennungszeichen darstellt, das einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweist8. So verhält es sich hier: Der Aufnäher mit dem „Bandidos“-Schriftzug ist sowohl was die Farbgebung, die ausgewählte Schriftart mit den Großbuchstaben und die Formgebung betrifft, darauf ausgelegt, als einheitliches Erkennungszeichen mit Wiedererkennungswert zu wirken; insoweit verfolgen die Träger dieses Aufnähers damit die gleichen Zwecke wie mit dem Tragen des Mittelabzeichens6. Zu Recht ist das Landgericht deshalb davon ausgegangen, dass der Namensschriftzug in dieser Form aufgrund der beschriebenen Gestaltung und des damit verbundenen signifikanten Erscheinungsbildes ein Abzeichen im Sinne des Kennzeichenbegriffs darstellt9. Ob er sich auch als Uniformstück im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG erweist10, kann deshalb ebenso offen bleiben, wie die von der Strafkammer verneinte Frage, ob auch die Aufnäher „MC“ und „1%“ Kennzeichen im Sinne des Vereinsrechts darstellen11.
Die Kennzeicheneigenschaft besteht hinsichtlich beider Abzeichen jeweils für sich genommen; insbesondere ist nicht auf das Zusammenspiel von Vorder- und Rückseite der Weste als Ganzes12 oder auch nur auf das Ensemble sämtlicher Abzeichen auf der Rückseite der Weste (sogenanntes Rückenpatch, so aber Albrecht/Braun aaO; Albrecht, HRRS 2015, 167, 169; vgl. insoweit aber auch BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 49) abzustellen: Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG nennt als Kennzeichen insbesondere Abzeichen, so dass zur Beantwortung der Frage, ob Kennzeichen eines verbotenen Vereins verwendet wurden, die einzelnen Abzeichen des verbotenen Vereins mit den verwendeten zu vergleichen sind13. Die Gegenauffassung verkennt in diesem Zusammenhang wiederum, dass mit der Berücksichtigung vorrangig des Zusammenspiels der einzelnen Abzeichen oder Symbole auf außerhalb des Kennzeichens liegende Umstände seiner Verwendung abgestellt würde, die – wie dargelegt – bei der Prüfung der Kennzeicheneigenschaft unberücksichtigt zu bleiben haben. Soweit die Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 3 VereinsG ebenfalls auf die „Zusammenstellung charakteristischer Elemente“ abstellt, geschieht dies unter der Prämisse, dass von einem Kennzeichen eine die Vereinigung charakterisierende Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals ausgehen müsste14. Dieser rechtlich unzutreffende Maßstab ist indes – wie dargelegt – nicht anzuwenden.
Da für die Prüfung der Kennzeicheneigenschaft auf die einzelnen Abzeichen abzustellen ist, stellt sich die Frage nicht, ob durch die Hinzufügung einer abweichenden Ortsbezeichnung ein zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG entstanden sein kann15. Aus diesem Grund ist hier auch keine weitere Prüfung geboten, ob ein solches zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen gegebenenfalls mit dem einer legalen Organisation identisch ist und deshalb eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ausscheiden könnte16.
Nach den genannten Maßstäben verneint der Bundesgerichtshof sodann, dass die beiden angeklagten Rocker, obwohl auf ihren Westen jeweils der „Fat Mexican“ und der Bandidos-Schriftzug angebracht war, keine Kennzeichen (auch) der beiden verbotenen Chapter getragen hätten, weil nicht zusätzlich als untere Abgrenzung des Ensembles auf der Rückseite ihrer Westen – wie bei den Mitgliedern dieser Chapter – der Schriftzug mit der Ortsbezeichnung „Probationary N. “ oder der Landesbezeichnung „Germany“ aufgenäht war.
Eine solche Wertung würde sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs Strafkammer zunächst in Widerspruch setzen zu dem rechtlichen Ausgangspunkt, dass die Kennzeicheneigenschaft sich nach dem Symbolgehalt des einzelnen Emblems oder Schriftzuges richtet, nicht aber nach demjenigen des Zusammenspiels der einzelnen Bestandteile des „Rückenpatches“.
Das Abstellen auf die Ortszusätze als mitprägende Elemente gerade der Kennzeichen der verbotenen Vereine17 trägt zudem den Besonderheiten des Falles nicht Rechnung: Ungeachtet ihrer organisatorischen und vereinsrechtlichen Selbständigkeit sind die Chapter nach den Feststellungen des Landgerichts Teilorganisationen einer weltweiten „Bewegung“, der „Bandido-Nation“. Sie tragen den auf den Rückseiten der Westen angebrachten „Bandidos“-Schriftzug und das Mittelabzeichen des „Fat Mexican“, um damit ihre Zugehörigkeit zu dieser Organisation zum Ausdruck zu bringen. Diese beiden Embleme, von denen insbesondere das gleichsam als Wappen dienende Mittelabzeichen weltweit einzigartig ist, sind nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht genau prüfenden Betrachters18 die Kennzeichen, die das Erscheinungsbild auch der verbotenen Vereine maßgeblich prägten; eines zusätzlichen Hinweises gerade auf die verbotenen Chapter bedarf es zur Beantwortung der Frage, ob es sich um deren Kennzeichen handelte, nicht19.
Letztlich kommt es für die Frage der Kennzeicheneigenschaft auch nicht darauf an, welches Chapter in Deutschland zuerst gegründet wurde. Wie oben dargelegt ist es für den Kennzeichenbegriff nicht von Bedeutung, ob das Kennzeichen auch von einer nicht verbotenen Gruppierung verwendet wird (etwa dem zuerst gegründeten Chapter G.) und von dem verbotenen Verein (etwa dem Chapter N.) lediglich übernommen worden ist, weil damit wiederum auf außerhalb des Kennzeichens liegende Umstände seiner Verwendung abgestellt würde, die indes nicht zu berücksichtigen sind.
Gleichwohl kommt der Bundesgerichtshof zu einem Freispruch der beiden angeklagten Rocker:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 86a StGB scheidet ein tatbestandliches „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider läuft. Die aufgrund der weiten Fassung erforderliche restriktive Auslegung des Tatbestands setzt mithin nicht beim Kennzeichenbegriff an, weil eine solche Tatbestandseinschränkung mit dem Schutzzweck der Norm nicht in Einklang stünde, sondern bei dem Tatbestandsmerkmal des „Verwendens„20. Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck des § 86a StGB eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt21.
Diese Grundsätze sind auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zu übertragen. Wie in § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auch hier der objektive Tatbestand erfüllt, wenn Kennzeichen des verbotenen Vereins verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet werden. Es besteht – wie dargelegt – keine Veranlassung, den identischen Begriff des Kennzeichens im VereinsG anders auszulegen, als in der verfassungswidrige Organisationen betreffenden Strafvorschrift. Der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG stellt sich dann aber auch in gleicher Weise als weit gefasst dar, so dass auch hier – nicht zuletzt mit Blick auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG – eine Auslegung geboten ist, nach der dem Schutzzweck des Vereinsverbots eindeutig nicht zuwiderlaufende Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand auszunehmen sind. Insoweit ist für Fälle wie den vorliegenden zudem in den Blick zu nehmen, dass das Vereinsverbot gerade nicht die – national oder gar weltweit – agierende Dachorganisation – hier der „Bandidos“ – betrifft, sondern allein regionale Unterabteilungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderliefen; für die „nationale Hauptgruppe“ Deutschland oder gar für die „Bandidos“ insgesamt ist eine solche Rechtsfeindlichkeit nicht festgestellt.
Dementsprechend sind die übrigen Chapter der „Bandidos“ nicht verboten; sie tragen aber gleichermaßen mit dem Schriftzug „Bandidos“ und dem „Fat Mexican“ Kennzeichen ihrer Vereine, die auch Kennzeichen der beiden verbotenen Chapter waren. Durch die Hinzufügung einer eindeutig auf ein nicht verbotenes Chapter hinweisenden Ortsbezeichnung – wie hier „D. “ und „U. “ – ergibt sich aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Kennzeichenverwendung aber eindeutig, dass die Angeklagten den Schriftzug „Bandidos“ und das Mittelabzeichen des „Fat Mexican“ gerade nicht als Kennzeichen der verbotenen Chapter verwendeten, sondern als Kennzeichen ihrer eigenen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsvereine. Eine Strafbarkeit gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG scheidet mithin aufgrund der fehlenden Verwendung der Kennzeichen der verbotenen Vereine durch die angeklagten Rocker aus.
Kein anderes Ergebnis ergibt sich mit Blick auf die Vorschrift des § 9 Abs. 3 VereinsG (unbeschadet dessen, dass das Verbot des Chapters A. noch nicht bestandskräftig ist und daher § 9 Abs. 3 VereinsG im Hinblick auf Kennzeichen dieses Chapters von vornherein nicht zur Anwendung gelangen soll22). Insoweit gilt:
Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Regelung in der Praxis aufgetretene Unklarheiten über die Reichweite des – polizeirechtlichen – Kennzeichenverbots in Fällen beseitigen, in denen mehrere Vereine das gleiche Erscheinungsbild und die Zielsetzung teilen, aber nur einer von ihnen verboten wird; Anlass für die beabsichtigte Klarstellung war die Frage, ob der im Wesentlichen gleiche Kennzeichen verwendende äußere Auftritt nicht verbotener Schwestervereine unter Beifügung unterscheidender Orts- oder Untergliederungsbezeichnungen unter das Kennzeichenverbot des § 9 VereinsG fällt14. Durch die Fassung des § 9 Abs. 3 VereinsG kommt – unbeschadet einiger Missverständlichkeiten der Gesetzesbegründung – hinreichend zum Ausdruck, dass Kennzeichen, denen Orts- oder Untergliederungsbezeichnungen beigefügt werden, aus der Sicht des Gesetzgebers als solche anzusehen sind, die „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendet werden.
Durch die Regelung in § 9 Abs. 3 VereinsG sollte zudem vermeintlich „klargestellt“ werden, dass – bei Vorliegen der weiteren, einschränkenden Voraussetzungen – die Verbotsnorm des § 9 Abs. 1 VereinsG auch für Kennzeichen eines verbotenen Vereins gelte, die von nicht verbotenen Teilorganisationen oder Vereinen verwendet werden; eine Erweiterung des Kennzeichenverbots sei damit nicht verbunden23. Zu einer etwaigen Strafbarkeit der Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine „in im Wesentlichen gleicher Form“ verhält sich die Gesetzesbegründung nicht.
Gleichwohl wird vertreten, die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG sei auch im Rahmen der Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zur Anwendung zu bringen, obwohl letztere – anders als etwa § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG – nicht auf den Verbotstatbestand verweist. Da – ebenfalls ohne ausdrücklichen Verweis – die Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereinigungen nach § 9 Abs. 1 VereinsG unter die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG falle und mit der Regelung in § 9 Abs. 3 VereinsG eine Erweiterung des Kennzeichenverbots nicht verbunden sei, gelte die Strafvorschrift auch in den Fällen der „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendeten Kennzeichen24. Der von der Gegenauffassung befürworteten einschränkenden Auslegung stehe zudem der Wille des Gesetzgebers des Terrorismusbekämpfungsgesetzes entgegen, nach dem das Verbot des Verwendens von Kennzeichen verbotener Vereine gerade nicht eingeschränkt, sondern effektiver ausgestaltet werden sollte25.
Dieser Auffassung kann indes nicht gefolgt werden.
Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“, der wortgleich in § 1 StGB und in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt ist, soll einerseits sicherstellen, dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist; andererseits wird dadurch gewährleistet, dass der Gesetzgeber, nicht aber die vollziehende oder die Recht sprechende Gewalt darüber entscheidet, welches Verhalten strafbar ist26. Für die Rechtsprechung folgt daraus ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie, wobei Analogie nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen ist; vielmehr wird jede Rechtsanwendung ausgeschlossen, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht27.
Nach diesen Maßstäben könnte die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG nur dann bei der Prüfung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zur Anwendung gelangen, wenn damit eine Erweiterung der Strafbarkeit nach dieser Vorschrift nicht verbunden wäre. Gerade dies ist indes der Fall:
Nach der – wie dargelegt – gebotenen restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Verwendens“ sind die Fälle, in denen Mitglieder eines nicht verbotenen Schwestervereins unter Beifügung unterscheidender Orts- oder Untergliederungsbezeichnungen die Kennzeichen eines verbotenen Vereins tragen und die der Gesetzgeber bei der Einführung von § 9 Abs. 3 VereinsG im Blick hatte, von der Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG gerade nicht erfasst. Die Anwendung der polizeirechtlichen Regelung im Rahmen der Strafvorschrift würde dieses Ergebnis – wenn auch nur unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die selbständigen Schwestervereine die „Zielrichtung des verbotenen Vereins“ teilen – indes umkehren; sie hätte damit strafbarkeitserweiternden Charakter. Da der Gesetzgeber § 9 Abs. 3 VereinsG in der Strafnorm – insbesondere auch in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG – nicht in Bezug genommen und damit nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er auch das Verwenden von Kennzeichen verbotener Vereine „in im Wesentlichen gleicher Form“ der Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG unterworfen wissen wollte, kommt eine unmittelbare Anwendung der polizeirechtlichen Regelung nicht in Betracht; aufgrund des Analogieverbots verbietet sich für die Strafgerichte auch eine das Merkmal des „Verwendens“ nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG erweiternde Auslegung der Strafvorschrift, die die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG berücksichtigt.
Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 VereinsG sei verwaltungsakzessorisch28, so dass die verwaltungsrechtlichen Vorgaben bei der Auslegung der Strafvorschrift zwingend berücksichtigt werden müssten29. Denn jedenfalls der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG enthält in sich alle Merkmale der Strafbarkeit und regelt etwa das Verbreiten der Kennzeichen (ohne Einschränkung strafbar) abweichend von dem polizeirechtlichen Kennzeichenverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (Verbreiten von Kennzeichen nur verboten, wenn sie in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen geschieht). Der Regelungsgehalt von § 9 VereinsG unterscheidet sich von demjenigen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG etwa auch insoweit, als die Verwendung von Kennzeichen eines mit einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 VereinsG belegten ausländischen Vereins nicht nach § 9 VereinsG polizeirechtlich verboten ist, gleichwohl von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG aber unter Strafe gestellt wird. Der Gesetzgeber hat zudem durch die ausdrücklichen Verweise in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG auf die Sozialadäquanzklausel in § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG sowie auf § 9 Abs. 2 VereinsG deutlich gemacht, dass er die Strafbarkeit in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG eigenständig geregelt und nicht als rein akzessorische Pönalisierung des Verstoßes gegen ein polizeirechtliches Kennzeichenverbot ausgestaltet hat.
Nach alledem kommt es deshalb nicht mehr darauf an, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Merkmal des „Teilens der Zielrichtung“ im Sinne von § 9 Abs. 3 VereinsG erfüllt ist30. Denn dies kann nach geltender Gesetzeslage nur für die Frage von Bedeutung sein, ob den Angeklagten bzw. anderen Mitgliedern nicht verbotener Chapter das Tragen der Westen mit den Kennzeichen (auch) der verbotenen Vereine polizeirechtlich verboten und dieses Verbot gegebenenfalls im Wege eines Verwaltungsvollstreckungsverfahrens durchgesetzt werden kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15
- OLG Hamburg, Urteil vom 07.04.2014 – 131/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488; MünchKomm-StGB/Heinrich, 2. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 102; Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 146. Erg. Lfg.2002, § 9 VereinsG Rn. 3; Groh, VereinsG, § 9 Rn. 6; Bock, HRRS 2012, 83, 84; s. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 371[↩]
- Albrecht, HRRS 2015, 167, 169 f.; Groh aaO; s. auch BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 49[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98[↩]
- BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372; BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1[↩]
- BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1; MünchKomm-StGB/Heinrich, aaO; so im Ergebnis auch Groh, aaO; vgl. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372[↩]
- vgl. Bock, aaO[↩][↩]
- BGH, Urteil vom 13.08.2009 – 3 StR 228/09, BGHSt 54, 61, 66 f. mwN[↩]
- BGH aaO, S. 67 f. mwN; MünchKomm-StGB/Heinrich, aaO[↩]
- aA Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1482, die einen entsprechenden Symbolgehalt der Schriftzüge von Motorradclubs ohne nähere Begründung verneinen[↩]
- so OLG Hamburg, Urteil vom 07.04.2014 – 131/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488 f. für den Schriftzug „HELLS ANGELS“[↩]
- vgl. insoweit auch Bock, aaO[↩]
- so aber LG München, Beschluss vom 13.01.2003 – 23 Qs 91/02, www.zvronline.com, Dok. 7/2015; LG Verden, Beschluss vom 11.08.2003 – 1 Qs 161/03, www.zvronline.com, Dok. 8/2015; wohl auch LG Cottbus, Beschluss vom 28.02.2002 – 26 Qs 464/01, StraFo 2002, 407[↩]
- OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.03.2005 – 12 a 12101/0419; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2007 – 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 160; OLG Hamburg, Urteil vom 07.04.2014 – 131/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488; Groh, aaO, § 9 Rn. 6 f.; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 133[↩]
- BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 49[↩][↩]
- so aber BayObLG, Urteile vom 23.09.2003 – 4St RR 104/03 14 f.; vom 08.03.2005 – 4St RR 207/04, BayObLGSt 2004, 180, 181; kritisch insoweit Stegbauer, NStZ 2014, 621, 622[↩]
- vgl. zu einem solchen Fall BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1[↩]
- in diesem Sinne auch BayObLG, Urteil vom 23.09.2003 – 4St RR 104/03 15 f; s. auch OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2007 – 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 161[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05, BGHR StGB § 86a Abs. 2 Satz 2 Kennzeichen 2[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364 zu § 86a StGB[↩]
- BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 373 ff.; so schon BGH, Urteil vom 18.10.1972 – 3 StR 1/71, BGHSt 25, 30, 32 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 375 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 49[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 48 f.[↩]
- BayObLG, Urteil vom 23.09.2003 – 4St RR 104/03 16 f.; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2007 – 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 160; Stegbauer, NStZ 2014, 621, 622 f.; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 134; aA LG Berlin, Beschluss vom 02.10.2002 – 537 Qs 104/02, StraFo 2003, 30; Groh, aaO, § 9 Rn. 12; MünchKomm-StGB/Heinrich, aaO, § 20 VereinsG Rn. 104; Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1483; Mayer, Kriminalistik 2014, 236, 240[↩]
- OLG Celle aaO; Bock, HRRS 2012, 83, 84 f.; vgl. BT-Drs. 14/7386 [neu], S. 49[↩]
- st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 15.09.2011 – 1 BvR 519/10, NVwZ 2012, 504, 505 mwN[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361, 362 mwN[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteil vom 24.01.1996 – 3 StR 530/95, BGHSt 42, 30, 36 zu § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG[↩]
- in diesem Sinne aber wohl Stegbauer, NStZ 2014, 621, 623[↩]
- vgl. dazu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.03.2005 – 12 a 12101/04 17; Groh, aaO, § 9 Rn. 11; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 134; Mayer, Kriminalistik 2014, 236, 238; Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1483; Albrecht, HRRS 2015, 167, 173, die davon ausgehen, das Merkmal des Teilens der „Zielrichtung des verbotenen Vereins“ müsse sich auf diejenigen Ziele beziehen, die zum Vereinsverbot geführt hatten und letztlich auch zum Verbot des Schwestervereins führen könnten; kritisch insoweit aber zugleich Rau/Zschieschack aaO; Mayer aaO, weil diese Auslegung des Merkmals dem vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Regelung, die Kennzeichen verbotener Vereine effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen, nicht gerecht werde[↩]